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Stenografischer Bericht 4. Sitzung - Deutscher Bundestag

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<strong>Deutscher</strong> <strong>Bundestag</strong> – 15. Wahlperiode – <strong>4.</strong> <strong>Sitzung</strong>. Berlin, Dienstag, den 29. Oktober 2002<br />

Dr. Wolfgang Schäuble<br />

die auf dem Petersberg gefasst wurden, leistet. Sie reden<br />

überhaupt nicht über den Beitrag, den die Soldaten der<br />

Bundeswehr – KSK heißt die Einheit – im Rahmen des<br />

Mandats von Enduring Freedom leisten. Sie tun so, als<br />

wären Sicherheitspolitik und Kampf gegen den Terrorismus<br />

nur eine Art von Friedensarbeit und polizeilicher<br />

Tätigkeit. Nein, es ist ein hochgefährlicher Beitrag, den<br />

die Soldaten der Bundeswehr leisten.<br />

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />

Das muss ausgesprochen werden, sonst wird der Dank unehrlich.<br />

Wir unterstützen den Dank und haben großen<br />

Respekt, aber wir sind dagegen, die Bevölkerung über die<br />

wirkliche Bedrohung und die wirklichen Gefahren zu täuschen.<br />

(Joseph Fischer, Bundesminister: Wer macht<br />

denn das?)<br />

Mit dem, was Sie zum Problem Tschetschenien gesagt<br />

haben, stimmen wir weitgehend überein. Das ist ja überhaupt<br />

in vielem so, Herr Bundesaußenminister. Sie haben<br />

die lange Linie der Kontinuität deutscher Außen- und Sicherheitspolitik<br />

erwähnt, die von Konrad Adenauer bis<br />

Helmut Kohl gut gewesen ist. Wir haben Sie in der vergangenen<br />

Legislaturperiode in den Grundfragen von<br />

Außen- und Sicherheitspolitik mehr unterstützt als die<br />

Regierungsparteien. Sie konnten sich auf die Opposition<br />

eher verlassen als auf Ihre eigenen Reihen. Das ist doch<br />

die Wahrheit.<br />

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)<br />

Aber Sie haben diese Gemeinsamkeit im Wahlkampf einseitig<br />

verraten. Auch das ist die Wahrheit. Wenn Sie zu<br />

dieser Gemeinsamkeit zurückkehren, werden wir unsere<br />

Verantwortung weiterhin wahrnehmen. Aber es bleibt dabei,<br />

dass Sie aus reinen Wahlkampfinteressen die Grundlinien,<br />

die Verantwortung, die Kontinuität deutscher<br />

Außen- und Sicherheitspolitik in diesem Wahlkampf verraten<br />

haben. Dafür zahlen wir einen hohen Preis.<br />

Zum Thema Tschetschenien gehört für mich schon,<br />

dass man sagt: Es braucht politische Lösungen und Russland<br />

muss auf dem Weg zum Westen und zur Demokratie<br />

diese Anforderungen für sich gelten lassen. Man muss<br />

übrigens hinzufügen: Solch schreckliche Erfahrungen wie<br />

die der letzten Tage machen uns im Westen gelegentlich<br />

ein bisschen weniger selbstsicher. Wir müssen vielleicht<br />

erkennen, dass wir Fragen, die wir bei Problemen an andere<br />

stellen, gelegentlich mit den Augen anderer sehen<br />

und auch für uns gelten lassen müssen. Wir brauchen also<br />

in jedem Fall politische Lösungen und repressive Maßnahmen<br />

zugleich.<br />

Das andere muss aber auch klar sein: Was immer die<br />

politischen Konflikte auf dieser Welt sein mögen, es geht<br />

nicht an, dass unschuldige unbeteiligte Menschen, ob im<br />

World Trade Center in New York oder im Theater in Moskau,<br />

von irgendwelchen Irregeleiteten getötet oder als<br />

Geiseln genommen werden. Die Welt muss zusammenstehen,<br />

um so etwas zu unterbinden.<br />

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie<br />

bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNIS-<br />

SES 90/DIE GRÜNEN)<br />

Da darf es keine Alleingänge geben; denn damit<br />

schwächen wir die internationale Gemeinschaft, die Gemeinschaft<br />

der zivilisierten Welt. Da lag Ihr Fehler.<br />

(Hans Büttner [Ingolstadt] [SPD]: Wo denn?)<br />

– Sie schwächen die Vereinten Nationen, wenn Sie sagen:<br />

Was immer auch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen<br />

beschließt – wir machen jedenfalls nicht mit. Der<br />

deutsche Weg, von dem der Außenminister jetzt nach der<br />

Wahl sagt „Vergessen Sie es!“ – vor der Wahl hat der Bundeskanzler<br />

den deutschen Weg gepredigt –, ist nichts anderes<br />

als das Wiederaufleben des alten „Ohne mich“-<br />

Standpunkts aus der Frühzeit der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

(Uta Zapf [SPD]: Wenn man das für falsch hält, ist<br />

es auch vernünftig, „ohne mich“ zu sagen!)<br />

Sie haben gefährliche Ressentiments angesprochen, Herr<br />

Bundeskanzler. Sie werden dafür einen hohen Preis bezahlen.<br />

Die Geister, die man ruft, wird man oft nicht wieder<br />

los. Das ist nicht nur beim „Zauberlehrling“ so.<br />

(Zuruf von der SPD)<br />

– Wir werden sehen. Der Herr stellvertretende Fraktionsvorsitzende<br />

Ströbele hat in der vergangenen Woche schon<br />

in einer bemerkenswerten Weise zwischen den einzelnen<br />

Bundeswehreinsätzen unterschieden. All das wird uns begleiten.<br />

Ich will Ihnen zu dem Thema Türkei Folgendes sagen:<br />

Wir haben schon den Verdacht, dass die Veränderung der<br />

Position, was die Mitgliedschaft der Türkei anbetrifft<br />

– das klang in den Äußerungen des Bundeskanzlers vor<br />

der Wahl ganz anders als in der letzten Woche –, ein Teil<br />

des Preises ist, den man bezahlen muss. Ich will Ihnen<br />

deshalb sagen, was unsere Meinung in Sachen Türkei war<br />

und noch immer ist.<br />

Wir haben ein großes Interesse daran, dass die Türkei<br />

untrennbarer Bestandteil des Westens bleibt.<br />

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE<br />

GRÜNEN]: Das ist klar!)<br />

– Natürlich, Frau Roth; da ist überhaupt kein Unterschied;<br />

ich stelle gerade unsere Position dar. Dass die Türkei in einer<br />

möglichst engen Beziehung zu Europa bleiben soll, ist<br />

völlig unstreitig.<br />

Unsere Vorstellung von dem, was die Europäische<br />

Union ist und noch werden soll, ist die einer handlungsfähigen<br />

politischen Einheit auf der Grundlage gemeinsamer<br />

Identität; denn freiheitliche Organisation bekommt<br />

man nicht ohne eine hinreichende Grundlage an Identität,<br />

Zusammengehörigkeit und gemeinsamen Werten. Unsere<br />

Vorstellung von der Europäischen Union – dazu gibt es<br />

unterschiedliche Meinungen in Deutschland und auch unter<br />

unseren Partnern in Europa – ist die einer politischen<br />

Identität der Europäischen Union.<br />

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE<br />

GRÜNEN]: Meine auch!)<br />

Das heißt dann aber auch, dass man genauer prüfen<br />

muss, ob diese Europäische Union nicht auch Grenzen<br />

braucht, ob man für solche Länder, die zum Teil zu Europa<br />

(C)<br />

(D)

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