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HUK 333 November 2020

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Stadtgespräch<br />

len, bleibt uns keine andere Möglichkeit,<br />

als die richterlichen Beschlüsse aufheben<br />

zu lassen und die Menschen<br />

zurück in die Obdachlosigkeit zu schicken.<br />

Die Patienten kommen dann zügig<br />

zurück, weil sich die soziale Situation<br />

nicht verbessert hat.<br />

Was habe ich mir unter einer solchen<br />

geschlossenen Einrichtung vorzustellen?<br />

Der Begriff „geschlossen“ bedeutet, dass<br />

die Menschen dort mit einem richterlichen<br />

Beschluss untergebracht werden,<br />

aber keineswegs „weggesperrt“ werden.<br />

Mit den Betroffenen wird die Eingliederung<br />

vorangebracht, sodass die Menschen<br />

nach dem Aufenthalt wieder ein<br />

selbstständiges, autonomes Leben führen<br />

können, zum Beispiel durch regelmäßige<br />

Einnahme von Medikamenten,<br />

Psychotherapie, Arbeit und Ähnliches.<br />

Die Einrichtungen werden „Einrichtungen<br />

der Eingliederungshilfe“ genannt.<br />

„Wir erleben<br />

eine Psychia trie<br />

der 50er-Jahre.“<br />

Wie ist die Situation in den<br />

Nachbarbundesländern?<br />

In Schleswig-Holstein und Niedersachsen<br />

gibt es geeignete Einrichtungen, die<br />

aber mittlerweile Hamburger Patienten<br />

verweigern. Es sind einfach zu viele Betroffene.<br />

Diese Situation ist schrecklich.<br />

Wir erleben in Hamburg eine Psychiatrie<br />

der 50er-Jahre. Das heißt, immer<br />

mehr Menschen kommen unter Zwang<br />

zu uns. Dabei wollen wir das nicht. Wir<br />

wollen eine offene Form der Psychiatrie<br />

anbieten, die auf Freiwilligkeit basiert<br />

und wo die therapeutische Allianz, trialogische<br />

Arbeit – also Ärzte, Angehörige<br />

und Betroffene zusammen – und Psychotherapie<br />

im Vordergrund stehen.<br />

Doch wegen mangelnder Kapazitäten<br />

ist das nicht möglich. Die Lage in Hamburg<br />

spitzt sich so immer weiter zu. Wir<br />

haben auch den Eindruck, dass die ambulante<br />

Sozialpsychiatrie sich weniger<br />

um die schwer erkrankten Menschen<br />

kümmert, dass Pflegeheime zu schnell<br />

einweisen, dann Heimplätze kündigen<br />

und wir dann nicht wissen, wie die Menschen<br />

versorgt werden sollen. Heimplätze<br />

für ältere Menschen stehen auch nur<br />

sehr begrenzt zur Verfügung. Die zwangsweise<br />

Unterbringung in der Psychiatrie<br />

wird meines Erachtens oft als Weg genutzt,<br />

um unliebsame Menschen loszuwerden.<br />

Fördern und wohnen betreibt immerhin<br />

mehrere sozial psychiatrische Einrichtungen.<br />

Aber die decken die Bedarfe der Patienten<br />

nicht ab. Wir bekommen jeden Tag<br />

ganz viele Schwerkranke, die eine Intensivbetreuung<br />

benötigen. Natürlich<br />

helfen wir ihnen so gut und so lange es<br />

geht. Aber als Gesellschaft müssen wir<br />

es doch schaffen, dass diese Menschen<br />

nicht gleich wieder auf der Straße landen.<br />

Leider hat sich die Beantragung<br />

von Leistungen für Patienten zuletzt<br />

durch neue Gesetze sogar noch verschlechtert.<br />

Die Verfahren sind sehr<br />

kompliziert und langwierig, wodurch<br />

Hilfe verzögert und verhindert wird.<br />

Welche Auswirkungen hat die Coronakrise?<br />

Mein Eindruck ist, dass sich die Situation<br />

durch Corona nochmals verschärft<br />

hat und noch mal mehr Obdachlose<br />

beziehungsweise Menschen, die von<br />

Obdachlosigkeit bedroht sind, auf unsere<br />

Akutstationen kommen. Momentan<br />

spielt bei etwa 50 Prozent der Menschen,<br />

die zu uns kommen, Corona eine<br />

Rolle. Viele psychisch Kranke mit<br />

Psychosen oder Schizophrenie leiden<br />

sehr unter fehlenden Sozialkontakten.<br />

Auch das Tragen von Masken ist für<br />

viele ein riesiges Problem. Sie sind<br />

durch solche eigentlich kleinen Änderungen<br />

im Alltag stärker betroffen. Dadurch,<br />

dass viele Tagesaufenthaltsstätten<br />

geschlossen haben, verschärft sich<br />

die Situation nochmals. Das ist schwer<br />

auszuhalten.<br />

43<br />

Rot-Grün hat zum Ende der vergangenen<br />

Legislatur immerhin ein Maßnahmenpaket<br />

auf den Weg gebracht, das auch mehr<br />

Einzelunterbringung für psychisch kranke<br />

Obdachlose und eine bessere medizinische<br />

Versorgung fordert. Wäre das also ein erster<br />

richtiger Schritt?<br />

Ja, denn wir brauchen dringend mehr<br />

außerklinische Unterstützung für<br />

„Die Kapazitäten<br />

reichen bei Weitem<br />

nicht aus.“<br />

schwer psychisch kranke Menschen, also<br />

Menschen mit Psychosen, Demenz,<br />

auch traumatisierte Flüchtlinge. Insbesondere<br />

aufsuchende Hilfen müssen<br />

verstärkt angeboten werden, damit die<br />

Menschen ihre Wohnungen nicht erst<br />

verlieren. Dadurch könnten wir eine<br />

Menge Plätze in allen möglichen „Einrichtungen“<br />

einsparen. Vor einigen<br />

Jahren gab es noch die sogenannten<br />

PPM-Maßnahmen. Durch diese wurden<br />

aufsuchende Angebote finanziert. Das<br />

hat sich aber leider verändert. •<br />

Kontakt: lukas.gilbert@hinzundkunzt.de<br />

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