HUK 333 November 2020
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Oliver Riek wurde in eine Burschenschaft eingeladen und fühlte sich von den Mitgliedern<br />
verstanden. Dadurch sympathisierte er immer stärker mit der rechten Szene, sagt er.<br />
I<br />
ch war immer ein Einzelgänger,<br />
schon als Jugendlicher. Habe viel<br />
gelesen, viel gegrübelt. Mit 17<br />
begann ich mir Fragen zu stellen:<br />
Warum sprechen wir Deutsch? Was ist<br />
Deutschland überhaupt? Und was<br />
ist Schwarz-Rot-Gold? Ich fing an, Geschichtsbücher<br />
zu lesen.<br />
Mein Opa war kurz vor meiner Geburt<br />
gestorben und hatte ein Fotoalbum<br />
hinterlassen. Während des Krieges war<br />
er Unteroffizier im Fernmelderegiment<br />
gewesen und überall herumgekommen:<br />
Polen, Russland, Nordafrika. Und er<br />
wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet.<br />
„Der muss richtig was geleistet<br />
haben, ein richtiger Krieger gewesen<br />
sein“, dachte ich damals. Ich habe<br />
ihn glorifiziert – vielleicht auch, weil<br />
mein Vater auf Nimmerwiedersehen<br />
verschwunden war, als ich zwei war.<br />
Was ich in der Schule hörte, reichte<br />
mir nicht. Mein Elternhaus war sozialdemokratisch<br />
geprägt. Aber das<br />
ging nie in die Tiefe. In der Familie<br />
sprachen wir nicht über Politik und das<br />
„Dritte Reich“. Ich bastelte mir mein<br />
eigenes Bild von Deutschland und seiner<br />
Geschichte: dass wir nur ein<br />
Rumpfstaat sind, ohne Identität und<br />
Tradition, ein besetztes Land, bevormundet<br />
von fremden Mächten wie den<br />
USA und Israel.<br />
„Wir waren<br />
Täter. Geistige<br />
Brandstifter.“<br />
8<br />
Nach der Schule begann ich eine Bäckerlehre<br />
und freundete mich mit dem<br />
Konditor an. Wir stellten fest, dass wir<br />
uns beide für Geschichte interessierten<br />
und in der Vergangenheit lebten. Bald<br />
hörten wir stundenlang Reden von<br />
Hitler und Goebbels. Ein Freund des<br />
Konditors lud uns zu einem Burschenschaftsabend<br />
ein. Ich wusste damals<br />
nicht, was studentische Verbindungen<br />
sind. Aber ich fand das spannend.<br />
Die Burschenschaft war die Chattia<br />
Friedberg zu Hamburg (siehe Seite 11).<br />
Sie feierte die Sonnenwende auf einem<br />
großen Grundstück irgendwo in<br />
Schleswig-Holstein. Ein riesiges Lagerfeuer<br />
brannte, das war spektakulär. Die<br />
Menschen waren nett und kultiviert:<br />
Ärzte, Juristen, Bankfilialleiter in Anzügen,<br />
die sich für mich, den Lehrling, interessierten.<br />
Noch am selben Abend<br />
wurde ich aufgenommen.<br />
Ich hatte endlich das Gefühl, verstanden<br />
zu werden. Mit Auserwählten<br />
zusammen zu sein, die von Geschichte<br />
Ahnung hatten wie ich. Und das waren<br />
keine plumpen Neonazis. Da drohte dir<br />
keiner Schläge an, wenn du Gerhard<br />
Schröder gut fandest. Die sagten: „Ja,<br />
der ist schon nicht schlecht. Aber …“<br />
Die schauen erst mal, wie weit sie gehen<br />
können. Wie empfänglich du bist für<br />
rechtes Gedankengut. Und dann rutscht