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STADTBLATT Juli 2021

Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. Sie ist seit über 30 Jahren am Markt als das monatliche Programmheft für aufgeschlossene Städter. www.stadtblatt-osnabrueck.de

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ühne<br />

Wasser<br />

und<br />

andere<br />

Welten<br />

John von Düffel liest<br />

Geschichten vom Schwimmen<br />

und Schreiben<br />

Lieko Schulze und Rona Ludin, früher Theater Osnabrück: Ihre Duft-Reise findet naturnah unter freiem Himmel auf den Gertrudenberg<br />

Hier kannste schnuppern<br />

Rona Ludin und Lieko Schulze spielen „Die Duftsammlerin“ von Sabine Zieser.<br />

Als Bühnenraum dient eine Wiese im Bürgerpark, auf der das „Picknick-Theater für<br />

alle Generationen“ stattfindet. Es ist ein Abend voller Fantasie – und Poesie.<br />

rosmarin schärft die Gedanken,<br />

wischt die Traurigkeit<br />

fort. Thishinas Großmutter<br />

ist davon fest überzeugt. Die alte Frau<br />

sitzt vor ihrem Haus auf der Bank, neben<br />

sich einen Rosmarinstrauch, der<br />

so alt ist wie sie selber. Sie versetzt<br />

sich, durch ihren Rosmarin, zurück zu<br />

ihrem verstorbenen Mann. Ihrer Enkelin<br />

öffnet sie eine neue Welt – die Welt<br />

des Dufts.<br />

Bewusste Wahrnehmung, heißt es<br />

ja, findet beim Menschen in erster Linie<br />

durch den Sehsinn statt. Danach<br />

kommt das Hören und erst ganz am<br />

Ende das Riechen. Aber so einfach ist<br />

es nicht. Die Hierarchie der Sinne differiert<br />

von Kultur zur Kultur, von Ethnie<br />

zu Ethnie. Fakt ist: Geruchseindrücke<br />

zu beschreiben, fällt den meisten<br />

Menschen schwer. Fakt ist aber auch:<br />

Der Geruchssinn ist ein guter Erschaffer<br />

emotionaler Erinnerungen.<br />

Sabine Ziesers poetisches Schauspiel<br />

„Die Duftsammlerin“ schärft uns,<br />

durch Tishina, das Bewusstsein dafür.<br />

Unter der Regie von Rona Ludin ist Lieko<br />

Schulze sowohl Großmutter als<br />

auch Enkelin, und dass auch Ingo Lohr,<br />

der die Musik beisteuert, mit im Bühnenraum<br />

sitzt, zeigt, dass er nicht nur<br />

untermalt.<br />

Der Bühnenraum ist eine Wiese im<br />

Bürgerpark. Und dass sich die „Duftsammlerin“<br />

als „Picknick-Theater für<br />

alle Generationen“ versteht, signalisiert,<br />

was an diesem „Ort der Begegnung“<br />

passieren darf: Das Publikum<br />

sitzt, wenn es will, Familie für Familie,<br />

auf Decken, und während es Tishina<br />

beim Weltentdecken zusieht, kann es,<br />

sein Mitgebrachtes verzehren.<br />

Bevor Fragen kommen: Nein, ein Familien-,<br />

gar ein Kinderstück, wie wir es<br />

von seichten sommerlichen Freilichtbühnen<br />

kennen, ist der „Duftsammlerin“-Monolog<br />

nicht, nicht in der Osnabrücker<br />

Fassung von Ludin und Schulze.<br />

„Es geht um Wahrnehmung und<br />

Achtsamkeit“, sagt Lieko Schulze, freie<br />

Schauspielerin in Osnabrück, einst Ensemblemitglied<br />

von OSKAR, dem Kinder-<br />

und Jugendtheater des Theaters<br />

Osnabrück. „Es geht um Abschied, um<br />

Familie.“ Und das ist sowohl für Kinder<br />

als auch für Erwachsene was.<br />

Rona Ludin, freie Regisseurin in Osnabrück,<br />

auch sie einst Ensemblemitglied<br />

des Theaters Osnabrück: „Seine<br />

Augen kann man verschließen, seine<br />

Ohren auch. Aber der Duft bleibt.“ Der<br />

Spielort Natur, und die Beschränkung<br />

auf nur wenig Bühnenausstattung, zeige:<br />

„Theater kannst du überall machen<br />

– und mit sehr wenig.“<br />

Eine direkte Reaktion auf eine der<br />

Folgeschäden der Covid 19-Infektion,<br />

den Geruchsverlust, ist „Die Duftsammlerin“<br />

nicht. Es geht um eine<br />

universalverständliche Erinnerungs-<br />

Reise, auch wenn es nicht zuletzt um<br />

die Düfte des Parks selber geht.<br />

Gießkannen spielen an diesem<br />

Abend eine Rolle, Kräuter. Und dass<br />

dies alles auf dem Gertrudenberg<br />

stattfindet, soll, obwohl es nicht auf<br />

dem Gertrudenberg spielt, die 40 Zuschauer,<br />

die laut den Corona-Bestimmungen<br />

kommen dürfen, „für einen<br />

Ort sensibilieren“, so Lundin, „dessen<br />

Existenz und Schönheit vielen vielleicht<br />

gar nicht so bewusst ist“.<br />

Ihre Duft-Reise ist kein schwerer<br />

Stoff; die Handlung wird teils sehr spielerisch<br />

erzählt. Der Abend soll nachdenklich<br />

stimmen, in erster Linie aber<br />

Freude bereiten, als Neuaufbruch nach<br />

der Lockdown-Ödnis.<br />

„Eine Parfümflasche ist zerbrochen;<br />

ein Geruch steigt auf, und jetzt erinnert<br />

sich die Nase. Die hat das beste<br />

Gedächtnis von allen!“ So beschrieb<br />

der Schriftsteller Kurt Tucholsky die<br />

Magie des Dufts für das Erinnern. Und<br />

der Duft führt nicht nur zurück in die<br />

Vergangenheit. Er zieht uns auch hinaus<br />

in die Zukunft, in die Welt, und<br />

niemand kann das besser beschreiben<br />

als Walter Moers: „Da ist auch noch<br />

ein anderer Geruch in der Luft, der Geruch<br />

von Feuern, die in der Ferne brennen,<br />

mit einem Hauch Zimt darin - so<br />

riecht das Abenteuer!”<br />

Eine Reise voller Fanatasie liegt vor<br />

uns. Tishina führt sie bis ans Meer.<br />

HARFF-PETER SCHÖNHERR<br />

P 22. (Premiere), 23., 24., 30., 31.7.;<br />

1.8., Bürgerpark<br />

John von Düffel<br />

wasser habe keine Balken, sagen<br />

die einen. Wasser ist ein<br />

Lebenselixier, die anderen.<br />

Einer, der sich mit Wasser leidenschaftlich<br />

gut auskennt, ist der Schriftsteller<br />

John von Düffel. Seit seinem Debütroman<br />

„Vom Wasser" ist das nasse<br />

Element im Schreiben des passionierten<br />

Schwimmers zentral. Wasser ist<br />

sein Lebensthema, eine Konstante,<br />

auch wenn sich sein Blick auf Flüsse,<br />

Seen und Meere im Laufe von Jahrzehnten<br />

als Romanautor, Dramaturg<br />

und Essayist immer wieder änderte.<br />

Was vor zwanzig Jahren noch im<br />

Überfluss vorhanden schien, wird heute<br />

kostbar: Der Mensch verändert das<br />

Klima, das Wasser wird zu einer knappen<br />

Ressource. Das Verhältnis von<br />

Mensch und Natur neu zu fassen ist<br />

für John von Düffel nicht nur eine politische,<br />

sondern auch eine poetische<br />

Herausforderung, die er in seinem<br />

2020 erschienenen Roman „Der brennende<br />

See" angenommen hat. Ergänzend<br />

zu diesem Roman versammelt er<br />

in „Wasser und andere Welten" teils<br />

poetologische, teils autobiografische,<br />

teils alte und teils neue Texte zum<br />

Schwimmen und Schreiben.<br />

Zuweilen erkundet er im Rahmen<br />

seiner Wasser-Lesetouren schon mal<br />

die umliegenden Gewässer – schwimmend.<br />

Keine Wunder, dass dabei so<br />

schöne Beschreibungen herauskommen<br />

wie die Bemühungen, sich beim<br />

Schwimmen nicht in eine Schwimmerin<br />

zu verlieben, und die Schilderung,<br />

was das Schwimmen mit dem Schreiben<br />

eines Textes verbinde.<br />

AB<br />

P 15.7.<strong>2021</strong>, Museum Industriekultur,<br />

www.mik-osnabrueck.de<br />

FOTO: BIRTE FILMER<br />

24 <strong>STADTBLATT</strong> 7.<strong>2021</strong>

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