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STADTBLATT Juli 2021

Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. Sie ist seit über 30 Jahren am Markt als das monatliche Programmheft für aufgeschlossene Städter. www.stadtblatt-osnabrueck.de

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media<br />

buch des monats<br />

Menschlichkeit<br />

in Zeiten<br />

der Angst<br />

<strong>Juli</strong>a Leeb<br />

UNFASSBAR MUTIG<br />

„Denn nur wenn Unrecht<br />

unsichtbar bleibt, wächst es sich<br />

zu einem unberechenbaren Monster<br />

aus.“(…) „Bilder machen den Betrachter<br />

zum Zeugen, zum Komplizen, zum<br />

Betroffenen. Sie lassen ihn die Skrupellosigkeit<br />

der einen und die Verletzlichkeit<br />

der anderen spüren.“, so Leeb<br />

zu ihrer Motivation, immer wieder in<br />

die Krisengebiete zu reisen. Diese Motivation,<br />

den Kampf gegen das Unrecht,<br />

den Blick für das einzelne<br />

Schicksal und immer noch das eigene<br />

Schockiertsein über menschliche<br />

Grausamkeit finden sich in jeder Zeile<br />

ihres Buches. Offen berichtet sie über<br />

den Tag in Libyen, als sie im Granathagel<br />

in der Wüste überlebt, aber ihren<br />

„Schlaf verliert“ oder wie sie am Tahrir<br />

Platz in Kairo Opfer der Gewalt wird.<br />

Kleine Augenblicke der Hoffnung und<br />

große historische Momente. Leeb<br />

möchte Unschuldige in den Fokus der<br />

Öffentlichkeit rücken… Gleichzeitig<br />

macht sie auf die Wichtigkeit des unabhängigen<br />

Journalismus aufmerksam.<br />

NANCY PLASSMANN<br />

Suhrkamp, 18 EUR<br />

Memoiren und<br />

Falschinfor -<br />

mationen<br />

Jim Carrey/<br />

Dana Vachon<br />

GÄHN „Du sollt nicht<br />

langweilen“, lautet<br />

eines der obersten<br />

Gebote der Unterhaltungsindustrie.<br />

Aufgestellt wurde diese Weisheit von<br />

Regisseur Billy Wilder. Jim Carrey und<br />

Dana Vachon geben sich in ihrem Roman<br />

jede Menge Mühe, nicht zu langweilen.<br />

Sie versprechen autobiografische<br />

Details aus dem Leben des Komikers<br />

sowie eine Satire auf die Eitelkeit<br />

und Ich-Bezogenheit der Hollywoodstars.<br />

Und tatsächlich wird das Name-<br />

Dropping exzessiv betrieben. Überhaupt<br />

wimmelt es von super-skurrilen<br />

Ideen und mega-abstrusen Einfällen,<br />

so dass man beim Lesen nicht hinterherkommt<br />

und es irgendwann auch<br />

nicht mehr interessiert, wohin die<br />

Handlung abdriftet und welche ach so<br />

originelle Wendung sie nimmt. Das<br />

Buch ist langweilig, schlecht geschrieben<br />

(oder übersetzt) und öde. Denjenigen,<br />

die komische Bücher mit wirklich<br />

abstrusen, originellen und satirischen<br />

Ideen lesen wollen, seien die Werke<br />

des 2001 verstorbenen Autors Douglas<br />

Adams empfohlen. Ruhe in Frieden.<br />

(Das gilt auch für Carreys und Vachons<br />

Buch.)<br />

BOBBY FISCHER<br />

Droemer Knauer, 20 EUR<br />

Die Schatten<br />

Del Toro/Hogan<br />

UNHEIMLICH Ein Serie<br />

unerklärlicher<br />

Amok-Läufe und ein<br />

FBI-Einsatz, der katastrophal<br />

schief gelaufen<br />

ist. Eigentlich<br />

sollten Agent Hardwicke und ihr Partner<br />

einen durchgedrehten Ehemann<br />

davon abhalten, seine Familie zu ermorden.<br />

Doch in den Wirren des Einsatzes<br />

sieht Agent Hardwicke, wie ihr<br />

Partner eines der Kinder in seiner Gewalt<br />

hat und erstechen will. Sie hat<br />

keine andere Wahl als ihn zu erschießen.<br />

Im Augenblick seines Ablebens<br />

scheint ein Schatten seinen Körper zu<br />

verlassen. Der preisgekrönte Regisseur<br />

Guillermo Del Toro und sein Co-Autor<br />

Cuck Hogen haben einen weiteren unheimlichen<br />

Thriller geschrieben, den<br />

man so schnell nicht wieder aus der<br />

Hand legt. Eine interessante, mehrere<br />

Jahrzehnte umspannende Geschichte,<br />

glaubwürdige Figuren und ein geschickter<br />

Spannungsaufbau, der den<br />

Roman aus dem Genre-Einerlei heraus<br />

hebt und ein Ende, das den Roman abschließt<br />

und dennoch offen für eine<br />

Fortsetzung ist. Wenn es den Lesern<br />

gefällt, könnte man eine Fernsehserie<br />

daraus machen. Das haben DelToro<br />

und Hogan mit „The Strain“ schon erfolgreich<br />

durchexerziert. RALF GOTTHARDT<br />

Heyne, 16,99 EUR<br />

Levys<br />

Testament<br />

Ulrike Edschmid<br />

U-BAHN MEIDEN 1972<br />

lernt die Erzählerin,<br />

eine linke Filmstudentin<br />

aus Berlin, in<br />

einem besetzten<br />

Haus in London ihren neuen Freund<br />

kennen, den „Engländer“, wie er<br />

durchgehend heißen wird. Später leben<br />

sie in Berlin und Frankfurt zusammen,<br />

wo der Engländer Basisarbeit<br />

macht, später ein erstes Theater mit<br />

Immigranten gründet. Da der Engländer<br />

jüdischer Herkunft ist, vermutet<br />

man eine Holocaust-Geschichte, zumal<br />

es kaum Verwandtschaft zu geben<br />

scheint. Tatsächlich aber, und das ist<br />

ein Wendepunkt, gab es nach einem<br />

Kriminalfall 1924 eine Spaltung der<br />

Familie. Der Großvater fungierte als<br />

eine Art Sündenbock, bei einer Party<br />

lernt der „Engländer“ die großbürgerliche<br />

Verwandtschaft kennen. Ein dritter<br />

Teil spielt in einem Dorf bei Łódź<br />

(Polen), von wo die jüdischen Vorfahren<br />

im 19. Jahrhundert ausgewandert<br />

sind. Spuren sucht der inzwischen international<br />

bekannte Theaterregisseur<br />

dort vergebens. Ein weiteres Beispiel<br />

für die brillante dokumentarische Prosa,<br />

die Ulrike Edschmid schreibt, wobei<br />

mich der erste Teil an meisten interessiert<br />

hat.<br />

GW<br />

Suhrkamp, 20 EUR<br />

seitensprung<br />

Alexander Oetker<br />

„Mittwochs am Meer“.<br />

Der RTL-Frankreichkorrespondent<br />

hat eine bezaubernde<br />

Liebesgeschichte<br />

geschrieben –<br />

mit einer Prise Erotik. Über ein Paar,<br />

das sich einen Sommer lang jeden<br />

Mittwoch heimlich in einem Dorf in der<br />

Bretagne trifft. Atlantik, 18 EUR<br />

Kent Haruf „Kostbare<br />

Tage“. Man kann Kent<br />

Haruf gar nicht genug<br />

anpreisen. Der 1943 in<br />

Colorado geborene US-<br />

Autor zählt zu den ganz<br />

großen Erzählern der Gegenwart.<br />

Und, wie immer, spielt auch sein neuer<br />

Roman um den Familienvater Lewis im<br />

Mikrokosmos der Kleinstadt Holt.<br />

Diogenes, 13 EUR<br />

<strong>Juli</strong>a Rothenburg<br />

„Mond über Beton“.<br />

Eine neue Stimme in der<br />

deutschsprachigen Literatur.<br />

<strong>Juli</strong>a Rothenburg,<br />

Jahrgang 1990, Berlinerin,<br />

blickt in ihrem Roman mit schonungslosem<br />

Blick auf die Menschen<br />

und Schicksale in einem Hochhaus in<br />

Kreuzberg. Beeindruckend! Frankfurter<br />

Verlagsanstalt, 22 EUR<br />

MARS<br />

Erdbebenwetter<br />

Zaia Alexander<br />

SUBTIL UND RÄTSEL-<br />

HAFT Die Mittdreißigerin<br />

Lou lebt in L.A.<br />

und versucht erfolglos,<br />

Regisseurin zu<br />

werden. Eines Tages trifft sie einen alten<br />

Bekannten wieder, der sie zum Essen<br />

und dann in eine Gruppe von Hexern<br />

einlädt. Lou nimmt an einem Treffen<br />

teil und wird in den geheimnisvollen<br />

Zirkel aufgenommen. Der „Mentor“<br />

bestimmt, dass sie ihre Vergangenheit<br />

hinter sich lassen muss. Lou nimmt einen<br />

neuen Namen an und zieht in ein<br />

von mehreren Hexern bewohntes Viertel.<br />

Sie nimmt ein vernachlässigtes<br />

Mädchen (Spitzname „Gätzchen“) und<br />

eine Katze auf, von denen in Kapiteln<br />

namens „Blau“ erzählt wird – in der Literaturgeschichte<br />

ein Symbol für Irrationales.<br />

Träume spielen eine Rolle,<br />

Schmuckstücke dienen als Symbole,<br />

und die Katze muss magische drei Mal<br />

gebadet werden, bis sie wirklich sauber<br />

ist. Die Geschichte mäandert nebulös<br />

vor sich hin, entfaltet aber dennoch einen<br />

gewissen Sog. Worum geht es bei<br />

dieser Initiation? Wie verändert sie<br />

Lous Leben? Ein Roman, dessen Rätselhaftigkeit<br />

ungeduldig machen<br />

kann, dessen Antworten jedoch nachwirken.<br />

ANJA MEHRMANN<br />

Tropen Verlag, 22 EUR<br />

71/72 –<br />

Die Saison<br />

der Träumer<br />

Bernd-M. Beyer<br />

STAN UND RIO Die<br />

Bundesliga-Saison<br />

1971/72 war eine<br />

historische. Sie zelebrierte<br />

das schöne Spiel, aber auch die<br />

hässliche Seite des Fußballs, die Geldgier.<br />

Zeitgleich stellte diese Ära für die<br />

junge Bundesrepublikeine Wende dar.<br />

Die Nachkriegszeit wurde überwunden,<br />

auch wenn noch zahlreiche Nazis<br />

in Amt und Würden waren, und der<br />

Aufbruch in die Moderne begann. Diese<br />

Zeit dokumentiert und erzählt Bernd-<br />

M. Beyer in seinem wunderbaren Buch.<br />

Dabei gelingt ihm ein kunstvoller Spagat:<br />

Einerseits arbeitet er diese Jahre<br />

anhand von sportlichen Ergebnissen<br />

und Ereignissen wie dem Bestechungsskandal<br />

oder dem Zweikampf der Bayern<br />

und Schalke sowie politischen Begebenheiten<br />

wie der Kanzlerschaft<br />

Willy Brandts, der RAF und dem Olympia-Attentat<br />

auf. (Auch der VfL Osnabrück<br />

und sein Nazi-Präsident Hermann<br />

Gösmann tauchen auf.) Andererseits<br />

erzählt er seine Geschichte anhand<br />

zweier (Anti-)Helden: Reinhard<br />

„Stan“ Libuda und Rio Reiser. Ein authentisches<br />

Abbild dieser Zeit, das<br />

nicht nur die begeistern dürfte, die diese<br />

Zeit erlebt haben. BOBBY FISCHER<br />

Die Werkstatt, 22 EUR<br />

Vox<br />

Christina Dalcher<br />

FLACHE DYSTOPIE Die<br />

Neurowissenschaftlerin<br />

Dr. Jean McClellan<br />

lebt in einer frauenfeindlichen<br />

Theokratie<br />

unter US-Präsident<br />

Bob Myers. Mädchen und Frauen<br />

dürfen nicht mehr als 100 Wörter<br />

am Tag sprechen. Alle tragen einen<br />

Zähler am Handgelenk, der jedes Wort<br />

zu viel mit stärker werdenden Stromschlägen<br />

quittiert. Besonders renitente<br />

Frauen werden in Straflager geschickt<br />

und müssen Zwangsarbeit<br />

leisten – ansonsten herrscht jedoch<br />

Berufsverbot, damit die Macht der<br />

Bewegung der „Reinen“ gewährt ist.<br />

Als der Bruder des Präsidenten nach<br />

einem Skiunfall an Wernicke-Aphasie<br />

leidet, soll Jean jedoch ein Medikament<br />

dagegen entwickeln. Oder hat<br />

die Regierung ganz andere Pläne? Es<br />

gibt dramatische Entwicklungen in<br />

diesem Roman, der aber dennoch<br />

holzschnittartig bleibt, weil er mit stereotypen<br />

Figuren überladen ist. Die<br />

Geschichte, die sofort an Margaret Atwoods<br />

viel tiefgründigeren „Report<br />

der Magd“ denken lässt, ist ein rasanter<br />

Pageturner für die abendliche Bettlektüre.<br />

Seinen gesellschaftskritischen<br />

Anspruch kann er allerdings<br />

nicht einlösen.<br />

ANJA MEHRMANN<br />

S. Fischer, 12 EUR<br />

28 <strong>STADTBLATT</strong> 7.<strong>2021</strong>

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