Wozzeck - Institut für Szenische Interpretation von Musik + Theater
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6. Unterrichtseinheit:<br />
"Einer nach dem andern"<br />
- Der psychosoziale Kreislauf rotiert immerzu<br />
6.0. Vorbemerkung<br />
Nachdem sich Marie auf den Tambourmajor eingelassen hat und - trotz aller Ambivalenzen in<br />
ihrer Brust - auch zu diesem Ausbruchsversuch steht, sind die Weichen der Tragödie, die Alban<br />
Berg komponieren wollte, gestellt. Die vier Begegnungen <strong>Wozzeck</strong>s mit Marie zeigen die<br />
totale Unfähigkeit der beiden, ihr Beziehungsproblem nochmals in den Griff zu bekommen.<br />
Die letzte Begegnung ist tötlich. Auf <strong>Wozzeck</strong>s Seite tragen die Demütigungen durch Doktor<br />
und Hauptmann ebenso dazu bei wie die Tatsache, da× er im Wirtshaus Zaungast bleibt (und<br />
sich Andres nach einem kurzen Wortwechsel "gelangweilt" abwendet) und da× bei den tätlichen<br />
Auseinandersetzungen mit dem Tambourmajor <strong>Wozzeck</strong>s Kameraden im Halbschlaf<br />
zusehen und nicht zu Hilfe kommen; auf Maries Seite die Eskalation <strong>von</strong> <strong>Wozzeck</strong>s Kommunikationsunfähigkeit,<br />
Maries abwehrende Gegenreaktionen und ihre unproduktiven Schuldgefühle.<br />
Durch die szenische Auseinandersetzung mit ausgewählten Situationen dieses sich zirkelschlüssig<br />
steigernden Prozesses können SchülerInnen erkennen, da× diese Eskalation nicht<br />
nur "tragisch" ist, sondern tatsächlich Ausdruck eines psychosozialen Kreislaufs. Daher ist bei<br />
der Szenenauswahl darauf Wert gelegt, einige bis heute gültige soziale Mechanismen durchzuspielen,<br />
die solcherart Kreisläufe begünstigen: (1) die Funktion <strong>von</strong> Gerüchten, die aus individuellen<br />
Problemen "soziale Ereignisse" machen, (2) die gesellschaftliche Norm, da× Ausbruchsversuche<br />
bestraft und gerächt werden müssen, da jede Art <strong>von</strong> Verständnis das System,<br />
aus dem ausgebrochen wird, in Frage stellte, (3) die Unfähigkeit des geselligen (kulturellen)<br />
Lebens, Au×enseiter zu integrieren und dadurch psychisch zu stützen, (4) die Unwilligkeit,<br />
Menschen, denen Gewalt angetan wird, zu helfen, wenn "es" einen nicht betrifft, (5) die<br />
Flucht in die Religion und die Hoffnung, zwischenmenschliche Kommunikation durch Gebet<br />
oder Reuegefühle ersetzen zu können, (6) den Versuch, psychische Verunsicherung aggressiv<br />
an Schwächeren, insbesondere Kindern, abzulassen.<br />
6.1. <strong>Szenische</strong> Reflexion einer Demütigung<br />
Maries Ausbruchsversuch bleibt in der hessischen Kleinstadt nicht hinter verschlossenen Türen.<br />
Schnell weitet er sich zu einem "sozialen Ereignis" aus (SCHELLER 1987, S. 1O8-115).<br />
Ein Gerücht macht die Runde. Der Hauptmann und Doktor setzen es gezielt ein, um sich am<br />
widerborstigen <strong>Wozzeck</strong> (4. Unterrichtseinheit) zu rächen. In der szenischen Reflexion dieser<br />
Demütigungs-Situation erkennen die SchülerInnen, da× <strong>Wozzeck</strong> keine andre Wahl bleibt, als<br />
sich zur Wehr zu setzen. Wen wird es treffen? Den Doktor, den Hauptmann, den Tambourmajor<br />
oder Marie?<br />
Die SchülerInnen lesen die 2. Szene des 2. Aktes <strong>für</strong> sich durch, falls sie nicht schon den gesamten<br />
2. Akt (als Hausaufgabe) gelesen haben. In jedem Fall vergegenwärtigen sie sich den<br />
Inhalt der Szene.<br />
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