vsao Journal Nr. 4 - August 2021
Spannung- Von Masten bis Muskeln Nephrologie - Zystennieren – ein schwieriges Erbe Analgetika - Neuropathische Schmerzen Politik - Medizin und Klimaschutz
Spannung- Von Masten bis Muskeln
Nephrologie - Zystennieren – ein schwieriges Erbe
Analgetika - Neuropathische Schmerzen
Politik - Medizin und Klimaschutz
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Politik<br />
Bild: myboys.me/Adobe Stock<br />
Bea und Federico, Ihr habt in Euren<br />
Verbänden ganz unterschiedliche<br />
Funktionen (siehe Kasten «Zu den<br />
Personen»). Was Euch verbindet, ist<br />
der Einsatz fürs Klima. Wie kam es<br />
dazu?<br />
Bea Albermann: Ich fing an, Medizin zu<br />
studieren, um zu verstehen, wie die Gesundheit<br />
aller Menschen bestmöglich<br />
geschützt und gefördert werden kann.<br />
Schnell habe ich aber festgestellt, dass<br />
mir das Studium kaum Antworten auf<br />
die komplexen Gesundheitsfragen des<br />
21. Jahrhunderts bietet. Daher mein Engagement<br />
bei der swimsa. Schockierend<br />
war für mich dann folgende Feststellung:<br />
Wie konnte es sein, dass es weltweit wissenschaftlicher<br />
Konsens ist, dass die Klimakrise<br />
die grösste Bedrohung für die Gesundheit<br />
ist – dies jedoch in unserem Studium<br />
nicht ein einziges Mal erwähnt wird?<br />
Je mehr ich las, desto mehr realisierte ich:<br />
Die Klimakrise betrifft das Leben der Patientinnen<br />
und Patienten und meine künftige<br />
Arbeit als Ärztin direkt – und trotzdem<br />
unternimmt die Schweizer Gesundheitspolitik<br />
nichts. Das muss sich ändern.<br />
Federico Mazzola: Als Student hatte ich in<br />
der swimsa erste Berührungspunkte mit<br />
dem Thema Klimawandel und Gesundheit,<br />
hatte es jedoch nur am Rande verfolgt.<br />
Inzwischen ist diese Problematik in<br />
meinem Leben zunehmend wichtig geworden.<br />
So richtig angefangen hat es vor<br />
drei Jahren mit der Entscheidung, mich<br />
Zu den Personen<br />
Federico Mazzola ist Assistenzarzt im<br />
dritten Jahr. Aktuell arbeitet er in der<br />
Klinik für Viszeral- und Transplantationschirurgie<br />
am Universitätsspital Zürich.<br />
Der 27-Jährige interessiert sich nebst<br />
seinem Fachgebiet für Lehre und<br />
Gesundheitspolitik. Beim <strong>vsao</strong> gehört<br />
er der Geschäftsleitung der Sektion<br />
Zürich an und betreut deren Nachwuchsförderung.<br />
Zuvor war er Präsident<br />
der Sektion Solothurn.<br />
Bea Albermann (24) studiert an der<br />
Universität Zürich Medizin im fünften<br />
Jahr. Als berufliche Schwerpunkte<br />
schweben ihr Public Health, Gesundheitspolitik,<br />
Lehre sowie Kinder- und<br />
Jugendmedizin vor. Derzeit amtiert die<br />
ehemalige swimsa-Präsidentin und<br />
Jugenddelegierte für die WHO im<br />
Studierendenverband als Planetary-<br />
Health-Delegierte für die FMH.<br />
vegetarisch zu ernähren. Ich will meinen<br />
Teil dazu beitragen und meine Stimme<br />
nutzen, um allen eine bessere und nachhaltigere<br />
Zukunft zu ermöglichen.<br />
Seit Dezember beschäftigt Ihr Euch<br />
in einer Arbeitsgruppe der FMH mit<br />
dem Klimawandel (siehe Kasten<br />
«Die Klimastrategie der Ärzteschaft»).<br />
Mit welchen Zielen?<br />
Federico Mazzola: Das Hauptziel besteht<br />
darin, dass die Ärzteschaft einen substanziellen<br />
Beitrag leistet, indem sie effektive<br />
und grundlegende Massnahmen definiert,<br />
die ein nachhaltiges Gesundheitssystem<br />
und eine nachhaltige Gesundheitspolitik<br />
fördern. Die Unterziele sollen sowohl das<br />
Individuum als auch die Ärztinnen und<br />
Ärzte als Gesamtheit ansprechen.<br />
Bea Albermann: Wir brauchen in der Bevölkerung<br />
und Politik Verständnis dafür,<br />
dass die Klimakrise schon jetzt ein gesundheitlicher<br />
Notfall ist und es gesunde<br />
Menschen nur auf einer gesunden Erde<br />
gibt. Die Ärzteschaft hat diesbezüglich<br />
eine besondere Verantwortung, die sie aktuell<br />
zu wenig wahrnimmt. Das Schweizer<br />
Gesundheitswesen, inklusive der Lieferketten,<br />
muss seine Treibhausgasemissionen<br />
möglichst schnell auf netto null senken.<br />
Was bedingt, dass die klimaneutrale<br />
Gesundheitsversorgung bis 2030 als politisches<br />
Ziel festgelegt wird.<br />
Die politische Grosswetterlage sieht<br />
anders aus. Sowohl das CO 2<br />
-Gesetz als<br />
auch die Pestizid- und die Trinkwasserinitiative<br />
sind unlängst an der Urne<br />
gescheitert. Überrascht?<br />
Bea Albermann: Nein. Was mich jedoch im<br />
Vorfeld überrascht hat: dass die gesundheitlichen<br />
Vorteile von Umweltschutz<br />
kaum im Fokus standen. Im Abstimmungsbüchlein<br />
des Bundes zum Beispiel<br />
wurden die lebensbedrohlichen Gesundheitsfolgen<br />
von CO 2<br />
-Emissionen nirgends<br />
erwähnt.<br />
Federico Mazzola: Jein – und wenn, dann<br />
am ehesten beim CO 2<br />
-Gesetz. Den Unmut<br />
und die Unsicherheit in der Bevölkerung<br />
konnte man jedoch in den Wochen vor der<br />
Abstimmung spüren.<br />
Die Klimastrategie<br />
der Ärzteschaft<br />
Beide vertreten den medizinischen<br />
Nachwuchs, und beide engagieren sich<br />
für eine gesunde Zukunft. Deshalb ist<br />
es naheliegend, dass sich swimsa und<br />
<strong>vsao</strong> auch mit den Klimaveränderungen<br />
befassen. Auf Initiative der Medizinstudierenden<br />
entstand letztes Jahr<br />
die Idee, sich in der Ärzteschaft gemeinsam<br />
für das Thema einzusetzen.<br />
Vergangenen September stimmte die<br />
Delegiertenversammlung (DV) der<br />
FMH einem Antrag der zwei Verbände<br />
oppositionslos zu. Damit anerkannte<br />
die FMH den Klimawandel als substanzielle<br />
Bedrohung für die regionale und<br />
globale Gesundheit. Und die DV unterzeichnete<br />
im Namen aller Ärztinnen<br />
und Ärzte das swimsa-«Manifest für<br />
eine gesunde Zukunft».<br />
Zudem erhielt die FMH den Auftrag,<br />
eine Arbeitsgruppe mit Vertretungen<br />
der Dachorganisationen inklusive der<br />
swimsa ins Leben zu rufen. Dieses<br />
zwölfköpfige Gremium feilt derzeit an<br />
einer Strategie zu den Handlungsmöglichkeiten<br />
der Ärzteschaft in der<br />
Schweiz. Ziel ist es, dass die FMH ihre<br />
Position nutzt, um Mitglieder und<br />
Öffentlichkeit über die Zusammenhänge<br />
zwischen dem Klimawandel, der<br />
Umwelt und der Gesundheit aufzuklären.<br />
Sie soll sich insbesondere dafür<br />
einsetzen, dass die Schweiz ihre Massnahmen<br />
gegen den Klimawandel<br />
verstärkt und beschleunigt und den<br />
Schutz der Gesundheit bei allen politischen<br />
Entscheidungen miteinbezieht.<br />
In einigen Wochen werden sich die DV<br />
der FMH und die Ärztekammer mit den<br />
Vorschlägen befassen.<br />
Wo seht Ihr die Gründe für das<br />
dreifache Nein?<br />
Federico Mazzola: Bei der Trinkwasserund<br />
der Pestizidinitiative hat die Bevölkerung<br />
wohl vor allem den Zusammenhang<br />
mit der Gesundheit nicht ganz realisiert.<br />
Ich meine damit: Gibt es wirklich jemanden,<br />
der gerne Pestizidrückstände im Wasser<br />
mittrinkt? Zudem werden immer mehr<br />
Bioprodukte verkauft – warum dann nicht<br />
auch unsere wortwörtlichen «Lebens»mittel<br />
an einem höheren Standard messen?<br />
Betreffend das CO 2<br />
-Gesetz sehe ich andere<br />
Faktoren als entscheidend an. Unternehmen,<br />
die viel Kohlendioxid produzieren,<br />
verfügen über grosse finanzielle Mittel<br />
und im Abstimmungskampf über entsprechend<br />
viel politische Macht, obwohl die<br />
Vorlage im Parlament mehrheitsfähig war.<br />
Das Gesetz zielte indes auf viele finanzielle<br />
«Zuschläge» auf persönlicher Ebene,<br />
und das hat wahrscheinlich viele Leute<br />
verunsichert. In meinem persönlichen<br />
Umfeld war häufig zu hören: Wird das<br />
wirklich etwas ändern?<br />
<strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong> 4/21 7