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vsao Journal Nr. 4 - August 2021

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Fokus<br />

Schmetterlinge<br />

im Kopf<br />

Wenn es vor einem Auftritt nicht im Bauch flattert, sondern in Kopf<br />

und Magen, hat man Lampenfieber. Das trifft nicht nur jene, die im<br />

Rampenlicht stehen, sondern viele, die etwas präsentieren müssen.<br />

Es gibt Wege, damit positiv umzugehen.<br />

Julia Heinrichs Diplompsychologin, Regisseurin und Trainerin für<br />

Kommunikation und Auftrittskompetenz. www.facetta.ch<br />

Gäbe es kein Lampenfieber,<br />

bräuchte es auch keine Souffleusen<br />

und die Welt des Theaters<br />

wäre vielleicht eine andere.<br />

Es ist kein Zufall, dass die Ursprünge<br />

des in Frankreich seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

gebräuchlichen Ausdrucks<br />

«fièvre de rampe», im Deutschen auch<br />

«Rampenfieber», der Theaterwelt zugeschrieben<br />

werden und er im Jargon der<br />

Schauspieler für die Aufregung vor dem<br />

Auftritt steht.<br />

Die Herkunft des Begriffs könnte aber<br />

auch technischer geprägt sein, da die<br />

Gaslampen, die die Theaterbühne beleuchteten,<br />

die Darstellerinnen und Darsteller<br />

durch ihre Hitze zu Schweissausbrüchen<br />

getrieben haben. Die meisten<br />

Bühnenkünstler, wie Sänger, Musikerinnen,<br />

Schauspielerinnen und Tänzer, erleben<br />

vor ihrem Auftritt Symptome von<br />

Nervosität, Aufregung, Stress, Anspannungen<br />

oder auch Eustress.<br />

Heute wird Lampenfieber umgangssprachlich<br />

in vielen Situationen verwendet,<br />

bei denen sich jemand meistens vor<br />

einer Gruppe Menschen exponiert, um<br />

eine bewertbare Leistung zu erbringen.<br />

Das kann die Situation vor einer Kamera<br />

sein, ein Bewerbungsgespräch, ein Referat,<br />

oder auch eine Ansprache bei einer<br />

Familienfeier – Ereignisse, bei denen viele<br />

Menschen Versagensängste haben. In der<br />

psychologischen Forschung werden unter<br />

dem Begriff «performance anxiety» neben<br />

Lampenfieber auch Formen wie z. B. «Auftrittsangst»,<br />

«Podiumsangst», «Vorstartangst»<br />

(im Sport) und «Kanonenfieber»<br />

(befällt u. U. Soldaten) untersucht.<br />

Vom Kribbeln zur Panik<br />

In diesen Situationen treten ganz archaische<br />

Phänomene auf. Je nachdem, wie wir<br />

die Situation – meist unbewusst – bewerten,<br />

kann aus einem positiven leichten<br />

Kribbeln – ähnlich dem Gefühl von Verliebtheit<br />

– eine Panikattacke werden. Dazu<br />

reicht mitunter die Anwesenheit einer<br />

bestimmten Person z. B. eines Kritikers.<br />

Zum Glück ist Lampenfieber aber kein<br />

grundlegender Charakterzug, sondern –<br />

im ausgeprägten Zustand – ein vorübergehender<br />

Angstzustand oder eine soziale<br />

Phobie, die sich in bestimmten, individuell<br />

wahrgenommenen Situationen als<br />

Herausforderung zeigt.<br />

Das physisch und psychisch spürbare<br />

positive Phänomen des Lampenfiebers<br />

äussert sich in Form vermehrter Neurotransmitter-<br />

und Stresshormonausschüttung.<br />

Der Körper reagiert mit Erhöhung<br />

des Cortisol- und des Adrenalinspiegels,<br />

die die Durchblutung in Gehirn und Muskeln<br />

fördern. Das führt zu gesteigerter<br />

Konzentration und Fokussierung, schneller<br />

Reaktionsfähigkeit, grosser Wachheit<br />

und Präsenz in einem produktiven Energielevel.<br />

Vor langer Zeit wurde im Yerkes-<br />

Dodson-Gesetz beschrieben, dass zwischen<br />

der physiologischen Aktivierung<br />

und der Leistungsfähigkeit ein umgekehrt<br />

U-förmiger Zusammenhang besteht.<br />

Demzufolge führt zu viel Lampenfieber<br />

zu negativ konnotierten Symptomen wie<br />

feuchten Händen, zittriger Stimme (oft<br />

höher werdend), weichen Knien, innere<br />

Unruhe, eventuell Übelkeit, Bauchschmerzen,<br />

Durchfall, Vergesslichkeit bis<br />

hin zum Blackout. Obwohl es uns völlig<br />

klar ist, dass es keine reale Bedrohung<br />

gibt, hat der Kopf in diesem Moment keinen<br />

direkten Zugriff auf den Körper und<br />

keine oder nur eine eingeschränkte Kontrollmöglichkeit<br />

über ihn. Die vermeintliche<br />

Gefahrensituation hat unser Reptilienhirn<br />

aktiviert, und wir sind mit den<br />

entsprechenden körperlichen Reaktionen<br />

auf Flucht oder Kampf vorbereitet. Dem<br />

Grosshirn ist klar, dass weder Flucht noch<br />

Kampf nötig sind, trotzdem fürchtet sich<br />

die Person. Die Furcht kann zu tonischer<br />

Immobilität führen, um sich vor dem vermeintlichen<br />

Angreifer tot zu stellen. Dies<br />

wird oft als lähmender, hilfloser und<br />

blockierender Zustand auf der Bühne beschrieben.<br />

So ist es nicht verwunderlich,<br />

dass in der darstellenden Kunst häufig zu<br />

äusseren Mitteln gegriffen wird, um das<br />

überschüssige Lampenfieber in den Griff<br />

zu bekommen. Während Doping im Sport<br />

mittlerweile moralisch verwerflich ist,<br />

werden Drogen, Alkohol und Medikamente<br />

in der Bühnenkunst immer noch weitgehend<br />

tabuisiert statt thematisiert. Dabei<br />

wird je nach Branche auf etwas anders zugegriffen.<br />

Gerade im Theater nehme ich<br />

eine Abnahme von Drogen- (u. a. Kokain,<br />

Alkohol) und eine Zunahme von Medika-<br />

32 4/21 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>

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