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vsao Journal Nr. 4 - August 2021

Spannung- Von Masten bis Muskeln Nephrologie - Zystennieren – ein schwieriges Erbe Analgetika - Neuropathische Schmerzen Politik - Medizin und Klimaschutz

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Perspektiven<br />

Aktuelles aus der Nephrologie:<br />

Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)<br />

Zystennieren –<br />

ein schwieriges Erbe<br />

Zysten lassen das Nierenvolumen wachsen und verschlechtern die Nierenfunktion<br />

zusehends. Die Entwicklung und Auswirkungen sind individuell jedoch sehr<br />

unterschiedlich. Die gute Nachricht: Die Krankheit ist behandelbar.<br />

Prof. Dr. med. Andreas Serra MPH, Klinik Hirslanden, Kompetenzzentrum für ADPKD, Zürich<br />

Einzelne Zysten können überall<br />

im Körper vorkommen, auch an<br />

den Nieren. Solche einzelnen<br />

Zysten sind mit dem Begriff<br />

Nierenzysten gemeint. Diese einfachen<br />

Zysten in den Nieren treten häufig auf<br />

und sind oft unproblematisch. Anders bei<br />

der autosomal-dominanten polyzystischen<br />

Nierenerkrankung (ADPKD), umgangssprachlich<br />

Zystennieren genannt.<br />

Damit wird eine genetische Erkrankung<br />

bezeichnet, welche durch eine zunehmende<br />

Anzahl an Zysten an und in den<br />

Nieren charakterisiert wird. Diese Zysten<br />

verdrängen das gesunde Gewebe nach<br />

und nach und können je nach unterschiedlichem<br />

individuellem Verlauf früher<br />

oder später zum Funktionsverlust der<br />

Nieren führen. Die Erkrankung betrifft<br />

auch andere Organe. Es ist wichtig, diesen<br />

Unterschied zu machen, da die<br />

Behandlung und Prognose von Nierenzysten<br />

und ADPKD verschieden ist.<br />

Weltweit geht man von etwa 10 bis<br />

30 Millionen Betroffenen aus, ungefähr<br />

einer von 400 bis 1000 Menschen hat die<br />

Erkrankung, unabhängig von Geschlecht<br />

und Herkunft. Die Diagnose gilt als gesichert,<br />

wenn Vater oder Mutter von ADPKD<br />

betroffen sind und in mindestens einer<br />

Niere drei Zysten vorhanden sind (über 15<br />

Jahre und bis zu einem Alter von 40 Jahren)<br />

oder mehr als zwei Zysten in beiden<br />

Nieren (bei einem Alter über 40 Jahre).<br />

Ursache klar, Entwicklung weniger<br />

Biologisch gesehen sind sogenannte Zilien<br />

der Auslöser für die Zystenbildung. Zilien<br />

sind wenige Mikrometer lange Organellen.<br />

Sie ragen bei den meisten Säugetieren<br />

aus den Oberflächen der Zellen heraus<br />

und dienen als Sensor des Extrazellulärraums.<br />

Bei ADPKD liegt eine Fehlfunktion<br />

dieser Zilien vor, wodurch Organe, hier die<br />

Nieren, in ihren physiologischen Aufgaben<br />

beeinträchtigt sind. In der Folge<br />

kommt es zu einem stetigen und wahrscheinlich<br />

lebenslangen Wachstum von<br />

Zysten in beiden Nieren. Die Zysten führen<br />

insgesamt zu einer Vergrösserung der<br />

Nieren. Gleichzeitig wird funktionsfähiges<br />

Nierengewebe verdrängt. Damit verschlechtert<br />

sich nach und nach die Nierenfunktion.<br />

Die Nierengrösse ausgedrückt als<br />

Nierenvolumen (Englisch: Total Kidney<br />

Volume, Abkürzung TKV) gibt den Rauminhalt<br />

beider Nieren an, meist angegeben<br />

in Millilitern, das entspricht dem Gewicht<br />

beider Nieren in Gramm. Das TKV von gesunden<br />

Nieren beträgt im Durchschnitt<br />

240 Gramm, das TKV von ADPKD-Betroffenen<br />

je nach Stadium bis zu mehreren<br />

Kilogramm. Das TKV ist ein wichtiger<br />

Wert zur Abschätzung der Prognose, insbesondere<br />

zur Abschätzung des zukünftig<br />

zu erwartenden Nierenfunk tionsverlustes.<br />

Hierbei wird anhand der Mayo-Klassifikation<br />

in Stadien von A bis E eingeteilt, wobei<br />

A die beste Prognose hat. Das TKV ist<br />

zudem ein wichtiges Mass der Krankheitsaktivität:<br />

Eine Zunahme des TKV von fünf<br />

und mehr Prozent pro Jahr entspricht oft<br />

einer (rasch) progressiven ADPKD-Erkrankung.<br />

Die Nierenfunktion eines jeden ADP-<br />

KD-betroffenen Menschen entwickelt sich<br />

sehr individuell; eine Beobachtung der<br />

bisherigen Entwicklung lässt einen Ausblick<br />

in die Zukunft nur mit grossen Einschränkungen<br />

zu. Selbst innerhalb der<br />

gleichen Familie kommt es häufig vor,<br />

dass bei dem einen Patienten die Nierenfunktion<br />

lange stabil ist und wenige oder<br />

auch keine Symptome und Beschwerden<br />

auftreten. Bei einem anderen Patienten<br />

derselben Familie kann jedoch die Erkrankung<br />

viel schneller fortschreiten.<br />

Mit dem Medikament Tolvaptan<br />

( Jinarc) kann der progressive Nierenfunktionsverlust<br />

vermindert werden. In der<br />

Schweiz beginnt die Möglichkeit der Verordnung<br />

bei einem Nierenvolumen von<br />

750 ml (Summe beider Nieren) und sofern<br />

die Nierenfunktion grösser als 30 ml/min/<br />

1,73 m 2 ist. Daneben müssen Kriterien erfüllt<br />

sein, welche eine rasche Progression<br />

der Krankheit anzeigen. Zusätzlich muss<br />

die Verschreibung durch den Vertrauensarzt<br />

der Krankenkasse bewilligt werden<br />

und das Zentrum muss vom Bundesamt<br />

für Gesundheit für die Tolvaptan-Therapie<br />

ermächtigt sein. Das Medikament<br />

44<br />

4/21 <strong>vsao</strong> /asmac <strong>Journal</strong>

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