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62 Leader Jeremy Rifkin Credit Suisse Bulletin 2/07
Leader Jeremy Rifkin 63 «Die Europäer arbeiten, um zu leben – die Amerikaner leben, um zu arbeiten.» Interview: Daniel Huber und Michèle Bodmer Gesellschaftskritiker Jeremy Rifkin polarisiert. Als Berater zahlreicher Regierungen und Konzerne stellt er provokative Themen zur Diskussion, etwa die Risiken von Megacitys, das Ende des amerikanischen Traums und die Notwendigkeit, unsere Gattung zu erhalten und unseren Planeten zu bewahren. Foto: Andri Pol Bulletin: Diese Bulletin-Ausgabe ist dem Thema «Städte» gewidmet. Was ist Ihre Meinung zur globalen Urbanisierung? Jeremy Rifkin: Ich glaube, dass wir unseren Lebensstil überdenken müssen. Selbstverständlich hat das urbane Leben viel Positives zu bieten, etwa die breite kulturelle Vielfalt, die enormen sozialen Kontaktmöglichkeiten sowie die intensiven kommerziellen Aktivitäten. Doch die zentrale Frage ist jene nach Umfang und Mass. Wachsen die Städte zu schnell? Im Jahr 2007 wird gemäss den Vereinten Nationen zum ersten Mal in der Geschichte die Mehrheit der Menschen in riesigen Stadtgebieten wohnen, viele in Megastädten und erweiterten Vorstädten mit einer Bevölkerung von zehn Millionen und mehr. Grosse Populationen, die in Megacitys leben, konsumieren sehr viel Energie, um ihre Infrastrukturen und die täglichen Arbeitsabläufe zu gewährleisten. Der Sears Tower in Chicago verbraucht an einem einzigen Tag mehr Elektrizität als die Stadt Rockford im Bundesstaat Illinois mit ihren 152 000 Einwohnern. Heute gibt es 414 Städte mit einer Bevölkerung von einer Million oder mehr, und der Prozess der Urbanisierung hält unvermindert an. Wir sind zum «Homo urbanus» mutiert. Ist das schlimm? Niemand weiss so genau, ob dieser Wendepunkt in der menschlichen Lebensweise einen Grund zum Feiern oder zum Lamentieren darstellt oder schlicht zur Kenntnis genommen werden sollte – und zwar deshalb, weil wir für unser Bevölkerungswachstum und unseren urbanen Lebensstil riesige Ökosysteme und Lebensräume geopfert haben. In den Schwellenländern und insbesondere in China wachsen die Städte auch deshalb so schnell, weil die Menschen aus ländlichen Gebieten in die urbanen Zentren mit ihren neuen, industriellen Arbeitsplätzen strömen … Die ganze Welt beklagt sich darüber, dass alle Arbeitsplätze nach China ausgelagert werden. Es trifft zu, dass China einen weitaus höheren Prozentsatz an Produkten herstellt und exportiert, doch zeigt eine neue Studie von Alliance Capital Management, dass die Arbeitsplätze im Produktionssektor in China schneller als in jedem anderen Land abgebaut werden. Zwischen 1995 und 2002 verschwanden in China über 15 Millionen Fabrikjobs, das sind 15 Prozent der gesamten Belegschaft des Produktionssektors. Wohin gingen diese Jobs? Weder nach Vietnam noch nach Singapur. Sie wurden schlicht eliminiert. Die Beschäftigung im Produktionssektor ist in den letzten sieben Jahren in jeder Region der Welt kontinuierlich zurückgegangen. Dieser Beschäftigungsrückgang erfolgte in einem Zeitraum, in dem die globale Industrieproduktion um mehr als 30 Prozent zunahm. Weltweit sind elf Prozent der Fabrikarbeitsplätze verschwunden – sie wurden nicht ausgelagert, weil auch der billigste chinesische arbeitet wie die ihn ersetzende Technologie. Innerhalb der nächsten 30 Jahre werden wir das Ende der Massenbeschäftigung im Fabriksektor erleben, wie ich das 1995 in der ersten Auflage meines Buchs «Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft» erläutert habe. Ziemlich düstere Aussichten … Tatsache ist, dass bei gleich bleibender Abbaurate – sie dürfte sich aber eher noch beschleunigen – die Zahl der im Produktionssektor Beschäftigten bis ins Jahr 2040 von heute 164 Millionen auf einige wenige > Credit Suisse Bulletin 2/07
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