22.11.2021 Aufrufe

architektur FACHMAGAZIN People 2021

Rohstoffverknappung, Preisdruck, Covid 19, Digitalisierung und Klimawandel – Die Herangehensweise, mit der moderne ArchitektInnen den Gegebenheiten unserer Zeit begegnen, ist vielfältig. Welche Erfolgsstrategien können Architekturschaffende in diesen Zeiten für sich entwickeln, um den stetigen Wandel zu meistern? Wie können moderne Produkte, Bau­stoffe und Technologien diesen Prozess unterstützen? Was müssen diese leisten und wie können die Hersteller das gewährleisten? Was macht Architektur nachhaltig, effizient oder smart? Und um welche Entwicklung wird es in den nächsten Jahren keinen Weg herumgeben? Unsere ausgewählten GesprächsparterInnen geben ihre persönlichen Antworten auf diese und noch viele weitere Fragen.

Rohstoffverknappung, Preisdruck, Covid 19, Digitalisierung und Klimawandel – Die Herangehensweise, mit der moderne ArchitektInnen den Gegebenheiten unserer Zeit begegnen, ist vielfältig. Welche Erfolgsstrategien können Architekturschaffende in diesen Zeiten für sich entwickeln, um den stetigen Wandel zu meistern? Wie können moderne Produkte, Bau­stoffe und Technologien diesen Prozess unterstützen? Was müssen diese leisten und wie können die Hersteller das gewährleisten? Was macht Architektur nachhaltig, effizient oder smart? Und um welche Entwicklung wird es in den nächsten Jahren keinen Weg herumgeben? Unsere ausgewählten GesprächsparterInnen geben ihre persönlichen Antworten auf diese und noch viele weitere Fragen.

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<strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

WISSEN, BILDUNG, INFORMATION FÜR DIE BAUWIRTSCHAFT<br />

Erscheinungsort Vösendorf, Verlagspostamt 2331 Vösendorf. P.b.b. 02Z033056; ISSN: 1606-4550<br />

PEOPLE<br />

#4


Maßarbeit<br />

statt Mainstream<br />

Immer mehr Menschen folgen heute dem Trend, keinem Trend mehr zu Folgen. Für<br />

diese Menschen gibt es die Berker Manufaktur. Hier werden in einer Verbindung aus<br />

Hightech und Handarbeit Schalter, die es so kein zweites Mal gibt, gefertig.<br />

Gemeinsam mit Architekten und Planern für ein ganz bestimmtes Objekt entwickelt<br />

oder eine andere spezielle Aufgabe. Manche entspringen den ganz speziellen<br />

Wünschen eines Bauherren, der etwas Exklusives sucht, was es so noch nicht gibt.<br />

Die Berker Manufaktur kann diese Wünsche verwirklichen. Dabei zählt Individualität,<br />

nicht Geschwindigkeit. Jedes Produkt ist ein Unikat. Und damit mindestens so<br />

unverwechselbar wie die Umgebung und die Menschen, für die es gemacht ist.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

3<br />

Intro<br />

Wie werden wir<br />

in Zukunft bauen?<br />

Zwar befindet sich die Baubranche ohnehin in stetigem<br />

Wandel – doch besonders die Coronapandemie<br />

hat ein verstärktes Umdenken in vielen Bereichen<br />

des Arbeitstalltags von ArchitektInnen notwendig<br />

gemacht. Neue Prozesse wurden geboren, alte<br />

mussten adaptiert werden. Die ohnedies rasch voranschreitende<br />

Digitalisierung beschleunigte sich zusätzlich<br />

und verändert die Arbeit der ArchitektInnen<br />

nachhaltig. Viele der Werkzeuge, die praktisch aus<br />

der Not heraus aufgegriffen werden mussten, haben<br />

sich als so effizient erwiesen, dass man auch weiterhin<br />

kaum darauf verzichten kann und will. Wer Anfang<br />

2020 schon Erfahrung mit all diesen Tools hatte,<br />

war schwer im Vorteil. Das zeigte sich schon in vielen<br />

der Statements der ArchitektInnen in unserer letzten<br />

<strong>architektur</strong> PEOPLE Ausgabe vom Oktober letzten<br />

Jahres. Doch wie geht es damit nun weiter, da ein regulärer<br />

Arbeitsalltag wieder möglich ist? Was bleibt<br />

und was ist wieder obsolet?<br />

Die aktuellen Rohstoffverknappungen machen den<br />

ArchitektInnen schwer zu schaffen. Diese führen zu<br />

höheren Baukosten und logistischen Problemen. Mindestens<br />

auf dem üblichen Niveau bleibt jedoch der<br />

Preis- und Zeitdruck durch Investoren, Anleger und<br />

Bauherren bestehen. Das verstärkt die ohnehin oft<br />

sehr ausgeprägte Diskrepanz zwischen finanziellen<br />

Interessen oder Möglichkeiten und dem Wunsch danach,<br />

hochwertige Gebäude mit Mehrwert zu planen.<br />

Über all dem steht noch die wohl größte Herausforderung<br />

unserer Zeit. Der Klimawandel sorgt zunehmend<br />

für Probleme und langsam sollte es jedem<br />

gedämmert sein, dass wir nicht einfach so weitermachen<br />

können wie bisher. Die Bauwirtschaft ist für<br />

einen großen Teil des weltweiten CO 2 -Ausstoßes<br />

verantwortlich. Dementsprechend groß ist auch der<br />

Hebel, den ein Wandel zu klimafreundlicherer Architektur<br />

haben kann. Die ArchitektInnen sind hier nicht<br />

nur Passagiere, sitzen sie doch an einem wichtigen<br />

Knotenpunkt zwischen Bauherren, ausführenden Unternehmen<br />

und der Industrie. Sie können vermitteln,<br />

alternative Lösungen aufzeigen sowie Innovationen<br />

fördern und so wichtigen Einfluss nehmen.<br />

Die Herangehensweise, mit der moderne Architekt-<br />

Innen diesen und vielen weiteren Gegebenheiten<br />

unserer Zeit begegnen, ist vielfältig. Welche Erfolgsstrategien<br />

können Architekturschaffende in diesen<br />

Zeiten für sich entwickeln, um den stetigen Wandel<br />

zu meistern? Wie können moderne Produkte, Baustoffe<br />

und Technologien diesen Prozess unterstützen?<br />

Was müssen diese leisten und wie können die<br />

Hersteller das gewährleisten? Was macht Architektur<br />

nachhaltig, effizient oder smart? Und um welche<br />

Entwicklung wird es in den nächsten Jahren keinen<br />

Weg herumgeben? Unsere ausgewählten GesprächsparterInnen<br />

geben ihre persönlichen Antworten auf<br />

diese und noch viele weitere Fragen.<br />

Viel Vergnügen mit dieser besonderen Ausgabe<br />

Andreas Laser<br />

MEDIENINHABER UND HERAUSGEBER Laser Verlag GmbH; Ortsstraße 212/2/5, 2331 Vösendorf, Österreich<br />

CHEFREDAKTION Andreas Laser(andreas.laser@laserverlag.at) REDAKTION Linda Pezzei, Edina Obermoser, Alexandra Ullmann, Dolores Stuttner<br />

GESCHÄFTSLEITUNG Silvia Laser (silvia.laser@laserverlag.at) MEDIASERVICE Nicolas Paga (nicolas.paga@laserverlag.at) Tel.: +43-1-869 5829-14<br />

GRAFISCHE GESTALTUNG Andreas Laser DRUCK Bauer Medien & Handels GmbH


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

4<br />

Inhalt<br />

PEOPLE<br />

Herausforderungen annehmen<br />

Interview mit Architekt Patrick Batek<br />

BATEK ARCHITEKTEN<br />

Die Architektur mit Ideen aufladen<br />

Interview mit Philipp Buxbaum<br />

und Christian Kircher<br />

smartvoll<br />

Jedes Haus ein (wünschenswertes) Experiment<br />

Interview mit Lehmbauexperten Andi Breuss<br />

Der Umweltschutz als Anstoß für Innovation<br />

Interview mit Architekt Martin Junger<br />

junger_beer<br />

Theorie praktisch denken<br />

Interview mit Architekt Christian Hammerl<br />

he und du<br />

Die Möglichkeiten ausschöpfen<br />

Interview mit Architektin Lisi Wieser<br />

Ein Umdenken ist erforderlich!<br />

Interview mit Architekt Günter Katherl<br />

Caramel Architekten<br />

Gebäude als Rohstofflager<br />

Interview mit Architektin Eva M. Hierzer<br />

und Architekt Stephan Brugger<br />

NOW Architektur<br />

Die Herausforderung der Vereinbarkeit<br />

Interview mit Architektin Ute Stotter<br />

Die Zukunft des Bauens ist CO 2 -negativ<br />

Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />

Snøhetta<br />

Nachhaltiges Bauen für eine lebenswerte Zukunft<br />

Interview mit Architekt Andreas Moser<br />

und Dr.-Ing. Werner Jager<br />

Nachwachsende Rohstoffe haben noch<br />

immer schlechte Karten<br />

Interview mit Architektin DI Ursula Schneider<br />

POS<br />

Komfort, nicht Klima, macht nachhaltige Bauten<br />

für viele interessant<br />

Interview mit Architekt DI Simon Speigner<br />

sps architekten<br />

Innovation im Regionalen<br />

Interview mit Architekt Sven Matt<br />

Innauer Matt<br />

6<br />

10<br />

14<br />

18<br />

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48<br />

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56


<strong>architektur</strong> <strong>FACHMAGAZIN</strong><br />

6<br />

Patrick Batek<br />

Herausforderungen<br />

annehmen<br />

Interview mit Architekt Patrick Batek<br />

BATEK ARCHITEKTEN aus Berlin stehen für<br />

eine klare Gestaltung, die Räumen ihre Freiheit<br />

lässt. Das Büro befasst sich mit Lösungen für<br />

Architektur, Innenausbau und Möbeldesign mit<br />

Schwerpunkten auf dem Aus- und Umbau von<br />

Restaurants, Bars, Hotels, Arztpraxen, Büros<br />

sowie Privatwohnungen an historischen Orten<br />

und in Gebäuden mit bewegter Geschichte.<br />

Patrick Batek spricht im Interview über Chancen<br />

und Herausforderungen der neuen, digitalisierten<br />

Berufswelt und zeigt dabei sowohl positive<br />

wie negative Aspekte auf. Den Architekten<br />

der Zukunft sieht er ganz klar in der Rolle des<br />

Nachhaltigkeits-Managers – würde sich in<br />

diesem Zusammenhang allerdings bezüglich der<br />

Preisgestaltung, fairer und umweltfreundlicher<br />

Produktion sowie innovativem Design noch mehr<br />

Unterstützung seitens der Industrie wünschen.<br />

© Marcus Wend


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

7<br />

Patrick Batek<br />

Die Berufswelt der ArchitektInnen<br />

verändert sich praktisch täglich. Wo<br />

sehen Sie hier Chancen und Herausforderungen?<br />

Die Herausforderungen für ArchitektInnen<br />

entstehen aus den Krisen<br />

unserer Zeit – wie zum Beispiel der<br />

Klimakatastrophe oder wachsenden<br />

Ungleichheiten. Genau daraus ergibt<br />

sich meiner Meinung nach aber<br />

auch die Chance, diesen Schwierigkeiten<br />

durch Fortschritt und<br />

Innovation zu begegnen. Positiv<br />

betrachtet, zwingt jede Einschränkung<br />

zum Nachdenken und fordert<br />

das Finden neuer Ideen und Lösungen,<br />

von den Baumaterialien bis zu<br />

den Raumkonzepten.<br />

Wie gehen Sie persönlich mit<br />

dem Wandel der Zeit um?<br />

Der Wandel der Zeit, im Sinne von<br />

Globalisierung, Digitalisierung, New<br />

Work, Freiheitsbewegungen und<br />

Klimakatastrophe, ist eine große Inspirationsquelle<br />

für mich, die mich<br />

zur ständigen Weiterentwicklung<br />

antreibt und auch dazu, bestehende<br />

Konzepte zu hinterfragen, Lösungen<br />

zu finden und neu zu denken.<br />

Hat die immer weiter voranschreitende<br />

Digitalisierung Einfluss auf<br />

Ihre Arbeit?<br />

Die Digitalisierung beeinflusst mein<br />

Arbeitsleben als Architekt sehr stark.<br />

Viele Prozesse werden beschleunigt,<br />

was nicht immer von Vorteil ist.<br />

Durch die erhöhte Geschwindigkeit<br />

besteht leider auch die Gefahr, dass<br />

die Arbeit an Qualität und Tiefe verliert.<br />

In Bezug auf neue Arbeitssoftware<br />

und Technik empfinde ich die<br />

Digitalisierung wiederum als sehr positiv.<br />

Verschiedene Disziplinen werden<br />

vereint und man findet immer<br />

neue Wege zu konzeptualisieren. Design<br />

und Technik verschmelzen.<br />

Sollte sich der/die ArchitektIn der<br />

Zukunft (noch) aktiver für den Klimawandel<br />

einsetzen?<br />

Ja, das finde ich absolut zentral. Es<br />

gibt viele Ansätze in der Architektur,<br />

um der Klimakatastrophe entgegenzuwirken.<br />

Man sollte zum Beispiel auf<br />

die Nachhaltigkeit und Langlebigkeit<br />

von Baustoffen achten oder vorhandenes<br />

Material am Bau wiederverwerten.<br />

Auch verringerte Emissionen<br />

beim Bauprozess sind ein wichtiger<br />

Das Projekt RHE42 zeigt, wie auch mitten in der Stadt Berlin hochwertiger<br />

Wohnraum auf kleiner Fläche geschaffen werden kann.<br />

Aspekt. Wir sind spezialisiert auf<br />

den Aus- und Umbau von Bestandsobjekten,<br />

Restaurants, Bars, Hotels,<br />

Arztpraxen, Büros sowie Privatwohnungen<br />

an historischen Orten und in<br />

Gebäuden mit bewegter Geschichte.<br />

Der Respekt vor dem Bestandsraum<br />

sowie dessen Charakter ist unser<br />

fundamentales Prinzip.<br />

Bei unserer Sanierung des Yorck<br />

Kinos “Blauer Stern” haben wir beispielsweise<br />

vorhandene Materialien<br />

und Möbel – wie die alten Kinosessel<br />

und den Linoleum Boden – wieder<br />

eingesetzt. Zudem konnten wir den<br />

Energieverbrauch durch die Umstellung<br />

des gesamten Lichtsystems auf<br />

LED erheblich senken. Nachhaltiges<br />

Bauen sollte auf eine möglichst lange<br />

Lebensdauer des gesamten Gebäudes<br />

abzielen – ich denke da an hochwertige<br />

und haltbare Materialien und<br />

zeitlose sowie stringent durchdachte<br />

Raumkonzepte.<br />

u<br />

© Marcus Wend<br />

© Marcus Wend


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

8<br />

Patrick Batek<br />

© Marcus Wend<br />

Der VAAY Flagship Store befindet sich im Erdgeschoss eines historischen Gebäudes in Berlin-Mitte.<br />

Die neue Innen<strong>architektur</strong> setzt mit ganz in Weiß gehaltenen Einbauten auf Zurückhaltung.<br />

Ein positiver Aspekt, den Sie aus<br />

dem vergangenen Jahr mitgenommen<br />

haben?<br />

Das vergangene Jahr war für uns<br />

ein digitaler Quantensprung. Durch<br />

die Notwendigkeit, von zu Hause<br />

aus zu arbeiten, hat sich unser Büro<br />

neu organisiert. Unsere Arbeitsprozesse<br />

wurden aus dem Analogen<br />

ins Digitale umgesetzt und durch<br />

Video-Meetings mit Bauherren und<br />

Firmen konnten wir unsere Zeit letztendlich<br />

wesentlich effizienter nutzen.<br />

Der weitgehende Verzicht auf<br />

Flugreisen und Papierausdrucke war<br />

zudem sicherlich gut für die Umwelt.<br />

Wie können moderne Produkte, Baustoffe<br />

und Technologien Ihrer Meinung<br />

nach den Prozess des Umdenkens<br />

bezüglich des Klimawandels<br />

unterstützen?<br />

Da es gerade bei großen Bauprojekten<br />

um Kosteneffizienz geht, müssen<br />

moderne Produkte und Baustoffe<br />

vor allem preislich attraktiv sein. Ich<br />

finde jedoch, dass vor allem auch<br />

eine faire Produktion entscheidend<br />

sein sollte, um sowohl nachhaltig zu<br />

agieren, als auch menschlich gerecht.<br />

Innovatives Design kann durch neuartige<br />

Technologien und nachhaltige,<br />

recycelbare Materialien und Baustoffe<br />

einen Beitrag zum Umdenken<br />

leisten. Besonders sinnvoll wäre es<br />

jedoch, bestehende Materialien zu<br />

prüfen und gegebenenfalls wiederzuverwenden.<br />

Anstatt immer auf neue<br />

Produkte und Bauten zu setzen, wäre<br />

es sinnvoller, langlebig zu bauen und<br />

zu sanieren, wo es möglich ist.<br />

Was macht den modernen Baustoff<br />

aus und wie können Hersteller dem<br />

gerecht werden?<br />

Durch die oben genannten Faktoren<br />

Preis, faire und umweltfreundliche<br />

Produktion sowie innovatives Design.<br />

Um welche Entwicklung wird es in<br />

den nächsten Jahren Ihrer Meinung<br />

nach keinen Weg geben?<br />

Wie eingangs besprochen, wird kein<br />

Weg vorbei führen an wirklich nachhaltigen<br />

Materialien und Bauweisen.<br />

Vor dem Hintergrund der zunehmenden<br />

Urbanisierung und Landflucht<br />

wird bezahlbarer Wohnraum in den<br />

Metropolen in den kommenden Jahren<br />

immer wichtiger werden, wobei<br />

der aktuelle Trend eher zur Suburbanisierung<br />

geht, da die Mieten in den<br />

Metropolen explodieren. In diesem<br />

Zuge werden auch kleinere Wohnungen<br />

und geschickte Raumkonzepte<br />

für die Nachverdichtung immer relevanter<br />

werden.<br />

•<br />

www.batekarchitekten.com<br />

© Marcus Wend<br />

Im Zuge der Sanierung des seit 1933<br />

bestehenden, traditionsreichen Berliner<br />

Programmkinos YORCK KINO BLAUER<br />

STERN, wurde das Foyer erweitert und die<br />

beiden Säle neu gestaltet.


Marva Net. Drehstuhl mit Netzbespannung und unsichtbar integrierten ergonomischen Funktionen. Design: Mathias Seiler<br />

www.girsberger.com/marva-net


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

10<br />

Smartvoll<br />

Die Architektur mit<br />

Ideen aufladen<br />

Interview mit Philipp Buxbaum und Christian Kircher<br />

smartvoll ist das Team rund um Philipp Buxbaum und Christian Kircher, das<br />

an komplexen Aufgabenstellungen wächst und durch die damit verbundenen<br />

Herausforderungen aufblüht. Mit ihrer Arbeit spannen sie thematische<br />

Bögen zwischen Adaptive Reuse und Klimaresilienz in der Architektur. Der<br />

Entwurfsprozess ihrer Projekte ist gekoppelt an ein starkes Interesse an<br />

Forschung, die parallel dazu abläuft. Denn für smartvoll gilt es, die Architektur<br />

mit Ideen aufzuladen.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

11<br />

Smartvoll<br />

Das Gemeindezentrum Großweikersdorf befindet sich in dessen Ortsmitte. Für Smartvoll<br />

war es notwendig, es dort zu platzieren und nicht etwa außerhalb der Ortschaft. Unter<br />

seinem Dach vereint es das Rathaus, das Vereinshaus und ein Ärztezentrum.<br />

© Dimitar Gamizov<br />

Welche Bedeutung hat<br />

Forschung für Ihre Arbeit?<br />

Philipp Buxbaum (PB): Wir vertiefen<br />

uns bei unseren Projekten sehr in<br />

die Recherche. Unsere architektonischen<br />

Überlegungen sind gekoppelt<br />

an Gedanken zu Gesellschaft,<br />

Soziokulturellem und Umwelt. Diese<br />

Aspekte vermischen wir mit unserer<br />

Architektur zu etwas, das wir den<br />

Leuten mitgeben können. Das aus<br />

unserer internen Forschung gewonnene<br />

Wissen möchten wir transportabel<br />

machen. Wir wollen den Menschen<br />

mitteilen, dass Architektur<br />

ihr Leben täglich und auf eine sehr<br />

positive Weise beeinflussen kann.<br />

Aus diesem Grund finden wir auch,<br />

dass Architektur ein Bestandteil der<br />

Schulbildung sein soll.<br />

Christian Kircher (CK): In die Vorentwurfs-<br />

und Entwurfsphase fließt<br />

bei unseren Projekten sehr viel Zeit<br />

und Energie hinein. Wir möchten sie<br />

so auf eine andere Ebene heben und<br />

einen Mehrwert finden. Dazu passt,<br />

dass wir uns mit Projekten wohl fühlen,<br />

bei denen es komplizierter wird<br />

und wir Herausforderungen haben.<br />

Wie wählen Sie Wettbewerbe aus,<br />

bei denen Sie mitmachen?<br />

CK: Überall dort, wo wir Potenzial<br />

sehen weiterzugehen, sind wir dabei.<br />

Auch mit Bauherrn, die etwas entwickeln<br />

wollen, arbeiten wir gerne<br />

zusammen. Beim Gemeindezentrum<br />

in Großweikersdorf beispielsweise<br />

hat uns der Bürgermeister eingeladen<br />

mitzumachen. Da war für uns<br />

klar: Wenn er auf der grünen Wiese<br />

außerhalb des Ortes bauen will, dann<br />

machen wir nicht mit. Eine freie Fläche<br />

zu versiegeln war dabei nicht<br />

das Hauptargument dagegen. Eher<br />

finden wir, dass ein Gemeindezentrum<br />

in der Ortsmitte zu seien hat.<br />

Glücklicherweise waren das auch die<br />

Vorstellungen der Gemeinde, auf denen<br />

wir dann aufgebaut haben.<br />

PB: Dazu muss gesagt werden, dass<br />

es für uns viel mehr Ausschlussgründe<br />

als Einschlussgründe gibt.<br />

Wir stellen an jedes Projekt vier Anforderungen:<br />

Interesse, Mehrwert,<br />

Entwicklungspotenzial und Finanzielles.<br />

Vor allem geht es darum, ob die<br />

Aufgabenstellung für uns als Team<br />

interessant ist. Unser Anspruch liegt<br />

nicht darin, uns mit einer Sache zu<br />

quälen und diese einfach nur abzuarbeiten.<br />

Das Projekt muss ein Mehrwert<br />

sein, quasi ein Geschenk für die<br />

Umgebung, an die darin wohnenden<br />

Menschen oder ähnliches. Ebenso<br />

relevant ist der Bauherr und seine<br />

Herangehensweise an das Projekt.<br />

Wenn wir ihn nicht auf eine Reise<br />

mitnehmen können und er schon zu<br />

Beginn das Ende der Reise kennt,<br />

dann ist er der falsche für uns. Auch<br />

technische Aspekte sind wichtig und<br />

ob es finanziell okay ist. Wenn diese<br />

vier Punkte nicht erfüllt sind, machen<br />

wir das Projekt nicht.<br />

Wie transportieren Sie den<br />

Mehrwert Ihrer Projekte?<br />

PB: Es gibt einen großen Unterschied<br />

dazwischen, ein Projekt zu beschreiben<br />

oder zu erklären. Beim Erklären<br />

werden die Inhalte, die Überlegungen,<br />

die Geisteshaltung und Einflüsse<br />

transportiert, die zu dem Projekt<br />

geführt haben. So kann man jemanden<br />

viel stärker mitnehmen und klar<br />

machen, was die Ideen dahinter sind.<br />

CK: Es muss Möglichkeiten zur Identifikation<br />

geben. Eine Verständnisebene<br />

muss geschaffen werden,<br />

die nicht nur ausdrückt, dass es ein<br />

superlässiges Projekt ist. Es muss<br />

weiters auch entmystifiziert werden,<br />

sodass klar wird, was der Mehrwert<br />

dahinter ist. Das funktioniert mittels<br />

Emotionen, die wir durch das Projekt<br />

vermitteln. Wenn wir während<br />

des Arbeitsprozesses merken, dass<br />

wir selbst nicht emotionalisiert sind,<br />

dann ist es auch schwer die Emotionen<br />

später rüberzubringen. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

12<br />

Smartvoll<br />

Wie hat sich das Berufsbild der<br />

ArchitektInnen verändert?<br />

CK: ArchitektInnen sollten den Leuten<br />

erklären, wie und warum sie<br />

etwas machen. Das Aussehen der<br />

Architektur steht mit vielen Einflüssen<br />

im Zusammenhang, die weit weg<br />

sind von Ästhetik und Funktion. Es<br />

ist eine komplexe Querschnittsmaterie,<br />

in die viele Ströme hineinfließen.<br />

Wenn man das den Leuten einfach<br />

aufbereitet und sie am Prozess teilhaben<br />

lässt, dann ist das viel besser<br />

als den Vorhang zuzumachen und ihn<br />

am Schluss für das fertige Produkt<br />

wieder zu öffnen. Den Prozess zu verstehen<br />

und ihn erklären zu können,<br />

schafft einen ganz anderen Identifikationswert<br />

und eine bessere Verständnisebene,<br />

als jemandem einfach<br />

nur ein fertiges Haus vorzusetzen.<br />

PB: Es geht darum Projekte zu erzeugen,<br />

die nicht nur Hochglanzbilder<br />

sind, sondern sie mit Ideen aufzuladen.<br />

Diese Ideen muss man dann<br />

auf entsprechenden Kanälen und mit<br />

verständlichen Darstellungsmethoden<br />

unter die Bevölkerung bringen<br />

und ihr vermitteln. So beginnen die<br />

Leute, etwas mit dir zu verbinden<br />

und dein Gewicht steigt. Auf diese<br />

Weise schafft man es auch, die Leute<br />

einfacher zu überzeugen.<br />

Welche Verantwortung tragen<br />

ArchitektInnen heute?<br />

PB: Wir versuchen unseren Bauherrn<br />

verständlich zu machen, dass die<br />

Entwicklung einer Architektur ein<br />

langsamer, aber wichtiger Prozess<br />

ist. Deshalb soll nicht in die Ausführungsplanung<br />

das meiste Geld hineinfließen.<br />

Es sollen dort Stunden<br />

investiert werden, wo der größte<br />

Mehrwert generiert wird.<br />

CK: Gebäude stehen heute etwa hundert<br />

Jahre. Der Sinn und Zweck der<br />

Nachhaltigkeit liegt darin zu schauen,<br />

wie lange das Gebäude steht<br />

und Qualität bieten kann. In diesem<br />

Sinne muss ein Gebäude als Möglichkeitsraum<br />

für die Community, für<br />

die Menschen und auch für alle anderen,<br />

die in der Nähe sind und damit<br />

zu tun haben, funktionieren. Auch ist<br />

die Bauwirtschaft noch im „Abreißen-und-Neubauen-Modus“.<br />

Als Architekten<br />

leisten wir auch da unseren<br />

Beitrag und sind meinungsbildend.<br />

Wir können sagen, dass etwas nicht<br />

abgerissen werden muss und stehen<br />

bleiben soll. Da ist gerade etwas in<br />

Bewegung, das den Architekten wieder<br />

mehr Gewicht verleiht.<br />

© Dimitar Gamizov<br />

Im Inneren des Gemeindezentrums<br />

Großweikersdorf zeigt sich ein Bild<br />

einer noch ungewöhnlichen Gestaltungsart<br />

eines Verwaltungsbaues:<br />

transparent und zugänglich.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

13<br />

Smartvoll<br />

Über welche Themen sollte mehr<br />

gesprochen werden?<br />

CK: In der Architektur findet gerade<br />

ein riesiger Paradigmenwechsel<br />

statt. Es geht jetzt darum, etwas bei<br />

den globalen Herausforderungen unserer<br />

Zeit – vor allem das Klima und<br />

die Mobilität betreffend – zu bewirken<br />

und auch in der Architektur Antworten<br />

darauf zu finden. Einerseits<br />

muss man sich dazu selbst erst eine<br />

Meinung bilden, andererseits auch<br />

Research betreiben. Einen Architekturdiskurs<br />

und eine Architekturkritik<br />

gibt es in Österreich grundsätzlich<br />

keine mehr. Fertiggestellte Projekte<br />

werden überall nur abgelichtet,<br />

spannender wäre es aber über die<br />

Architektur an sich zu diskutieren.<br />

Zu einem Diskurs gehören jedenfalls<br />

Emotionen. Wenn die Gebäude an<br />

sich emotionslos sind, dann ist es<br />

auch der Diskurs darüber.<br />

PB: Den Architekturdiskurs in Österreich<br />

auf inhaltlicher Ebene bekommen<br />

wir defacto nicht mit. Wenn<br />

nicht mehr diskutiert wird, scheint<br />

es keine Projekte mehr zu geben,<br />

die etwas auslösen. Einen Schritt<br />

weiter noch als emotionalisieren ist<br />

polarisieren. Domenig oder Prix haben<br />

zu ihrer Zeit Skandale mit ihren<br />

Projekten produziert und damit die<br />

Diskussion angeregt. Da kann man<br />

dazu stehen wie man will, aber es hat<br />

darüber zumindest einen Diskurs gegeben.<br />

Ein Diskurs muss mehr in die<br />

gesellschaftliche und soziokulturelle<br />

Mitte gedrängt werden. Der erste<br />

Schritt dazu ist Best-Practice-Beispiele<br />

zu produzieren. Mit guten<br />

Projekten, die einen gewissen inhaltlichen<br />

und thematischen Bezug haben,<br />

kann man die Leute begeistern.<br />

Wann merken Sie, dass Sie den<br />

richtigen Beruf gewählt haben?<br />

CK: Für mich stehen die Emotionen im<br />

Vordergrund. Wirtschaftlich gibt es sicher<br />

lukrativere Berufe, aber Emotionen<br />

bekommt man nirgendwo anders<br />

so viele ab. Alleine schon die Ups und<br />

Downs während des Entwurfs sind<br />

spannend. Später auch, wie das Projekt<br />

beim Bauherrn ankommt und natürlich<br />

der Ablauf des Bauprozesses.<br />

Zuletzt wird das Projekt mit Leben<br />

gefüllt und man sieht, ob alles so wie<br />

geplant funktioniert. Wenn dann noch<br />

die Leute, die mit deinem Projekt zu<br />

tun haben, emotionalisiert sind, dann<br />

hat es sich gelohnt.<br />

PB: Wenn wir merken, dass die Leute<br />

in unserem Projekt einfach glücklich<br />

sind, sich darin weiterentwickeln<br />

und darin etwas gefunden haben,<br />

dann geht das weit darüber hinaus<br />

einfach nur das Gebaute zu sehen.<br />

Denn dann wissen wir, dass es passt.<br />

Auch die Architektur als generalistische<br />

Disziplin mit ihrer riesigen<br />

Querschnittsmaterie, bei der man<br />

in viele unterschiedliche Bereiche<br />

hineinschnuppern kann, macht es<br />

aus. Es wird so nie langweilig. Das ist<br />

auch der Grund, wieso wir bis zum<br />

Schluss Spaß an unserem Beruf haben<br />

werden.<br />

•<br />

www.smartvoll.com<br />

Alt und Neu fügen sich beim Haus B in Klosterneuburg zusammen.<br />

Das Haus mit seinen vielen Mängeln war für die sechsköpfige<br />

Bauherrenfamilie zwar zu klein, sie wollten es aber<br />

trotzdem unbedingt behalten. Deshalb wurde es kurzerhand<br />

passend gemacht und mit den fehlenden Räumen erweitert.<br />

© Dimitar Gamizov


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

14<br />

Andi Breuss<br />

Jedes Haus ein<br />

(wünschenswertes)<br />

Experiment<br />

Interview mit Lehmbauexperten Andi Breuss<br />

Andi Breuss widmet sich mit seiner<br />

Architektur und Forschung den naturverbundenen<br />

Materialien Holz und<br />

Lehm. Wie man damit nicht nur neu<br />

baut, sondern auch mit Bestehendem<br />

arbeiten kann, macht er mit seinen<br />

Bauten vor. Mit naturnahen Produkten<br />

und Systemen entstehen so eindrucksvolle<br />

Referenzprojekte. Was ihm am<br />

Markt fehlt entwickelt er selbst, etwa<br />

ein Holz-Lehm-Verbundsystem oder<br />

Lehmestrich. Neben dem Technischen<br />

steht auch immer das Soziale im<br />

Vordergrund. So lotet er die Lebenssituationen<br />

und Bedürfnisse seiner<br />

Bauherrn genau aus. So ergeben sich<br />

Potenziale und Möglichkeiten, die jedes<br />

Haus zu einem größeren oder kleineren<br />

Experimentierfeld machen.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

15<br />

Andi Breuss<br />

Im niederösterreichischen Mitterretzbach gestaltet<br />

Andi Breuss ein altes Lehmhaus zu einem zeitgemäßen<br />

Wohnhaus für eine neue Generation um.<br />

Fotos: Romana Fürnkranz<br />

Herr Breuss, wie beschreiben Sie Ihren<br />

Beruf jemandem, der nicht vom<br />

Fach ist?<br />

Der Architektenberuf ist ein sehr<br />

kreativer Beruf, der viel mit Ideen<br />

und Gestaltung zu tun hat. Er umfasst<br />

nicht nur den Planungsprozess<br />

für den Bau eines Hauses, sondern<br />

bringt eine große gesellschaftliche<br />

Relevanz und Kompetenz mit sich.<br />

Dabei geht es um die Umwelt, um<br />

Nachhaltigkeit, um Gesellschaft, um<br />

alles, was Wohnen und Arbeiten betrifft.<br />

Insofern ist eine sehr umfassende<br />

Zugangsweise notwendig.<br />

Inwiefern hilft Ihnen ihr vorangegangenes<br />

Studium der Psychologie und<br />

Soziologie weiter?<br />

Damals habe ich das Studium mit<br />

einer wohnpsychologischen Arbeit<br />

abgeschlossen. Es ging um eine Untersuchung,<br />

wie die an das Wohnen<br />

gerichteten Bedürfnisse mit dem tatsächlichen<br />

Wohnverhalten übereinstimmen.<br />

Da habe ich erkannt, dass<br />

tatsächlich sehr wenig Bedürfnisse<br />

deklariert und definiert werden. Man<br />

hat das Wohnen einfach so genommen,<br />

wie es ist. Mein Interesse daran<br />

ist größer geworden und ich<br />

habe aus dem Theoretischen heraus<br />

versucht, gewisse Dinge neu zu definieren.<br />

Mit diesem Interesse, ein<br />

breiteres Angebot zu schaffen und<br />

ein erweitertes Wohnbedürfnis herauszukitzeln,<br />

bin ich dann in der Architektur<br />

gelandet. Geholfen hat mir<br />

vielleicht der Umstand, dass ich eben<br />

nicht klassischerweise Architektur<br />

studiert habe. Da bekommt man sehr<br />

klare Vorgaben und Vorstellungen,<br />

was Architektur zu leisten hat. Ich<br />

bin da quasi den umgekehrten Weg<br />

gegangen und habe mich zuerst<br />

mit den sozialen und menschlichen<br />

Komponenten auseinandergesetzt.<br />

Wie hat sich Ihr Interesse für naturverbundene<br />

Materialien entwickelt?<br />

In der Auseinandersetzung mit<br />

menschlichen Bedürfnissen geht<br />

es nicht nur um soziologische und<br />

gesellschaftliche Aspekte rund um<br />

Architektur. Auch individuelle Erfahrungsebenen<br />

spielen eine Rolle.<br />

Der Mensch hat eine Beziehung zu<br />

Material und Oberfläche, Atmosphäre<br />

und Licht. Diese beeinflusst ganz<br />

stark die Psyche und den seelischen<br />

Zustand. Nach einer gewissen Zeit<br />

habe ich erkannt, dass es Materialien<br />

gibt, die toll ausschauen und ein super<br />

Bild abgeben, aber man bekommt<br />

Kopfweh von ihnen und sie stinken<br />

wie eine Chemiefabrik. Da hat sich<br />

dann die Frage gestellt, was ich stattdessen<br />

nehmen kann. So bin ich auf<br />

naturverbundene Materialien gekommen.<br />

Schon vor und neben meinem<br />

Holzbau-Studium habe ich mich mit<br />

Lehm- und Strohbau beschäftigt. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

16<br />

Andi Breuss<br />

Wie gehen Sie an ein<br />

neues Projekt heran?<br />

Am Anfang steht ein sehr langes Gespräch<br />

mit den Bauherrn, das meist<br />

zwei oder drei Stunden dauert. Da<br />

wird viel über Lebenssituationen und<br />

Bedürfnisse gesprochen. Ich lote<br />

sehr genau aus, was der Einzelne,<br />

das Paar oder die Familie möchte.<br />

Jeder Raum wird hinsichtlich seiner<br />

funktionellen und kommunikativen<br />

Anforderungen durchleuchtet. Daraus<br />

ergibt sich für mich ein Bild,<br />

auf das ich reagiere. Das kann dann<br />

durchaus auch etwas Experimentelles<br />

sein.<br />

Welche Bedeutung hat das Experimentelle<br />

bei Ihren Projekten?<br />

Ich würde mir wünschen, dass jedes<br />

Haus ein Experimentierfeld ist,<br />

möchte es den Leuten aber nicht<br />

überstülpen. Das kann ein Experiment<br />

mit technischen Neuerungen<br />

sein, wie das Haus in Mitterretzbach,<br />

wo ein altes Lehmhaus in einen zeitgemäßen<br />

Wohnbau für eine neue Generation<br />

transformiert wurde. Auch<br />

betreffend der Grundrissgestaltung,<br />

wie Leute zusammenwohnen, versuche<br />

ich neue Ansätze zu entwickeln.<br />

Das Projekt in Reichhalms war<br />

zuerst als Einfamilienhaus gedacht.<br />

Nach den ersten Gesprächen mit der<br />

Bauherrenschaft hat sich herausgestellt,<br />

dass sie damit jedoch gar<br />

nicht so glücklich waren und es auch<br />

eine Unsicherheit gab, von der Stadt<br />

aufs Land zu ziehen. Daraus hat sich<br />

dann ein Co-Sharing-Projekt entwickelt,<br />

das ebenfalls ein Experiment<br />

war. Es wurde nicht eines, sondern<br />

drei Häuser gebaut, wo mehrere<br />

Personen wohnen und/oder arbeiten<br />

können. Dadurch kann man auch soziale<br />

Funktionen teilen, und fehlende<br />

infrastrukturelle Angebote am Land<br />

kompensieren.<br />

Ist das Bewusstsein der ArchitektInnen<br />

für gesundes Bauen und Wohnen<br />

gestiegen?<br />

In der Architektenschaft wundere ich<br />

mich ein bisschen, denn jeder sagt,<br />

dass das wahnsinnig wichtig ist.<br />

Wenn man das wirklich ernst meint,<br />

dann kann man aber nicht einfach<br />

Materialien und bautechnische Lösungen,<br />

so wie sie schon immer waren,<br />

darüberstülpen. Es ist natürlich<br />

mehr Aufwand sich die Produkte, die<br />

man verwendet, genau anzuschauen.<br />

Interessanterweise gibt es da viel<br />

mehr Alternativangebote in der Industrie,<br />

als man glaubt. Ich schreibe<br />

beispielsweise in den Vertrag für den<br />

Baumeister immer hinein, dass alle<br />

Kanalrohre und Verrohrungen PVCfrei<br />

sein müssen. Das sind Schritte,<br />

wo der Planer durchaus etwas nachhaltiges<br />

tun kann, wenn er das möchte.<br />

Die CO 2 -Emissionen beim Bauen<br />

sind sehr hoch. Zement wird immer<br />

hauptverantwortlich gemacht, aber<br />

natürlich sind das auch alle anderen<br />

Materialien, hinter denen die Betonindustrie<br />

und chemische Industrie<br />

steht. Wir Planer sind mitverantwortlich<br />

und können und sollen etwas tun.<br />

Natürlich muss die Politik und der<br />

Gesetzgeber auch nachziehen, denn<br />

das Bauen ist viel zu kompliziert geworden.<br />

Ebenso muss der Bauherr<br />

bereit sein mitzumachen. Der Planer<br />

ist jedenfalls derjenige, der dieses<br />

Rädchen anfängt zu drehen.<br />

Wie kann die wichtige Ressource<br />

Lehm als Rohstoff und auch in Form<br />

von alten Bestandsbauten näher ins<br />

Bewusstsein rücken?<br />

Ich versuche mit meinen Projekten<br />

Referenzen zu bauen. In Mitterretzbach<br />

fungiert der Umbau meines<br />

eigenen Hauses als Forschungsbaustelle.<br />

Hinten am Grund habe ich<br />

eine große Lehmgrube ausgehoben.<br />

Die Transformation und Sanierung<br />

dieses alten Bauernhofes mache<br />

ich ausschließlich aus dem Aushub<br />

dieser Grube. Ich schaue, wie weit<br />

ich mit diesem Lehm komme, um<br />

synthetische Baustoffe zu ersetzen.<br />

Die Verwendung als Lehmputz ist<br />

klar, aber auch die Sanierung des alten<br />

Mauerwerks und Anschlüsse im<br />

Holzbau, wie z.B. die Luft- und Winddichtigkeit,<br />

Gebäudeabdichtungen<br />

und auch ein Stampflehmboden sind<br />

möglich. Lehm ist als Grundmaterial<br />

zu sehen, das je nach Mischung in<br />

unterschiedliche Aggregatzustände<br />

gebracht und für verschiedene Funktionen<br />

angewendet werden kann. Ich<br />

zeige, dass ich das Material direkt aus<br />

dem Aushub verwenden, und damit<br />

Baustoffe für unterschiedliche Anforderungen<br />

herstellen kann. So bin<br />

ich in der Lage einen zeitgemäßen<br />

Bau herzustellen, der komplett ohne<br />

Chemie auskommt. Erklären kann ich<br />

diese Möglichkeit zwar oft, aber erst<br />

das Herzeigen und Angreifen schafft<br />

ein Aha-Erlebnis. Die zweite wichtige<br />

Ebene der Bewusstseinsbildung ist<br />

die Forschung. Den Aushub betreffend<br />

möchten wir gerne ein einfaches<br />

Messtool entwickeln, mit dem man die<br />

prinzipiell wichtigsten Mischungen<br />

des Lehms mit einer Art Werkzeugkasten<br />

untersuchen kann. Dafür haben<br />

wir aber noch kein Forschungsprojekt<br />

bekommen. Wenn man einen<br />

Aushub verwenden will, der beim<br />

Straßenbau oder Hausbau anfällt,<br />

kommt da neben Humus in den allermeisten<br />

Fällen auch Lehm vor. Man<br />

könnte versuchen den Lehmaushub<br />

nicht auf eine Deponie sondern auf<br />

den örtlichen Bauhof zu führen. In<br />

historischen Zeiten hat die Gemeinde<br />

sehr oft den Lehm der Bevölkerung<br />

zur Verfügung gestellt. Man hat ihn<br />

Dem Befürfnis nach Licht und Offenheit kommt die<br />

Umgestaltung nach, ohne die Geschichte des Gebäudes<br />

zu verbergen. Diese bleibt auch im Inneren ablesbar<br />

und macht es so unverwechselbar.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

17<br />

Andi Breuss<br />

Ein neuer Ansatz des Zusammenlebens im ländlichen Raum ist bei den Wohnbauten<br />

im niederösterreichischen Reichenhalms erprobt worden. Als Co-Sharing-Haus<br />

teilt es soziale Aufgaben unter den Bewohner:innen auf und versucht fehlende<br />

infrastrukturelle Angebote durch die Gemeinschaft zu kompensieren.<br />

gesammelt und wenn ihn jemand benötigt<br />

hat, konnte man ihn kostenlos<br />

nehmen. Für komplexere Lehmanwendungen<br />

muss erst ein Bewusstsein<br />

entwickelt werden. Dafür können<br />

Prototypen mit einer ansprechenden<br />

Architektur dienlich sein.<br />

Welche Instrumente können geschaffen<br />

werden, um den Lehmbau<br />

weiter zu verbreiten?<br />

Ich selbst habe ja ein paar Dinge<br />

entwickelt und ich komme da natürlich<br />

nicht weiter, wenn diese neu<br />

entwickelten Lösungen nicht geprüft<br />

werden. Ich muss nachweisen, dass<br />

mein Bausystem zum Beispiel luftdicht<br />

ist, und der Schallschutz und<br />

Brandschutz den Anforderungen<br />

entspricht. Sonst wird niemand ein<br />

Haus damit planen und bauen. Für<br />

den Lehmbau gibt es aktuell nur wenige<br />

Normen. Ob eine Norm für den<br />

Lehmbau das richtige ist bezweifle<br />

ich, denn auf eine Norm wird dann<br />

wieder eine andere Norm daraufgesetzt.<br />

Dann wird das Ganze immer<br />

komplizierter, was beim Lehm nicht<br />

passieren sollte. Eher muss viel mehr<br />

Geld in Prüfungen von Lehmanwendungen<br />

investiert werden. Das<br />

Netzwerk Lehm engagiert sich da<br />

auch besonders und versucht Forschungsprojekte<br />

aufzutreiben. Ziel<br />

ist, Details mit geprüften Aufbauten<br />

in einer Datenbank — ähnlich der von<br />

Dataholz — zur Verfügung zu stellen.<br />

Das würde den interessierten Planer<br />

bei der Anwendung von Lehmbaustoffen<br />

unterstützen und motivieren.<br />

Ich kann von keinem Planer erwarten,<br />

sich selbst einer jahrelangen<br />

Forschung zu widmen. Mit besseren<br />

Unterlagen hätte der Planer mehr<br />

Sicherheit und kann auch besser vor<br />

dem Bauherrn argumentieren.<br />

Passt das Angebot an Produkten<br />

und ausführenden Firmen für Naturmaterialien<br />

mit der Nachfrage danach<br />

zusammen?<br />

Immer mehr Firmen beschäftigen<br />

sich seriös mit dem Thema Nachhaltigkeit<br />

und neuen bautechnischen<br />

Ideen. Auch einige Baumeister<br />

sind dafür mittlerweile sehr<br />

offen. Sie treffen auf eine interessierte<br />

Kundschaft. Da hat sich in<br />

den letzten Jahren etwas bewegt,<br />

auch speziell am Land. Das Interesse<br />

ist da, aber das Know-how und<br />

das Wissen fehlen oft. In der Baumeisterausbildung<br />

könnte es zum<br />

Beispiel verstärkt Zusatzangebote<br />

für natürliches Bauen mit Holz und<br />

Lehm geben. Auch Praxisseminare<br />

helfen, die Angst vor dem Arbeiten<br />

mit Lehm zu nehmen. Bei den Bauprodukten<br />

sind meine Erfahrungen<br />

auch eher positiv. Ich finde fast immer<br />

das, was ich haben will und bekomme<br />

jetzt auch schon häufig die<br />

Kennwerte dazu. Mittlerweile wurde<br />

verstanden, dass Untersuchungen<br />

und die Angabe von technischen<br />

Eigenschaften notwendig sind, um<br />

neue Produkte zu verkaufen.<br />

Nach welchen Kriterien wählen Sie<br />

die Firmen aus, mit denen Sie zusammenarbeiten?<br />

Zuerst schaue ich, welche Firmen es<br />

in der Umgebung gibt. Das ist praktisch,<br />

denn sie kennen den Boden,<br />

die Gepflogenheiten vor Ort und<br />

auch die Behörden. Beim Holzbau<br />

heißt es immer, dass Vorarlberg das<br />

beste Holzbauland ist. Man kann<br />

aber auch in Niederösterreich und<br />

im Burgenland ausgezeichnete Holzbauer<br />

finden, die sehr kompetent<br />

sind, zusätzliche Ausbildungen gemacht<br />

haben, viel Wissen mitbringen<br />

und sich auch mit Naturbaustoffen<br />

beschäftigen. Sie verstehen meine<br />

Ansprüche und es entstehen immer<br />

interessante Diskussionen, weil sie<br />

ja aus der Praxis kommen und viele<br />

Anwendungsbeispiele und Fehler<br />

kennen, aus denen zu lernen ist.<br />

Wo wünschen Sie sich, dass der<br />

Lehmbau in zehn Jahren steht?<br />

Ich wünsche mir, dass die Möglichkeiten,<br />

die der Lehmbau bietet, auch<br />

tatsächlich irgendwann zum Durchbruch<br />

kommen. Bei den CO 2 -Emissionen<br />

würde das wahnsinnig helfen<br />

und auch die Wohnqualität würde das<br />

enorm verbessern. Zudem wünsche<br />

ich mir, dass die meisten Anwendungen<br />

innerhalb eines Bauprozesses mit<br />

Lehm und Holz ausgeführt werden<br />

und das Bauen im Sinne der Kreislaufwirtschaft<br />

selbstverständlich ist. •<br />

www.andibreuss.at<br />

www.netzwerklehm.at


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

18<br />

Martin Junger<br />

Der Umweltschutz<br />

als Anstoß<br />

für Innovation<br />

Interview mit Architekt Martin Junger<br />

Architekt Martin Junger führt gemeinsam<br />

mit Stefan Beer Junger das Architekturbüro<br />

junger_beer in Wien. Dabei<br />

blickt das Büro, das sich unter anderem<br />

auf die Planung von Wohnhäusern und<br />

Büros sowie Umbauten spezialisiert<br />

hat, auf mehr als 20 Jahre Erfahrung<br />

zurück. Während seiner Tätigkeit in<br />

der Baubranche, hat Martin Junger<br />

mit dem Einsatz von unterschiedlichen<br />

Materialien Erfahrung gesammelt. In<br />

diesem Interview gibt der Planer seine<br />

Stellungnahme zur Wahl der Baustoffe<br />

in der Architektur und deren Auswirkungen<br />

auf den Klimaschutz ab.<br />

© junger_beer architekten


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

19<br />

Martin Junger<br />

Gibt es Materialien, die Sie in der Bauplanung<br />

in Bezug auf nachhaltige Bauten<br />

als besonders wichtig ansehen?<br />

Meiner Ansicht nach, sind vor allem<br />

Brettsperrholzelemente und großformatige<br />

Mehrschichtholzplatten für<br />

klimaverträgliches Bauen besonders<br />

wichtig. Doch gleichermaßen erachte<br />

ich alternative Dämmsysteme – in<br />

diesem Kontext sind unter anderem<br />

Zellulose und Holzfaserdämmplatten<br />

zu erwähnen – in puncto Nachhaltigkeit<br />

als unverzichtbar. Es gilt<br />

beim Hausbau aber immer, für jede<br />

Situation die bestmögliche Lösung<br />

zu finden. Aufgaben sind hier immer<br />

individuell anzugehen.<br />

Für den Umweltschutz in der Architektur<br />

ist es grundsätzlich auch<br />

notwendig, auf recyclebare Baustoffe<br />

und Bauweisen zu setzen. Nur so<br />

lässt sich auf lange Sicht der Verschwendung<br />

von Rohstoffen entgegenwirken.<br />

In der Baubranche besteht<br />

in diesem Punkt auf jeden Fall<br />

noch Aufholbedarf.<br />

Von welchen Baustoffen kann die<br />

Architektur – Ihrer Meinung nach<br />

– in der Zukunft am meisten profitieren?<br />

Welche Materialien kommen<br />

womöglich in den nächsten Jahren<br />

vermehrt zur Anwendung?<br />

Zukunftsträchtig sehen wir auf jeden<br />

Fall Baustoffe aus nachwachsenden<br />

Rohstoffen an. Denn so ist es in der<br />

Architektur möglich, nachhaltig zu<br />

bleiben. Holz ist in diesem Fall ein<br />

besonders wichtiger Rohstoff.<br />

Doch auch sämtliche Materialien, die<br />

in einer Kreislaufwirtschaft Bestand<br />

haben, können die Baubranche bereichern<br />

und diese in Zukunft auf ein<br />

neues Level bringen. Es sollte das<br />

Bestreben in der heutigen Zeit also<br />

darin bestehen, Baustoffe so oft wie<br />

möglich wiederzuverwenden. Das<br />

Recycling hat in Bezug auf den Klimaschutz<br />

damit auch in der Architektur<br />

einen hohen Stellenwert. Nur<br />

dann, wenn ein Baustoff die erwähnte<br />

Voraussetzung erfüllt, ist es im<br />

Bau möglich, klimaneutral zu bleiben.<br />

Ist in Bezug auf die verwendeten<br />

Materialien in der Baubranche ein<br />

Wandel erforderlich? In welchen Bereichen<br />

gibt es diesbezüglich Entwicklungsmöglichkeiten?<br />

Es ist in der Baubranche sicherlich<br />

ein Umdenken erforderlich, wenn<br />

es um die Wahl und den Einsatz der<br />

Materialien geht. In diesem Kontext<br />

ist unter anderem die unbedingt notwendige<br />

Reduktion von Stahlbeton<br />

zu erwähnen. Dies liegt daran, dass<br />

bei der Herstellung von Zement hohe<br />

Mengen an CO 2 -Emissionen abgegeben<br />

werden. Auch benötigt der gesamte<br />

Prozess viel Energie, was sich<br />

auf lange Sicht defintiv negativ auf<br />

die Umwelt niederschlägt.<br />

Es ist immer besser, auf erneuerbare<br />

Materialien wie Holz zu setzen. In diesem<br />

Punkt besteht in der Architektur<br />

auf jeden Fall noch Aufholbedarf. u<br />

Haus im Park: Die Realisierung eines Wohnhauses<br />

durch junger_beer architekten in<br />

einer ungewöhnlichen Lage.<br />

© junger_beer architekten


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

20<br />

Martin Junger<br />

© junger_beer architekten<br />

Holzhaus in Golling: Ein Beispiel für den Einsatz von Holz als Baustoff beim Einfamilienhaus.<br />

Welche Chancen sehen Sie für die<br />

Baubranche im nachhaltigen/klimaverträglichen<br />

Bauen?<br />

In diesem Punkt will ich die Automobilindustrie<br />

als Beispiel erwähnen.<br />

Denn hier entwickelten sich durch<br />

den Einsatz klimaverträglicher Technologien,<br />

wie beispielsweise der Einführung<br />

von E-Autos, neue Märkte<br />

und Arbeitsfelder.<br />

Ähnlich könnte es letzten Endes<br />

auch in der Architektur ablaufen.<br />

Durch die vermehrte Investition in<br />

den Umweltschutz, könnten sich für<br />

Planer und Architekten innovative<br />

Tätigkeitsfelder entwickeln. Dies<br />

schafft natürlich neue Arbeitsplätze,<br />

weshalb die nachhaltige Bauweise<br />

für die Baubranche generell ein guter<br />

Schritt in Richtung Zukunft ist.<br />

Von welchen Neuerungen in puncto Klimaschutz<br />

könnte die Architektur Ihrer<br />

Meinung nach profitieren und warum?<br />

Ich sehe die Chance der Architektur<br />

in puncto Klimaschutz darin, dass<br />

sich diese wieder vermehrt auf das<br />

Wesentliche konzentrieren könnte.<br />

Damit wäre es letztendlich möglich,<br />

langlebige und anspruchsvolle Räume<br />

zu schaffen. Es findet in diesem<br />

Fall das Bauen mit dem Menschen im<br />

Fokus statt.<br />

Es gilt, der Gewinnmaximierung,<br />

Ressourcenverschwendung und<br />

Kurzlebigkeit der Gebäude entgegenzutreten.<br />

Denn wie die derzeitige<br />

Entwicklung zeigt, hat eine oberflächliche<br />

Herangehensweise weder<br />

in der Baubranche noch in anderen<br />

Sektoren Zukunft.<br />

Welche Rolle könnte die Architektur<br />

in Bezug auf den Umweltschutz in<br />

Städten spielen?<br />

Ich sehe die Hauptaufgabe der Architektur<br />

heute in erster Linie darin,<br />

Denkanstöße für den Klimaschutz zu<br />

geben. Sie kann aufzeigen, welche<br />

Möglichkeiten und Lösungswege es<br />

für das Problem gibt und wie sich<br />

Herausforderungen in diesem Bereich<br />

mit unterschiedlichen Herangehensweisen<br />

meistern lassen.<br />

Allerdings handelt es sich bei den<br />

Verhaltensweisen, die heutzutage zur<br />

Klimaerwärmung und der Umweltvernichtung<br />

führen, schlussendlich um<br />

ein gesamtgesellschaftliches, politisches<br />

und wirtschaftliches Grundproblem.<br />

Also erst dann, wenn bei der<br />

breiten Masse und in der Politik ein<br />

Umdenken stattfindet, kann auch in<br />

der Architektur ein großformatiger<br />

Wandel erfolgen. Es handelt sich hierbei<br />

immerhin um Bereiche, die sich<br />

gegenseitig beeinflussen. Für eine<br />

Veränderung braucht es Zeit. •<br />

www.jungerbeer.at


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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

22<br />

Christian Hammerl<br />

Theorie<br />

praktisch denken<br />

Interview mit Architekt Christian Hammerl<br />

Das Innsbrucker Architektenduo Christian Hammerl und<br />

Elias Walch alias he und du machen Architektur mit ganz<br />

viel Gefühl, immer bezogen auf den jeweiligen Bauherren<br />

oder die Bauherrin sowie den Standort und die<br />

damit einhergehenden Anforderungen. Dabei versuchen<br />

sie den Geist ihrer Generation zu treffen, um auch für die<br />

Zukunft eine lebenswerte, gebaute Umwelt zu schaffen.<br />

Christian Hammerl spricht im Interview über den Einfluss<br />

seiner praktischen Ausbildung als Tischler auf sein<br />

Architekturverständnis, Holz als innovativen Baustoff<br />

und die Rückbesinnung der kommenden Generationen<br />

auf das eigene Heim und die Umgebung. Viel zu tun.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

23<br />

Christian Hammerl<br />

Wie geht man als junges Architekturbüro<br />

mit den Herausforderungen<br />

dieser Zeit um?<br />

Unsere Herausforderung besteht<br />

tatsächlich in einer enormen Auftragsflut,<br />

die wir so erst einmal gar<br />

nicht erwartet hatten. Wir arbeiten<br />

generell meist mit jüngeren Bauherren<br />

und -frauen zusammen, die ihr<br />

Geld momentan offenbar gerne in<br />

Form eines Einfamilienhauses anlegen<br />

wollen. Als junges Büro haben<br />

wir natürlich nicht die Ressourcen<br />

oder die Anzahl an MitarbeiterInnen<br />

wie manch etablierter Kollege. Da<br />

wir unsere Entwürfe niemals einfach<br />

aus der Schublade ziehen, sondern<br />

immer individuell an den Kunden<br />

und das Grundstück angepasst planen,<br />

herrscht da schon ein gewisser<br />

Zeitdruck – wir wollen schließlich<br />

auch unseren eigenen Ansprüchen<br />

gerecht werden. In der Planung setzen<br />

wir dabei oft auch auf den Umbau<br />

von Bestandsgebäuden – das ist<br />

einfach nachhaltiger und wir können<br />

mit Baustoffen arbeiten, die vor Ort<br />

verfügbar sind. Im Bezug auf unsere<br />

MitarbeiterInnen versuchen wir dennoch<br />

nicht exponentiell zu wachsen,<br />

wir planen da lieber auf lange Sicht<br />

und hoffen, dass wir als Team dann<br />

auch länger Bestand haben und alle<br />

Beteiligten frei von wirtschaftlichen<br />

Zwängen arbeiten können – soweit<br />

das überhaupt möglich ist.<br />

Würden Sie sagen, dass Ihre Ausbildung<br />

Sie für die anstehenden Aufgaben<br />

gerüstet hat?<br />

Elias und ich besuchten beide die<br />

HTL für Innenraumgestaltung und<br />

Möbeldesign, Elias Vater betreibt<br />

Das mit dem Sanierungspreis ausgezeichnete Projekt GUT DRAUF setzt auf den<br />

Baustoff Holz für die Konstruktion, Dämmung und Oberfläche. Ein baufälliger<br />

Dachboden konnte ausgebaut und in Wohnraum verwandelt werden.<br />

eine eigene Tischlerei. Dort wurden<br />

uns auch geschichtliche und ästhetische<br />

Aspekte der Möbelfertigung<br />

nahegebracht. Wir haben also beide<br />

schon immer gerne mit angepackt<br />

und sowohl in Büros wie Tischlereien<br />

gearbeitet. Diese praktische Erfahrung<br />

bringt uns jetzt den Vorteil,<br />

dass wir statische und konstruktive<br />

Zusammenhänge intuitiv verstehen.<br />

In Verbindung mit der Ausbildung<br />

an der Uni ist das perfekt. Ich denke,<br />

dass man als rein universitär ausgebildete/r<br />

ArchitektIn heutzutage erst<br />

einmal etwas “baufremd” in den Beruf<br />

startet. Das Erleben von Architektur<br />

mit allen Sinnen bleibt meiner Meinung<br />

nach allzu oft auf der Strecke<br />

und was von den ProfessorInnen vermittelt<br />

wird, ist meist sehr abstrakt<br />

– dafür aber wiederum auch sehr kreativ.<br />

Dazu kommt die Verlagerung in<br />

die digitale Arbeitswelt, die sicherlich<br />

auch ihre Daseinsberechtigung hat.<br />

Beim Modellbau ergeben sich aber<br />

doch meist wichtige Erkenntnisse,<br />

die so verloren gehen. Am Ende sind<br />

auch wir sozusagen ins kalte Wasser<br />

gesprungen und bilden uns seitdem<br />

kontinuierlich weiter. Diese Art zu arbeiten<br />

gefällt uns sehr gut. u<br />

© David Schreyer<br />

© David Schreyer


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

24<br />

Christian Hammerl<br />

© Christian Flatscher<br />

LATTENBURG: Für die Sanierung des Gebäudes aus den 60er<br />

Jahren kam für den Großteil der Möbel und Böden Massivholz<br />

zum Einsatz – in speziell konischer Ausführung.<br />

© Christian Flatscher<br />

Welche Rolle spielt die immer weiter<br />

voranschreitende Digitalisierung bei<br />

Ihrer Arbeit? Fluch oder Segen?<br />

Für mich ein zweischneidiges Schwert.<br />

Wir planen selbstverständlich alles in<br />

3D, nutzen BIM und versuchen die Programme<br />

in ihrer Funktion so weit wie<br />

möglich auszureizen. Auf der anderen<br />

Seite arbeiten wir von Hand analog<br />

am Modell: für uns unerlässlich, wenn<br />

es um Atmosphäre und Proportionen<br />

geht. Ich muss aber auch gestehen,<br />

dass wir für Arbeitsmodelle mittlerweile<br />

zu wenig Zeit haben – wenn es<br />

aber ins Dreidimensionale geht, setzen<br />

wir auf Karton und Holz anstelle<br />

von VR oder 3D-Druck. Das hat einfach<br />

nicht das Feeling. Zur Kommunikation<br />

mit unseren Bauleuten nutzten<br />

wir in Coronazeiten sehr gerne ZOOM<br />

oder WhatsApp. Wobei gerade Letzteres<br />

zum schnellen Austausch von<br />

Fotos und Plänen so gut funktioniert,<br />

dass wir dieses Kommunikationsmittel<br />

wohl beibehalten werden.<br />

Wo sehen Sie Ihre Rolle als “Gestalter<br />

der Zukunft”?<br />

Wir sind auf jeden Fall keine Denkmalbauer,<br />

wir bauen für die Nutzer-<br />

Innen. Uns ist es ein Anliegen, das<br />

Bewusstsein für (gelungene) Architektur<br />

in der Gesellschaft zu stärken.<br />

Es existiert mittlerweile ja so etwas<br />

wie eine “künstlerische Umweltverschmutzung”.<br />

Nachhaltiges Bauen<br />

ist auch ein großes Thema unserer<br />

Zeit und Generation. Wir würden einen<br />

Bestandsbau niemals abreißen,<br />

wenn dieser noch zu retten wäre.<br />

Da versuchen wir auch auf unsere<br />

Bauherren und -frauen dementsprechend<br />

einzuwirken. Auch das Ortskernsterben<br />

ist eine Problematik, die<br />

damit zusammenhängt. Zum Glück<br />

wissen unsere KundInnen, dass wir<br />

für diese Art von “Slow Architecture”<br />

stehen. Die machen dann ohnehin<br />

im Ausbau viel selber, um die Kosten<br />

niedrig zu halten. Um Projekte auf<br />

diese Weise umsetzen zu können,<br />

braucht es verlässliche Partner am<br />

Bau. Uns ist es ganz wichtig, dass wir<br />

sowohl mit den ausführenden Firmen<br />

als auch mit unseren Auftraggebern<br />

auf Augenhöhe kommunizieren.<br />

Ein positiver Aspekt, den Sie aus<br />

dem vergangenen Jahr mitgenommen<br />

haben?<br />

Zum Einen können wir uns über<br />

unsere Auftragslage wirklich nicht<br />

beklagen. Zum Anderen finde ich<br />

die Erkenntnis erbaulich, dass viele<br />

(junge) Leute ihre Wohnung jetzt<br />

bewusster wahrnehmen und diese<br />

dementsprechend aktiv aufwerten<br />

wollen. Auch die Umgebung unserer<br />

Wohnungen gewinnt an Bedeutung –<br />

ich meine damit die Natur, das Grün,<br />

den Garten. Viele zieht es aus den<br />

Städten hinaus auf das Land. Das<br />

Wohlfühlen zu Hause ist zu einem<br />

großen Thema geworden. Und ganz<br />

abgesehen davon haben wir gelernt:<br />

Immer positiv bleiben!


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

25<br />

Christian Hammerl<br />

© David Schreyer<br />

Bei diesem „Schulprojekt“ der NMS Fließ waren die SchülerInnen von Anfang bis Ende in den Bauprozess involviert.<br />

Durch das Mitanpacken konnten die Jugendlichen erleben, wie man Holz zu einer Wand/Decke „schichten“ kann.<br />

Greifen Sie im Planungsprozess speziell<br />

auf moderne Produkte, Baustoffe<br />

und Technologien zurück?<br />

Als Tischler ist Holz für uns, als einer<br />

der ältesten und ökologisch nachhaltigsten<br />

Baustoffe, das Nonplusultra.<br />

Neben dem modularen Bauen und<br />

der verkürzten Bauzeit durch die<br />

Vorfertigung, lässt sich Holz sehr<br />

vielseitig einsetzen und in verschiedenste<br />

Formen bringen. Wir suchen<br />

daher immer nach Herstellern und<br />

Handwerkern, die hier am Puls der<br />

Zeit sind. Viele arbeiten doch noch<br />

sehr traditionell. Das sehe ich keinesfalls<br />

negativ, aber nur, weil etwas<br />

schon immer so war und sich bewährt<br />

hat, heißt das nicht, dass es nicht<br />

auch andere Wege geben kann. Da<br />

sehe ich noch Potenzial. Im Moment<br />

sind wir aber mit den Prozessen sehr<br />

zufrieden, da wir beobachten können,<br />

dass die räumliche Qualität mehr<br />

zählt als spektakuläre Landmarks.<br />

Wo seht ihr die Rolle der Hersteller<br />

für die Zukunft? Wo gibt es noch<br />

Potenzial?<br />

Die Zusammenarbeit mit vielen Herstellern<br />

vergleiche ich bildlich gerne<br />

mit einer Autobahn. Solange man<br />

in der Spur bleibt, funktioniert das<br />

wunderbar. Will man jedoch spontan<br />

abzweigen, ist da oft keine Ausfahrt<br />

möglich. Gerade in Tirol mit dem immensen<br />

Markt im Tourismussektor,<br />

haben viele Hersteller beispielsweise<br />

für sich erkannt, die 3S-Platte mit<br />

Anleimer lässt sich problemlos und in<br />

Masse verkaufen. Wenn wir nun mit<br />

dem Wunsch nach einer individuellen<br />

Sonderlösung kommen, besteht<br />

da einfach kein (wirtschaftliches)<br />

Interesse. Viele ausführende Firmen<br />

haben zudem Angst vor Bauschäden<br />

und möglichen Klagen seitens der<br />

Bauleute, wenn sie doch einmal Mut<br />

zum Experiment beweisen. Wir setzen<br />

daher auf kompetente Partner mit Erfahrung,<br />

echte Problemlöser, die nicht<br />

nur auf die Norm schauen, sondern<br />

auch mit Menschenverstand und kreativem<br />

Elan an Dinge herangehen.<br />

SUPERSTUDIO:<br />

Bei dem Kellerausbau<br />

wurde<br />

die bestehende<br />

Holztäfelung als<br />

Verschalung für<br />

die Schlafkoje<br />

wiederverwendet,<br />

dank der<br />

großzügigen<br />

Glasfassade wird<br />

der Garten nun<br />

auch im Inneren<br />

erlebbar.<br />

© He und Du<br />

Inwieweit sollten Ihrer Meinung nach<br />

Forschung, Industrie und Kreative<br />

bezogen auf die Produktentwicklung<br />

zusammenarbeiten?<br />

Unserer Erfahrung nach gibt es zwischen<br />

Universitäten und Industrie<br />

in Tirol schon Schnittmengen, allerdings<br />

basieren die häufig auf persönlichen<br />

Kontakten. Eine echte Kultur<br />

besteht dahingehend leider noch<br />

nicht. Immerhin lassen sich einige<br />

erfolgreiche Kooperationen beobachten,<br />

die auf einzelne individuelle<br />

Initiatoren zurückgehen. Da besteht<br />

in Innsbruck aber noch ordentlich<br />

Luft nach oben.<br />

•<br />

www.heunddu.me


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

26<br />

Lisi Wieser<br />

Die Möglichkeiten<br />

ausschöpfen<br />

Interview mit Architektin Lisi Wieser<br />

Lisi Wieser unterstützt mit ihrer<br />

Plattform „Architektur für alle“<br />

private Baufrauen und Bauherrn bei<br />

Umnutzung, Umgestaltung, Umbau<br />

und Erweiterung ihres Zuhauses. Spezialisiert<br />

ist sie auf Projekte im kleinen<br />

und kleinsten Maßstab, die sie architektonisch<br />

betreut. Ihre Plancoachings<br />

stoßen als skizzenhafte Beratungen<br />

auf großes Interesse und vor allem<br />

auch auf Bedarf. Mit ihrer Arbeit will<br />

sie einen Beitrag dazu leisten, die Architektur<br />

wieder mit mehr Wertigkeit<br />

zu versehen.<br />

Fotos: Kristina Brandstetter


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

27<br />

Lisi Wieser<br />

Auch und vor allem kleine Details können viel bewirken und<br />

zur Wohlfühlatmosphäre beitragen: einladende Sitzplätze<br />

zum Verweilen und Ausblicke an der richtigen Stelle. Dazu<br />

stellt Lisi Wieser auch auf ihrem Blog viele Tipps und Tricks<br />

zur Verfügung.<br />

Was nehmen Sie aus der<br />

Coronazeit für Ihre Arbeit mit?<br />

Meine Plancoachings mache ich<br />

seit Corona ausschließlich online.<br />

Ich sitze Menschen gerne gegenüber,<br />

somit hätte ich das ohne diese<br />

Umstände wohl nicht ausprobiert.<br />

Überraschenderweise haben wir<br />

tatsächlich festgestellt, dass wir im<br />

Online-Modus mehr Ideen haben,<br />

mehr produzieren, schneller zum<br />

Punkt kommen und auch weniger<br />

Zeit brauchen. Zuhause scheinen<br />

sich die Leute sicherer zu fühlen und<br />

auch konzentrierter zu sein. Durch<br />

die Live-Übertragung können sie<br />

auch direkt bei dem mitschauen, was<br />

ich am Tablet zeichne. Das ist eine<br />

Kleinigkeit, aber am Papier zeichnend<br />

habe ich immer meine Hand<br />

vor dem Blatt. Am Bildschirm sehen<br />

sie genau, was ich mache und können<br />

mitreden.<br />

Wer sind die Leute, mit denen<br />

Sie Plancoachings machen?<br />

Das sind Menschen, die umbauen<br />

und viel selbst in die Hand nehmen<br />

möchten. Mein spezieller Kundenbereich<br />

liegt immer unter einem Budget<br />

von 500.000 Euro. Oft geht es darum,<br />

ein geerbtes Haus an ihre eigenen<br />

Lebensumstände anzupassen. Ich<br />

entwickle dazu ihre Grundrisse und<br />

sie bekommen von mir Inputs, wie sie<br />

das Haus oder die Wohnung, zu ihnen<br />

passend, adaptieren können. Ich<br />

entwerfe nicht nur für EigentümerInnen,<br />

sondern auch für MieterInnen.<br />

Diesen fehlt oft ein zusätzliches<br />

Zimmer und sie fragen sich, ob es<br />

notwendig ist, dafür in eine größere<br />

Wohnung mit erheblichem Mietaufschlag<br />

umzuziehen. Ich unterstütze<br />

sie dann dabei, die bestehende Wohnung<br />

umzubauen und umzunutzen.<br />

Was zeichnet Ihren besonderen<br />

Arbeitsbereich aus?<br />

Ich arbeite in dem Privatbereich,<br />

wo ArchitektInnen eigentlich zu viel<br />

leisten müssen. Es gibt einen Grund,<br />

wieso die meisten Architekturbüros<br />

Projekte unter einem Bauvolumen<br />

unter 500.000 Euro nicht bearbeiten.<br />

Für die ArchitektInnen laufen da nur<br />

Arbeitsstunden hinein und es schaut<br />

dabei wenig heraus. Wirtschaftlich<br />

ist das eigentlich nicht tragbar. Auch<br />

leisten sich heutzutage nur wenige<br />

dieser privaten Baufrauen und Bauherrn<br />

ArchitektInnen, da viele schon<br />

schwer den Umbau an sich finanzieren<br />

können. Dadurch ist bei mir die<br />

Kommunikation ganz wichtig. Das<br />

Architekturwissen muss so übersetzt<br />

werden, dass es mein Gegenüber<br />

leicht und verständlich begreift.<br />

Auf diese Art von Vermittlung bin ich<br />

spezialisiert. Ich muss klar machen,<br />

wieso beispielsweise diese Tür genau<br />

da wichtig ist und nicht um einen<br />

halben Meter verschoben werden<br />

kann. Mein innerer Drang ist es, den<br />

Leuten mitzuteilen, dass sie nur einmal<br />

umbauen und das jetzt Überlegte<br />

sie nichts kostet, aber trotzdem<br />

total wichtig ist. Ob das Fenster in<br />

der Morgensonne ist und einen Blick<br />

ins Grüne hat, soll überlegt werden.<br />

In Österreich gibt es dafür keine Ansprechperson.<br />

Ich unterstütze sie sozusagen<br />

dabei, ihre eigenen besten<br />

ArchitektInnen zu sein.<br />

Wie ist der Schwerpunkt Ihres<br />

Büros entstanden?<br />

Aus einer Beobachtung heraus habe<br />

ich gemerkt, dass es viele Leute,<br />

Freunde und Bekannte gibt, die ein<br />

Haus bauen und dafür Hilfe suchen.<br />

Es gibt Menschen, die Expertise<br />

brauchen und bereit sind Geld dafür<br />

auszugeben. Sie finden aber niemanden,<br />

der ihnen etwas bietet, womit<br />

sie etwas anfangen können. So ist<br />

„Architektur für Alle“ entstanden, das<br />

war für mich ein logischer Schritt.<br />

Was ist Ihre Motivation, sich dieser Nische<br />

am privaten Markt zuzuwenden?<br />

Architektur wird heute noch in einer<br />

Struktur geplant, die es schon über<br />

einhundert Jahre gibt. Wir halten<br />

uns akribisch an die Einteilung nach<br />

unseren zehn Planungsschritten. Es<br />

hat sich in der Zwischenzeit aber alles<br />

komplett gewandelt und wir ziehen<br />

die Struktur trotzdem über das<br />

Internet, über Google, über BIM. Das<br />

stelle ich in Frage, denn es gilt zu<br />

schauen, was der Mensch überhaupt<br />

braucht. Was die Lösung dafür ist,<br />

weiß ich auch nicht. Aber ich denke,<br />

idealerweise suchen viele Menschen<br />

viele Wege. Diese veraltete<br />

Struktur, die die ganze Welt in diese<br />

Professionisten-Struktur zu pressen<br />

versucht, hat mich sehr angetrieben.<br />

u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

28<br />

Lisi Wieser<br />

Es gibt Projekte – je größer umso<br />

besser –, die gut darauf ausgelegt<br />

sind und unglaublich viele andere,<br />

die nicht hineinpassen. Gleichzeitig<br />

hat die räumliche und atmosphärische<br />

Ausbildung von ArchitektInnen<br />

– vor allem im Wohnbau – sehr<br />

wenig Bedeutung. Bei großen Projekten<br />

hat Atmosphäre keinen Wert.<br />

Das schätze ich bei meinen Kunden,<br />

dass sie ein atmosphärisch cooles<br />

Wohnzimmer haben möchten. Keiner<br />

will ein weiß gefliestes Wohnzimmer,<br />

weil es einfach zu putzen ist. Auch<br />

deshalb habe ich mich dem privaten<br />

Markt zugewandt. Ich möchte für<br />

Menschen, für Charaktere, für Leute<br />

planen, die ich anschauen kann und<br />

nicht für die anonyme Masse. Im privaten<br />

Bereich habe ich den größten<br />

Impact auf die Architekturqualität.<br />

Wie spiegelt Ihre Arbeit das wider,<br />

was Architektur für Sie ist?<br />

Architektur ist für mich der Mensch,<br />

der drinnen ist. Ich mache gerade in<br />

Berlin meinen PhD mit einem praxisbezogenen<br />

Programm. Dessen Aufgabe<br />

ist es, über die eigene Arbeit<br />

zu schreiben und daraus für andere<br />

Wissen zu generieren. Das lädt mich<br />

dazu ein, viel über das Nicht-Sehen<br />

des architektonischen Feldes nachzudenken,<br />

in dem ich arbeite. Oft<br />

gerate ich dabei zwischen die Fronten<br />

bei der Ansicht dazu, was Architektur<br />

überhaupt ist. Viele sagen,<br />

dass es keine Architektur ist, wenn<br />

es nicht ästhetisch und kein Design<br />

ist. Für mich ist Architektur aber am<br />

Fenster zu sitzen und in die Sonne<br />

hinauszuschauen. Oder hinunterzugehen,<br />

einen Baum zu sehen und<br />

meiner Freundin in der Küche „Hallo“<br />

zu sagen. Architektur ist für mich<br />

Bewegung, Schauen und Licht. Da<br />

entbrannten bereits Streits, ob ich<br />

überhaupt Architektin bin oder nicht.<br />

Wie kann der Arbeit von ArchitektInnen<br />

mehr Bedeutung zukommen?<br />

Es gibt zwischen Deutschland und<br />

Österreich einen großen Unterschied:<br />

In Deutschland braucht man<br />

immer einen Architekten, da gibt<br />

es nur ganz wenige Ausnahmen. In<br />

Österreich braucht man im privaten<br />

Bereich oft gar keinen Architekten.<br />

Dann versteht auch keiner, wieso einer<br />

notwendig ist. Es gibt auch einen<br />

Unterschied zwischen privaten kleinen<br />

und großen AuftraggeberInnen.<br />

Den ersteren muss ich erklären, was<br />

das Gute an unserer Planung ist. Das<br />

versuche ich über meine Plattform,<br />

wo ich quasi erkläre was der Nutzen<br />

unserer Arbeit ist. Zum Glück gibt es<br />

diese Attitüde nicht mehr, dass ich<br />

schnell einen Entwurf mache und<br />

dafür nichts verlange. Denn das geht<br />

einfach nicht. Man muss unsere Arbeit<br />

– jeden Strich und jede Zeichnung<br />

– mit einer Wertigkeit versehen,<br />

sonst ist sie einfach nichts wert.<br />

Um welche Entwicklungen wird es in<br />

den nächsten Jahren kein Herumkommen<br />

geben?<br />

In meinem Bereich geht es dabei um<br />

alle Häuser, die zwischen 1940 und<br />

1990 gebaut wurden. Diese kommen<br />

jetzt alle in die Jahre und es<br />

gibt einen riesigen Sanierungsbedarf.<br />

Auf der einen Seite gibt es die<br />

Wohnungsnot und andererseits Häuser,<br />

die meist von nur ein bis zwei<br />

Personen bewohnt werden. Gerade<br />

werden viele davon weitergegeben<br />

oder vererbt. Junge und auch ältere<br />

Menschen wollen dort einziehen und<br />

diese durchgewohnten Häuser adaptieren.<br />

Das ist ein großes Thema und<br />

gleichzeitig auch der CO 2 -Haushalt.<br />

Daraus ergibt sich die Frage, wie<br />

man umweltschonend sanieren kann.<br />

Wir brauchen nämlich nicht mehr so<br />

viel neu bauen, sondern der Bestand<br />

muss erneuert werden.<br />

Was möchten Sie der zukünftigen<br />

ArchitektInnen-Generation auf den<br />

Weg geben?<br />

Schaut auf die Umwelt und auch darauf,<br />

dass die Leute über eure Arbeit<br />

Bescheid wissen. Es ist nicht gut, ein<br />

vorgefundenes System zu übernehmen<br />

und genauso weiterzumachen.<br />

Es muss die Frage gestellt werden:<br />

Finde ich das, was gerade gebaut<br />

wird, toll? Werde ich etwas daran<br />

verändern, wenn ich einen guten<br />

Wettbewerbsbeitrag und einen tollen<br />

Entwurf mache? Wenn ich das<br />

für mich mit Nein beantworte, dann<br />

gilt es zu überlegen, was Alternativen<br />

sind und was ich ausprobieren<br />

kann. Wir schöpfen zu 99 Prozent<br />

nur eine Möglichkeit aus, Architektur<br />

zu machen, obwohl es noch so<br />

viele mehr gibt.<br />

•<br />

www.<strong>architektur</strong>-fuer-alle.at<br />

Auch kleine Veränderungen sollen wohlüberlegt<br />

geplant sein. So kann etwa ein<br />

Kamin viel zur Wohnqualität beitragen,<br />

wenn er gut positioniert und mit einem<br />

angenehmen Sitzplatz kombiniert ist, der<br />

auch im Sommer schöne Ausblicke bietet.


Nachhaltigkeit<br />

Bauwerk ist das erste Unternehmen weltweit, das einen gesamten<br />

Produktionsstandort nach Cradle to Cradle® zertifiziert hat.<br />

Alle im schweizerischen St. Margrethen hergestellten Produkte<br />

sind mindestens Cradle to Cradle Bronze zertifiziert, dies<br />

entspricht mehr als 60 % des gesamten Bauwerk-Sortiments.<br />

Für alle Silente-Produkte trägt der Parketthersteller sogar das<br />

Zertifikat Cradle to Cradle Gold.<br />

Erfahren Sie mehr in unserem Nachhaltigkeitsbericht, der nach<br />

internationalem Reporting Standard (GRI) verfasst wurde:<br />

www.bauwerk-parkett.com/at-de/ueber-bauwerk/nachhaltigkeit.html<br />

Dieses Bauwerk-Produkt wurde zertifiziert durch:<br />

ID 0316 - 11251 - 001


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

30<br />

Günter Katherl<br />

Ein Umdenken<br />

ist erforderlich!<br />

Interview mit Architekt Günter Katherl<br />

Günter Katherl ist Geschäftsführer<br />

und Gründungsmitglied von Caramel<br />

Architekten. Die Planer widmen sich<br />

einer Vielzahl an Projekten, wobei sie<br />

vor allem auf Innovation und umweltverträgliche<br />

Konzepte Wert legen.<br />

Welche Baustoffe werden in der Architektur<br />

– Ihrer Meinung nach – in<br />

der Zukunft vermehrt zum Einsatz<br />

kommen?<br />

Ganz sicher wird in der Zukunft Holz<br />

noch gefragter als heute sein. Es ist<br />

aber auch anzunehmen, dass verstärkt<br />

Materialien wie Leichtbeton<br />

zum Einsatz kommen. Letzteres wird<br />

vor allem für monolithische Bauweisen,<br />

wie das „geplottete“ Haus angewendet<br />

– eine innovative Technologie,<br />

die sich derzeit durchaus auf<br />

dem Vormarsch befindet.<br />

Welche Materialien sehen Sie in Bezug<br />

auf nachhaltiges Bauen als essenziell<br />

an?<br />

Das wichtigste bei der Nachhaltigkeit<br />

ist wahrscheinlich nicht nur das<br />

Material an sich, sondern die leichte<br />

Trennbarkeit der verwendeten Materialien,<br />

um sie einer Wiederverwertung<br />

zuzuführen – denn auch<br />

die Herstellung der Baustoffe ist mit<br />

schädlichen Auswirkungen auf die<br />

Umwelt und das Klima verbunden.<br />

Mit einem bedachtsamen Umgang<br />

der Materialien, ließe sich auf lange<br />

Sicht der ökologische Fußabdruck in<br />

der Architektur verringern.<br />

© Caramel Architektur


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

31<br />

Günter Katherl<br />

Mit welchen Herausforderungen sehen<br />

Sie sich in der Vereinbarkeit von<br />

Nachhaltigkeit und Funktionalität der<br />

Baustoffe konfrontiert?<br />

Schon immer bestand die besondere<br />

Herausforderung bei der Materialverwendung<br />

in der Sparsamkeit<br />

bei der Planung. Es ist nicht immer<br />

leicht, diesen Aspekt mit der Nachhaltigkeit<br />

in Einklang zu bringen.<br />

Nun haben verschiedene Materialien<br />

unterschiedliche funktionale<br />

Vorteile, die sie bei umweltfreundlicher<br />

Verwendung nur beibehalten<br />

können, wenn sie „sortenrein“ eingesetzt<br />

werden können. Konkret heißt<br />

das, dass nur eine bestimmte Art von<br />

Baustoff – wie beispielsweise Holz –<br />

beim Hausbau zum Einsatz kommt.<br />

Ist bei der Wahl der Materialien im<br />

Städtebau und in der Architektur ein<br />

Umdenken erforderlich?<br />

Selbstverständlich ist in der Architektur<br />

ein Umdenken erforderlich,<br />

wenn es um die Materialwahl geht<br />

– aber nicht nur bei den Baustoffen<br />

sind innovative Herangehensweisen<br />

gefragt. So ist einerseits die Zubetonierung<br />

des Landes an sich zu stoppen.<br />

Der Flächenverbrauch ist im<br />

Städtebau viel zu hoch und damit auf<br />

lange Sicht nicht mehr vertretbar.<br />

Andererseits ist der Verbrauch von<br />

schädlichem Dämmmaterial zu verringern.<br />

Es werden auch heute noch<br />

tonnenweise der umweltschädlichen<br />

Stoffe aufgewendet – diese Entwicklung<br />

ist unbedingt aufzuhalten.<br />

Von welchen innovativen Herangehensweisen<br />

in puncto Materialwahl<br />

könnte die Architektur Ihrer Meinung<br />

nach profitieren und warum?<br />

Die Architektur lebt von der Innovation.<br />

Neue, kreative Herangehensweisen<br />

sind immer gefragt in unserem<br />

Job - und dies in jeder Hinsicht!<br />

Es ist somit auch bei der Materialwahl<br />

bei Neuerungen wichtig, neue<br />

Wege zu finden und auf dem aktuellen<br />

Stand zu bleiben.<br />

Welchen Beitrag könnte die Architektur<br />

in puncto Klimaschutz sonst<br />

noch leisten?<br />

Die richtige Gedankenfolge muss in<br />

der Architektur immer noch wie folgt<br />

lauten: Reduce – Reuse – Recycle.<br />

Dies gilt im Großen wie im Kleinen:<br />

Es sollte immer weniger neu gebaut<br />

werden und mehr Umnutzung<br />

stattfinden. Auch ist mit den Materialien<br />

bedachtsamer umzugehen.<br />

Ein Beispiel dafür könnte sein, dass<br />

diese so oft wie möglich wiederzuverwenden<br />

sind. Auf diese Weise ist<br />

es möglich, Rohstoffe zu sparen und<br />

der umweltschädlichen Herstellung<br />

Einhalt zu gebieten.<br />

•<br />

Das HoHo in der Wiener Seestadt Aspern, von RÜDIGER<br />

LAINER + PARTNER Architekten ZT GmbH, ist ein Beispiel<br />

für den Einsatz von Holz als Baustoff im Stadtraum.<br />

© Alexander Migl<br />

www.caramel.at<br />

Die Flächenversiegelung<br />

durch<br />

die Industrie in<br />

Hamburg-Bilbrook<br />

als Beispiel<br />

für hohen Flächenverbrauch.<br />

© Picerno


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

32<br />

Eva M. Hierzer und Architekt Stephan Brugger<br />

Gebäude als<br />

Rohstofflager<br />

Interview mit Architektin Eva M. Hierzer und Architekt Stephan Brugger<br />

© Manuel Draschl & Emilian Hinteregger<br />

Eva M. Hierzer und Stephan Brugger sind zwei der insgesamt vier<br />

Partner, die hinter NOW Architektur, einem jungen Architekturbüro<br />

mit ambitionierten Zielen, stecken. Mit jeder Menge Knowhow<br />

im Bereich Bauen im Bestand und Holzbau wollen sie ökonomisch,<br />

ökologisch und sozial nachhaltige Architektur schaffen,<br />

die sich über ihren gesamten Lebenszyklus und darüber hinaus<br />

definiert. Ihre Projekte verstehen sie als Bauten, die einen baukulturellen<br />

Beitrag leisten und durch Flexibilität und hohe Qualität<br />

eine lange Lebensdauer und deren Werterhalt garantieren.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

33<br />

Eva M. Hierzer und Architekt Stephan Brugger<br />

Wie agieren moderne ArchitektInnen<br />

zukunftsfähig und wie versuchen Sie<br />

das auch selbst umzusetzen?<br />

Eva M. Hierzer (EH): Ein ganz wichtiger<br />

Punkt, den wir auch versuchen in<br />

unserem Büro umzusetzen, ist es, Gebäude<br />

nicht nur temporär oder als zukünftige<br />

Sondermülldeponie zu denken,<br />

sondern langfristig – sowohl im<br />

baukulturellen Sinn als auch hinsichtlich<br />

ihrer konstruktiven Qualität. Zu<br />

unseren Grundprinzipien gehört außerdem,<br />

mit allen Projektbeteiligten<br />

daran zu arbeiten, gemeinsam bessere<br />

Lösungen zu finden. Das geht bis<br />

jetzt gut auf und ist meiner Meinung<br />

nach ein zukunftsfähiger Ansatz.<br />

Stephan Brugger (SB): Ich denke,<br />

nicht nur wir ArchitektInnen, sondern<br />

auch allgemein unsere Gesellschaft<br />

muss sich überlegen, wie sie<br />

in Zukunft baut und wie viel. Diesbezüglich<br />

stecken wir noch in den Kinderschuhen.<br />

Gewisse Themen kann<br />

man heutzutage nicht mehr leugnen<br />

– schon gar nicht, wenn man ein Architekturbüro<br />

gründet. Aufgaben<br />

wird es immer geben, aber sie verändern<br />

sich. Da wird sich, glaube ich,<br />

viel in Bestandssanierung und -umbau<br />

verschieben. Es wird verstärkt<br />

darum gehen, Potenziale zu erkennen<br />

und Transformationen durchzuführen.<br />

Das ist einerseits mit weniger<br />

Ressourcen verbunden, andererseits<br />

damit, dass wir neue Gebäude neu<br />

denken müssen: als Rohstofflager,<br />

aus denen man Rohstoffe auch wieder<br />

rausnimmt. Hier gilt es, sich zu<br />

überlegen, welche Bauteile wie lange<br />

in einem Gebäude bleiben und was<br />

mit ihnen passiert, wenn dieses abgebrochen<br />

wird. Das gleiche gilt für<br />

den Holzbau: Nur in Holz zu bauen<br />

ist zu wenig.<br />

Zum anderen bemerken wir aufgrund<br />

der Ressourcenknappheit<br />

Lieferengpässe, sowohl bei Holz und<br />

Stahl als auch bei Betonfertigteilen<br />

und Dämmstoffen. Das führt dazu,<br />

dass man teilweise tatsächlich auf<br />

der Baustelle – auch mit den Firmen<br />

zusammen – umdenken und sich Alternativen<br />

überlegen muss, um doch<br />

noch rechtzeitig fertig zu werden.<br />

SB: In gewisser Weise waren diese<br />

Themen immer schon aktuell.<br />

Im Endeffekt geht es im Bauwesen<br />

stets auch darum, welche Baustoffe<br />

gerade leistbar bzw. vorhanden sind.<br />

Beim Beton entscheidet man sich<br />

dann zwischen Fertigteilelementen<br />

oder Ortbeton, im Holzbau zwischen<br />

Brettsperrholz und Rahmenbau. Deshalb<br />

ist es wichtig, eine gewisse Flexibilität<br />

in der Planung zu bewahren.<br />

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf<br />

und in Diskussion mit Bauherren<br />

und Firmen versuchen wir im Büro<br />

dann, die Projekte gemeinschaftlich<br />

zu verbessern. Und das funktioniert<br />

glaube ich sehr gut.<br />

Wie hoch ist die Nachfrage nach nachhaltiger,<br />

klimafreundlicher Architektur?<br />

EH: Bei öffentlichen Auftraggebern<br />

ganz stark, weil diese z.B. in Wettbewerben<br />

Nachhaltigkeitskonzepte<br />

verlangen, und Bauprojekte vermehrt<br />

von Nachhaltigkeitszertifizierungssystemen<br />

begleitet werden.<br />

Da geht es dann um eine möglichst<br />

optimierte, klimapositive Planung,<br />

die Wahl der Baustoffe, Lebenszyklus-<br />

und Betriebskosten. Auch private<br />

Bauherren zeigen vermehrt Interesse<br />

an nachhaltigen Bauweisen<br />

und/oder Bestandstransformationen.<br />

Allerdings schrecken die höheren<br />

Kosten viele ab. Solange es keine<br />

CO 2 -Bepreisung der Baustoffe gibt,<br />

kommt man ohne das nötige Kleingeld<br />

nicht so einfach in die nachhaltige<br />

Schiene.<br />

SB: Ich denke hier wäre es an der Zeit,<br />

dass die Politik verstärkt versucht,<br />

diese Themen voranzutreiben. Denn<br />

wenn im großen Maßstab nachhaltig<br />

(um-)gebaut wird, müssen auch die<br />

Kleinen nachziehen – vor allem wenn<br />

es einen preislichen Vorteil bringt.<br />

Ökologisch zu bauen, bringt aber nur<br />

preislich einen Vorteil, wenn es viele<br />

bzw. alle tun. Und genau das sollte<br />

unser Ziel sein als Gesellschaft. u<br />

Der Entwurf für die Erweiterung der Kinder- und Jugendpsychiatrie Graz<br />

setzte sich in einem EU-weiten Wettbewerb durch. Besonders der Umgang der<br />

neuen pavillonartigen Holzbauten mit dem Bestand überzeugte die Jury.<br />

Wie ist die aktuelle Lage für Architekturbüros<br />

hinsichtlich Rohstoffverknappung<br />

und Preisdruck?<br />

EH: Für uns auf Planerseite wirkt sich<br />

das zum einen in Form von extrem<br />

schwer kalkulierbaren Preisen aus.<br />

Man kann einfach die Entwicklung<br />

und Marktlage nicht abschätzen.<br />

Bedingt durch die Investitionsprämien<br />

wird sehr viel gebaut und Firmen<br />

haben eine hohe Auftragslage. Das<br />

treibt den Preis dann natürlich weiter<br />

nach oben.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

34<br />

Eva M. Hierzer und Architekt Stephan Brugger<br />

Mit dem Wohn- und Seminarhaus realisierte NOW Architektur die Erweiterung<br />

und Revitalisierung eines ehemaligen Wirtschaftsgebäudes.<br />

Anstelle von Innenwänden organisierten sie das Projekt rund um raumbildende<br />

Kuben und schafften drei getrennte Einheiten.<br />

© Stephan Schmidt<br />

Was sind gegenwärtig die größten Herausforderungen<br />

in der Architektur?<br />

EH: Ich glaube, generell die Tatsache,<br />

dass es einen extremen Umbruch dabei<br />

gibt, wie wir zukünftig bauen werden.<br />

Das fängt jetzt langsam an, ist<br />

aber ein großer Schritt, angefangen<br />

von BIM-Planung und der Art und<br />

Weise, wie wir bauen, bis hin zu den<br />

Konstruktionsweisen, die wir wählen.<br />

Das geht vermehrt in Richtung einfacheres<br />

bzw. Low-Tech-Bauen und<br />

hin zu zirkulären Bauweisen. Wenn<br />

man ein Gebäude wirklich als Rohstofflager<br />

sieht, kann z.B. der Bauteil<br />

oder das Produkt später recycelt<br />

oder eins zu eins wiederverwendet<br />

© Stephan Schmidt<br />

werden. Die große Herausforderung<br />

dabei ist, dass das alles noch sehr<br />

experimentell und in den Normen<br />

noch nicht vorgesehen ist. Aufgrund<br />

der Rohstoffverknappung wird man<br />

zukünftig aber umdenken müssen.<br />

SB: Wenn von Ressourcenknappheit<br />

die Rede ist, sprechen wir ja auch von<br />

Bodenverbrauch und Versiegelung.<br />

Zurzeit wird Versiegelung sogar gefördert,<br />

da gewisse Normierungen,<br />

Gesetze und Förderungen sehr veraltet<br />

und nicht mehr zeitgemäß sind<br />

– da wäre wieder die Politik am Zug,<br />

um zu einem generellen Umdenken<br />

zu kommen.<br />

Was sollten moderne Produkte können<br />

und was könnten Hersteller verbessern?<br />

SB: Was ich interessant fände, wären<br />

zusätzliche Informationen hinsichtlich<br />

des gesamten Lebenszyklus eines<br />

Produkts – darüber erfährt man<br />

im Moment meist wenig. Zum einen<br />

will ich natürlich genau wissen, wie<br />

ich ein Produkt anwende, zum anderen<br />

aber auch, wie es hergestellt<br />

wird, wie man es am Ende trennt,<br />

deponiert bzw. wie es sich recyceln<br />

oder zerlegen lässt. In Zukunft sollte<br />

man die Rückbau- und Entsorgungskosten<br />

auch verstärkt mit in die<br />

Baukosten einfließen lassen. Derzeit<br />

scheinen diese bis zum tatsächlichen<br />

Rückbau nirgends auf, obwohl sie<br />

ja Teil des Projekts sind. Bei gewissen<br />

Baustoffen könnte es auch eine<br />

Herstellerrücknahme geben, dieser<br />

könnte sie dann im Idealfall entsprechend<br />

wiederverwerten.<br />

Was macht ein Produkt nachhaltig,<br />

effizient und smart?<br />

EH: In erster Linie seine Recycelbarkeit,<br />

also ob man es eins zu eins<br />

wiederverwenden kann, ohne dafür<br />

viel weitere Energie aufzuwenden.<br />

Wichtig sind neben Dauerhaftigkeit<br />

auch die Demontage und die Zerlegbarkeit.<br />

Das heißt, wie viel ist verklebt<br />

bzw. kann man es einfach auseinandernehmen.<br />

Im Holzbau ist das<br />

natürlich produktunabhängig, aber<br />

auch hier gibt es weitere Komponenten<br />

wie Folien etc., die es zu berücksichtigen<br />

gilt.<br />

Abgesehen davon, ist bei Produkten<br />

zu beachten, wie sie hergestellt<br />

wurden und woher die Rohstoffe<br />

kommen. Wenn das Holz dafür aus<br />

Sibirien oder Kanada kommt, bringt<br />

es nichts, einen Holzbau zu machen.<br />

Das ist für den CO 2 -Abdruck nicht<br />

viel besser.<br />

Um welche Entwicklung wird es in<br />

den nächsten Jahren keinen Weg<br />

herumgeben?<br />

SB: Ich denke, wir werden vermehrt<br />

auf regionale Wertschöpfung achten<br />

müssen – egal ob bei Produktherstellern<br />

oder anderen Betrieben. Es geht<br />

nicht nur um ökologische Nachhaltigkeit<br />

von Produkten, sondern auch um<br />

eine soziale Komponente. Kaufe ich<br />

von der anderen Seite der Erde, oder<br />

konzentriere ich mich auf Regionalität<br />

und den Nutzen, den die Produktion<br />

dem Ort bzw. der Region bringt.<br />

EH: Also letztendlich bedeutet das,<br />

je näher die Firmen bzw. Produkthersteller<br />

an der Baustelle sind, desto<br />

besser. Es wäre sicher eine wünschenswerte<br />

Entwicklung, das mehr<br />

zu berücksichtigen.<br />

•<br />

www.now<strong>architektur</strong>.at


BUILD<br />

BEYOND TOMORROW<br />

Den CO 2<br />

-Fußabdruck eines Gebäudes zu reduzieren, bedeutet für<br />

uns, alle Emissionen zu berücksichtigen, die während des Lebenszyklus<br />

eines Gebäudes entstehen. Um die Emissionen im Vorfeld als auch in<br />

der Nutzungsphase zu reduzieren, bieten wir leistungsstarke, zirkuläre<br />

Lösungen für Fenster, Türen und Fassaden für Gebäude in Städten und<br />

urbanen Gebieten. Wir übernehmen Verantwortung für eine nachhaltigere<br />

Zukunft.<br />

Erfahren Sie mehr auf www.wicona.at<br />

BUILD BEYOND TOMORROW.<br />

Erfahren Sie mehr:


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

36<br />

Ute Stotter<br />

Die Herausforderung<br />

der Vereinbarkeit<br />

Interview mit Architektin Ute Stotter<br />

Architektin Ute Stotter hat sich mit<br />

ihrem Architekturbüro vor allem auf<br />

die Planung und Realisierung von<br />

Einfamilienhäusern gemäß umweltfreundlichen<br />

Richtlinien spezialisiert.<br />

Als zertifizierte Passivhausplanerin<br />

entwirft sie Projekte für individuelle<br />

Bauherren, wobei sie großen Wert auf<br />

die Vereinbarkeit von Funktionalität,<br />

den Wünschen der Auftraggeber und<br />

Umweltschutz legt.<br />

© Ute Stotter


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

37<br />

Ute Stotter<br />

Ein Beispiel für den Einsatz von Naturbaustoffen im Hausbau.<br />

© Superikonoskop<br />

Sie widmen sich der nachhaltigen<br />

und energieeffizienten Gebäudeplanung<br />

– mit welchen Herausforderungen<br />

sehen Sie sich in diesem<br />

Bereich konfrontiert?<br />

Es ist nicht immer leicht, die Anforderungen<br />

der Bauherren, die Aspekte<br />

des Umweltschutzes mitsamt dem<br />

Wunsch nach niedrigen Baukosten<br />

unter einen Hut zu bringen. In der<br />

Architektur ist es darum wichtig,<br />

ganzheitlich zu denken. Mein Bestreben<br />

besteht darin, einen integralen<br />

Planungsansatz anzuwenden und<br />

damit den Weg für Innovationen zu<br />

ebnen. Es ist in der Baubranche nur<br />

so möglich, sich von der Konkurrenz<br />

abzuheben und wettbewerbsfähig<br />

zu bleiben. Von Bedeutung ist es des<br />

Weiteren, den Dialog mit Bauherren<br />

und Partnern offen zu halten. Es sollte<br />

ein steter Austausch stattfinden.<br />

Nur so lässt sich sicherstellen, dass<br />

in der Bauplanung alle Bedürfnisse<br />

ausreichend berücksichtigt werden.<br />

Welche Techniken werden sich in der<br />

Architektur wahrscheinlich durchsetzen?<br />

Gibt es Materialien, die Sie<br />

als besonders wichtig ansehen?<br />

Ich sehe natürlich viele Chancen im<br />

Passivhaus. Auch ist es in der Architektur<br />

wichtig, in umweltverträgliche<br />

Techniken zu investieren. Gemeint<br />

sind hiermit unter anderem Methoden<br />

zur klimaneutralen Energiegewinnung,<br />

wie beispielsweise Solaranlagen<br />

– die Kraft der Sonne ist so stark,<br />

dass sich mit ihr der Energiebedarf in<br />

ganz Mitteleuropa decken ließe.<br />

Diesbezüglich ist anzumerken, dass<br />

Gebäude auf den Klimawandel einen<br />

erheblichen Einfluss haben. Es sind<br />

neue, innovative Ansätze gefragt,<br />

um den Anforderungen des Umweltschutzes<br />

Folge zu leisten. Bereitstellung<br />

und Verbrauch von Energie sind<br />

einem Wandel unterworfen, dem sich<br />

auch die Architektur stellen muss.<br />

Resilienz von Gebäuden lässt sich<br />

einerseits durch eine hochenergieeffiziente<br />

Gebäudehülle und andererseits<br />

mit innovativen Energieversorgungskonzepten<br />

erzielen. Es gilt hier<br />

stets zu bedenken, dass wir immer<br />

auch über Energie sprechen, wenn<br />

von Architektur die Rede ist.<br />

Welche Materialien sehen Sie in Bezug<br />

auf nachhaltiges Bauen als essenziell?<br />

Insbesondere erneuerbare Materialien,<br />

die sich recyceln lassen, sehe ich<br />

als zukunftsträchtig für die Architektur<br />

an. Vor allem Holz kann zu einem<br />

guten ökologischen Fußabdruck<br />

beitragen. Jedes Haus, das klimaverträglichen<br />

Standards entsprechen<br />

soll, muss heute ausreichend<br />

gedämmt sein. Dafür eignen sich in<br />

erster Linie Dämmstoffe aus Zellulose.<br />

Sie sind erneuerbar, nachhaltig<br />

und gleichzeitig anwenderfreundlich.<br />

Vor allem bei Dämmmaterialien ist es<br />

essenziell, auf eine umweltfreundliche<br />

Herkunft zu achten – denn im<br />

Vergleich zu anderen Baustoffen,<br />

können diese durch ihre aufwändigen<br />

Herstellungsprozesse eine besondere<br />

Belastung für die Umwelt sein. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

38<br />

Ute Stotter<br />

Ist bei der Wahl der Materialien im<br />

Hausbau ein Wandel oder ein Umdenken<br />

bei den Architekten erforderlich?<br />

Es ist in der Architektur auf jeden<br />

Fall ein Umdenken notwendig, wenn<br />

es um den Einsatz der Materialien<br />

geht. Wie bereits erwähnt, ist es in<br />

der Bauplanung notwendig, vermehrt<br />

auf erneuerbare Rohstoffe<br />

sowie wiederverwertbare Baustoffe<br />

zu setzen. Doch kommt es in diesem<br />

Punkt auf die individuelle Situation<br />

an. Bei der Sanierung von Altbauten<br />

ist beispielsweise eine andere Herangehensweise<br />

als beim Bau eines<br />

Bürogebäudes gefragt.<br />

Welchen Beitrag könnte die Architektur<br />

in puncto Nachhaltigkeit<br />

sonst noch leisten?<br />

Geht es um die nachhaltige Bauweise,<br />

muss sich die Architektur stetig<br />

weiterentwickeln. Dies reicht von der<br />

privaten Hausplanung bis hin zum<br />

Städtebau. Die Hauptaufgabe der<br />

Architektur besteht in der Planung<br />

für den Menschen. Es geht darum,<br />

individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen<br />

und gleichzeitig gesamtgesellschaftlichen<br />

Anliegen wie dem<br />

Umweltschutz Folge zu leisten. In<br />

der Vereinbarkeit dieser Faktoren<br />

könnte die Architektur zukunftsweisend<br />

sein und Denkanstöße liefern.<br />

Welche Konzepte erachten Sie als<br />

verfolgenswert, wenn es um den Umweltschutz<br />

in der Bauplanung geht?<br />

Es gibt derzeit viele verfolgenswerte<br />

Konzepte in der Architektur.<br />

Probleme gibt es in Bezug auf deren<br />

Umsetzung in Bezug auf Politik<br />

und Gesellschaft. Es braucht für einige<br />

Neuerungen einen ganzheitlichen<br />

Wandel. Ist dieser gegeben,<br />

kann auch die Baubranche vollends<br />

auf den Zug der Nachhaltigkeit mit<br />

aufspringen. In der Architektur ist<br />

außerdem die Kombination mehrerer<br />

Herangehens- und Sichtweisen<br />

erforderlich, um eine durchgehend<br />

klimaverträgliche Bauweise zu gewährleisten.<br />

Eine wirklich effektive<br />

Bauökolgie geht beispielsweise nur<br />

mit Energieeffizienz im Bau einher.<br />

Welche Techniken letzten Endes Anwendung<br />

finden, ist auch eine Frage<br />

der Umsetzbarkeit. Diesbezüglich<br />

ist es im Vorfeld notwendig, sich das<br />

Projekt individuell anzusehen und<br />

es zu analysieren. Auf diese Weise<br />

Schema und Funktionsweise eines Passivhauses.<br />

lassen sich personalisierte Lösungen<br />

finden. Wichtig ist dies vor allem<br />

dann, wenn es um Sanierungen des<br />

historischen Bestands geht. Hier stehen<br />

Architekten vor der Herausforderung,<br />

eine nachhaltige Bauweise der<br />

Machbarkeit gegenüberzustellen. •<br />

www.<strong>architektur</strong>-stotter.at<br />

Ute Stotter realisierte den Umbau des Technologieparks in Graz.<br />

© Space One


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

40<br />

Patrick Lüth<br />

Die Zukunft<br />

des Bauens<br />

ist CO 2 -negativ<br />

Interview mit Architekt Patrick Lüth<br />

“Snøhetta ist ein Ort, von dem<br />

niemand kommt, aber zu dem jeder<br />

gehen kann.” Was aus einer Arbeitsgemeinschaft<br />

aus Architekten und<br />

Landschaftsarchitekten begann, ist<br />

seiner interdisziplinären Denkweise<br />

bis heute treu geblieben. Snøhetta<br />

zielen darauf ab, durch eine intensive<br />

Auseinandersetzung mit dem jeweiligen<br />

Ort, dem Kontext, der Geschichte<br />

und den Menschen, für die sie bauen,<br />

spezifische Entwürfe zu entwickeln.<br />

Kollektives Arbeiten auf Augenhöhe<br />

– sowohl im Team, als auch mit den<br />

Fachplanern und Bauherren – ist für<br />

Patrick Lüth, Partner und Managing<br />

Director von SNØHETTA Innsbruck,<br />

mehr als ein Schlagwort, sondern vielmehr<br />

eine Notwendigkeit unserer Zeit.<br />

Ein radikales Umdenken im Bauwesen<br />

ist für Lüth eine nicht aufzuhaltende<br />

Entwicklung. Ein wichtiger Aspekt<br />

hierbei: das CO 2 -negative Bauen.<br />

© Thomas Schrott


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

41<br />

Patrick Lüth<br />

Die Berufswelt der ArchitektInnen<br />

verändert sich praktisch täglich.<br />

Welche Erfolgsstrategien können Architekturschaffende<br />

in diesen Zeiten<br />

generell entwickeln, diesem stetigen<br />

Wandel zu begegnen?<br />

Ich kann da nur für SNØHETTA<br />

sprechen. Wir haben generell eine<br />

ungewöhnliche Herangehensweise<br />

an diese Thematik. Dadurch, dass<br />

wir im Kollektiv arbeiten, gibt es kein<br />

System des “von oben herab”. Wir<br />

funktionieren als Team. Ich denke,<br />

für die Zukunft müssen wir mehr solcher<br />

Prozesse entwickeln, die diese<br />

Form der (Zusammen-)Arbeit unterstützen.<br />

Auch Corona hat diese Haltung<br />

in keinster Weise beeinflusst.<br />

Wir wissen jetzt, dass die rein digitale<br />

Zusammenarbeit zwar möglich<br />

ist, das Bedürfnis des physischen<br />

Kontakts dabei auf die Dauer allerdings<br />

unbefriedigt bleibt. Diese Form<br />

der Kommunikation wandert also als<br />

neues Werkzeug in unsere Toolbox.<br />

Auf die Dauer gehen beim Hetzen<br />

von Video-Meeting zu Telefon-Call<br />

und zurück die leisen – und so wichtigen<br />

– Zwischentöne leider verloren.<br />

In einer so kreativen Disziplin wie<br />

der unseren, sind es aber gerade die<br />

Feinheiten, die einen Entwurf besonders<br />

machen. Der direkte Kontakt ist<br />

daher durch nichts zu ersetzen.<br />

Birgt der Wandel der Arbeitswelt<br />

dennoch auch positive Aspekte für<br />

SNØHETTA ?<br />

Ich denke, es besteht schon seit<br />

geraumer Zeit eine grundsätzliche<br />

Notwendigkeit, sich in der Bauwirtschaft<br />

neu zu erfinden. Ich kann<br />

hier Werner Sobek nur zustimmen,<br />

der unlängst bei einem Vortrag auf<br />

den Punkt brachte, dass wir unsere<br />

Klimaziele nie erreichen werden,<br />

wenn wir so weiterbauen wie bisher.<br />

Wir müssen unsere technologischen<br />

Grundlagen kurzfristig adaptieren<br />

können. Vielleicht sind wir da (zum<br />

Teil) auch schon auf einem guten<br />

Weg. Dass CO 2 -sparendes Bauen<br />

nicht beim Betrieb, sondern mit der<br />

Errichtung beginnt, ist mittlerweile<br />

immerhin auch bei vielen Investoren<br />

und Bauherren präsent. Da ist eine<br />

generelle Justierung am Markt notwendig.<br />

Schade, dass in Momenten<br />

wie diesen, wo eine breite Masse<br />

den Holzbau für sich entdeckt hat,<br />

die Preise steigen. Dem könnten allerdings<br />

auch Mechanismen in der<br />

Verwaltung oder der Politik entgegenwirken<br />

– Stichwort E-Mobilität.<br />

Leider haben die großen Baufirmen,<br />

und damit der Massivbau, in Bezug<br />

auf Kostensicherheit und Erfahrung<br />

den ökologischeren Baustoffen noch<br />

einiges voraus. Wenn wir es allerdings<br />

schaffen, CO 2 -neutrales Bauen<br />

zu propagieren und auch die Bauherren<br />

ins Boot holen, dann wäre ein<br />

großer Schritt getan.<br />

Was wird von einem zukunftsgewandt<br />

agierenden Architekturbüro<br />

erwartet und welchen Einfluss hat<br />

die Digitalisierung auf Ihre Arbeit?<br />

Mit der, in den 90er Jahren einsetzenden,<br />

Digitalisierung der Welt der<br />

Architektur, sind auf der Grundlage<br />

dieser neuen Möglichkeiten eine Reihe<br />

abgefahrener Entwürfe entstanden.<br />

Dieser Aspekt ist meiner Meinung<br />

nach mittlerweile nicht mehr<br />

wichtig. Anstelle dieser modischen<br />

Erscheinungen ist heute der Inhalt<br />

wieder ausschlaggebender als die<br />

Form – was ich absolut begrüße. Die<br />

Digitalisierung als solche ist dennoch<br />

allgegenwärtiger Bestandteil unserer<br />

Arbeitsprozesse, bestimmt aber<br />

nicht den Output. Errungenschaften<br />

wie BIM sind heute Standard und wir<br />

greifen gerne auf die praktischen<br />

Funktionen zurück. Die Werte, die<br />

hinter einem Entwurf stehen, können<br />

solche Programme allerdings nicht<br />

berücksichtigen. Gerade Aspekte<br />

wie Gesellschaft oder Nachhaltigkeit<br />

fügen wir diesen digitalen Tools also<br />

ganz analog hinzu. So empfinde ich<br />

auch die Designplattform Spacemaker<br />

weniger als Bedrohung für uns<br />

Architekten, denn als Fingerzeig,<br />

dass sich die Architektur stetig weiterentwickelt.<br />

Gesellschaftliche Räume<br />

emotional denken, können am<br />

Ende nur wir selbst.<br />

u<br />

Leitmotive für den Masterplan von Budapest South Gate sind<br />

Resilienz und Nachhaltigkeit, Identität und Diversität, Vision<br />

und Pragmatik sowie natürliche und soziale Dynamiken.<br />

© ZOA3D


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

42<br />

Patrick Lüth<br />

Das Powerhouse Telemark produziert über einen Lebenszyklus<br />

von mindestens 60 Jahren gerechnet mehr Energie als es<br />

verbraucht. Die nach Südosten ausgerichtete Fassade und das<br />

Dach werden jedes Jahr 256.000 kWh erzeugen, was etwa dem<br />

Zwanzigfachen des jährlichen Energieverbrauchs eines durchschnittlichen<br />

norwegischen Haushalts entspricht. Überschüssige<br />

Energie wird in das Stromnetz eingespeist.<br />

© IVAR KVAAL<br />

Wo sehen Sie den Architekten in seiner<br />

Rolle in der Zukunft? Was wird<br />

(oder muss) sich im Selbstverständnis<br />

ändern?<br />

Der Architekt als “Meister seines<br />

Fachs” ist ein veraltetes Klischee.<br />

Ich sehe ihn vielmehr in der Rolle des<br />

Vermittlers – wobei das Gestalten<br />

der konstruierten Umwelt die Hauptaufgabe<br />

bleibt. Was sich wohl ändern<br />

wird: Wir werden weniger Neues bauen,<br />

sondern vermehrt an kreativen<br />

Konzepten der Umnutzung arbeiten.<br />

So lassen sich Kosten einsparen,<br />

aber auch CO 2 , das ja bereits “verbraucht”<br />

wurde. Oftmals erscheint<br />

es dennoch leichter, neu zu bauen.<br />

Da müssen wir die Akzeptanz der<br />

Auftraggeber erlangen, aber auch<br />

ein politisches wie gesellschaftliches<br />

Umdenken anstoßen. Durch Aufklärung<br />

und fachliche Diskussionen<br />

können wir als Architekten und Planer<br />

durchaus Einfluss nehmen. Meiner<br />

Meinung nach wird die Rolle des<br />

Städtebaus in diesem Zusammenhang<br />

oft noch unterschätzt. Last but<br />

not least gehört das Bewusstsein für<br />

Architektur und Baukultur in Österreich<br />

grundlegend gesellschaftlich<br />

sensibilisiert. Da haben uns andere<br />

Länder viel voraus.<br />

© IVAR KVAAL


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

43<br />

Patrick Lüth<br />

Ein positiver Aspekt, den Sie aus<br />

dem vergangenen Jahr mitgenommen<br />

haben?<br />

Die reduzierte Reisetätigkeit hat im<br />

Alltag ein enormes Zeitkontingent<br />

freigesetzt, ein sehr positiver Aspekt.<br />

Auch die Erweiterung unseres<br />

Arbeitsraumes in die virtuelle Welt<br />

hat letztlich dazu geführt, dass wir<br />

nun problemlos zwei Mitarbeiter im<br />

Ausland sitzen haben – eine Sache,<br />

die wir uns so vorher vielleicht nicht<br />

hätten vorstellen können. Ich muss<br />

da oft an ein Zitat denken, dass ich<br />

während des Lockdowns gelesen<br />

habe: “nothing should go back to<br />

normal, normal wasn’t working”. Ich<br />

sehe aber auch, dass da ein enormes<br />

Bedürfnis zurück zur Normalität<br />

besteht. Wir werden also sehen, was<br />

bleibt. Wir jedenfalls hoffen auf ein<br />

radikales Umdenken im Bauwesen<br />

und werden definitiv Teil davon sein.<br />

Was macht Produkte und Baustoffe<br />

Ihrer Meinung nach nachhaltig, effizient<br />

oder smart?<br />

Ein heute geplantes Gebäude sollte<br />

in Zukunft unbedingt rückbaubar<br />

sein. Die Umsetzbarkeit dieses<br />

Anspruchsdenkens hängt natürlich<br />

auch vom Auftraggeber ab. Ich würde<br />

mir jedenfalls eine nachvollziehbare<br />

Dokumentation des CO 2 -Fußabdrucks<br />

für jedes Bauteil und Gebäude<br />

wünschen. Das gibt es ja bereits am<br />

Markt, aber auch hier ist noch Luft<br />

nach oben. Wenn Ausschreibungen<br />

in Zukunft dahingehend justiert würden,<br />

wäre das ein großer Ansporn<br />

für die Hersteller. Eine Grundvoraussetzung<br />

hierfür sind sicherlich die<br />

Vorgaben in den Bebauungsplänen.<br />

Da sehe ich die Politik und Kommunen<br />

in der Verantwortung. Denn was<br />

ganz klar ist: Wir haben kein Energie-,<br />

sondern ein Emissionsproblem.<br />

© Christian Flatscher<br />

© Christian Flatscher<br />

Wie sollte die perfekte Zusammenarbeit<br />

mit den Fachplanern und Herstellern<br />

Ihrer Meinung nach ablaufen?<br />

Neben der Dokumentation des<br />

CO 2 -Fußabdrucks sehe ich den Cradle-to-Cradle<br />

Gedanken hier ganz<br />

groß. Sortenreines Bauen muss in<br />

Zukunft einfach möglich sein. Wir<br />

haben bereits Low-Tech-Gebäude<br />

umgesetzt, die absolut am Stand der<br />

Technik sind. Für das Headquarter<br />

von ASI Reisen in Tirol konnten wir<br />

beispielsweise auf eine Lüftungsanlage<br />

verzichten. Dazu bedarf es allerdings<br />

des Bewusstseins der Architekten<br />

sowie engagierter Fachplaner,<br />

die von Beginn an mit eingebunden<br />

werden. CO 2 -negative Gebäude müssen<br />

logischerweise selbst Energie<br />

produzieren. Das gilt es bereits im<br />

Entwurf zu bedenken, um die Geometrie<br />

und Ausrichtung dementsprechend<br />

optimal planen zu können.<br />

Die Ausbildung der Haustechniker<br />

ist da vielleicht noch nicht innovativ<br />

genug. Wir haben hier kompetente<br />

Planungspartner im Boot, aber für<br />

die breite Masse ist der Planungsaufwand<br />

noch zu hoch – und nachhaltiges<br />

Bauen damit oftmals zu teuer.<br />

Das muss sich ändern.<br />

•<br />

www.snohetta.com<br />

Alpinschule Innsbruck (ASI) office:<br />

Das Konzept für den Holzbau setzt<br />

auf die Symbiose zwischen Natur und<br />

Mensch – ein Thema, das die Arbeit<br />

der ASI prägt. Neben einem offenen<br />

Büro-Konzept steht ein nachhaltiges<br />

Energiekonzept im Mittelpunkt. Die<br />

Fassade aus Kletterpflanzen fungiert<br />

als „grüne Pufferzone“, deren Mikroklima<br />

die benötigte Energie für die<br />

Gebäudekühlung vermindert.


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

44<br />

Andreas Moser und Werner Jager<br />

Nachhaltiges Bauen<br />

für eine lebenswerte Zukunft<br />

Interview mit Andreas Moser und Dr.-Ing. Werner Jager<br />

Zuerst eine Frage an den Architekten:<br />

Welche Rolle spielen in Ihrem Planungsprozess<br />

eigentlich heute recycelbare<br />

bzw. nachhaltige Materialien?<br />

Andreas Moser: Ganz klar: Eine<br />

immer größere. Man muss jedoch<br />

dazu sagen, dass unser Büro bei<br />

den aktuellen Großprojekten auf<br />

einen anderen Zeithorizont schaut<br />

– diese haben ihren Ursprung meist<br />

in 2013 bis 2016. Und da war das<br />

Thema Nachhaltigkeit noch nicht<br />

so prägend wie heute. Weil aber<br />

die Zeitspanne bis zur Realisierung<br />

so unglaublich lang ist, machen wir<br />

das, was wir im Rahmen des weiteren<br />

Planungsprozesses ermöglichen<br />

können. Das ist oftmals nicht so<br />

spektakulär vorzeigbar wie Projekte,<br />

die von der ersten Idee an zum Beispiel<br />

in Holz-Hybrid-Bauweise gedacht<br />

worden sind. Aber im Rahmen<br />

der Möglichkeiten setzen wir ganz<br />

klar auf nachhaltige Materialien.<br />

Ist die Berücksichtigung nachhaltiger<br />

Materialien für Sie als Architekt<br />

also eine Verpflichtung oder kommt<br />

der Wunsch meist vom Investor oder<br />

Bauherren?<br />

Andreas Moser: Als Architekten verstehen<br />

wir uns als Berater des Bauherrn.<br />

Die Kollegen, die bei uns arbeiten,<br />

wollen sich ja auch mit ihren<br />

Gebäuden identifizieren. Ich finde, es<br />

ist einfach unsere Pflicht, den Anteil<br />

recycelbarer Materialien beim Bauen<br />

Der Gebäudesektor ist für einen<br />

beachtlichen Teil aller CO 2 -Emissionen<br />

verantwortlich – vor diesem Hintergrund<br />

rücken nachhaltige Konzepte<br />

immer mehr in den Fokus. Recycelte<br />

Materialien zum Beispiel bieten ein<br />

enormes CO 2 -Einsparpotenzial und helfen<br />

dabei, wertvolle Rohstoff-Ressourcen<br />

zu schonen. Im Interview erläutern<br />

Architekt Andreas Moser (cyrus moser<br />

architekten BDA) und Dr.-Ing. Werner<br />

Jager vom Aluminiumsystemhaus<br />

WICONA, was nachhaltiges Bauen für<br />

sie ausmacht und wie sie die zukünftige<br />

Entwicklung einschätzen. Andreas<br />

Moser ist Gründer und Mitglied der Geschäftsleitung<br />

des Frankfurter Architekturbüros<br />

cyrus moser architekten<br />

BDA. Zudem ist der Dipl.-Ing. Architekt<br />

im Städtebaubeirat Frankfurt sowie<br />

im Architekten- und Ingenieurverein<br />

Frankfurt aktiv.


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

45<br />

Andreas Moser und Werner Jager<br />

noch weiter zu erhöhen und das Thema<br />

nach vorne zu tragen. Und das<br />

ist eben keine Frage des Wunsches,<br />

sondern nur des „wie“ – also wie setzen<br />

wir das Thema Nachhaltigkeit<br />

am besten im Gebäudekonzept um.<br />

Wie sehen Sie das aus Sicht der<br />

Bauindustrie, Herr Dr. Jager?<br />

Dr. Werner Jager: Wiederverwendbare<br />

Materialien sind natürlich ein<br />

ganz wesentlicher Aspekt des zukunftsgerechten<br />

Bauens. Das Thema<br />

Nachhaltigkeit im Sinne von<br />

„Nachhalten“ beinhaltet jedoch mehr<br />

als das reine Material, das wiederverwendbar<br />

ist. In diesem Kontext<br />

finde ich zum Beispiel den Ansatz<br />

des Zertifizierungssystems BREEAM<br />

spannend. Dabei gibt es besondere<br />

Punkte, wenn aus einem alten Gebäude<br />

ganze Teile wiederverwendet werden<br />

können. Konkret geht es dabei<br />

darum, zum Beispiel Bestandsgläser<br />

aus dem Altgebäude im neuen Kontext<br />

wieder zu verwenden – natürlich<br />

so, dass sie ins architektonische<br />

Konzept des Neubaus passen. Auch<br />

die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges<br />

Bauen (DGNB) hat kürzlich<br />

ein Zertifizierungssystem vorgestellt,<br />

das sich gezielt mit dem nachhaltigen<br />

Gebäuderückbau beschäftigt.<br />

Mittlerweile gibt es am Markt auch<br />

Online-Plattformen, die sich auf den<br />

Handel mit bzw. den Verkauf von<br />

wiederverwertbaren Materialien für<br />

die Bauwirtschaft spezialisiert haben.<br />

Das wäre dann der Trend zur Kreislaufwirtschaft<br />

im eigentlichen Sinne<br />

– also hin zu Cradle-to-Cradle?<br />

Andreas Moser: Eine echte Kreislaufwirtschaft<br />

ist definitiv ein wichtiger<br />

Punkt. Doch das fängt natürlich schon<br />

bei der Materialforschung und -zusammensetzung<br />

an. Wir als Architekten<br />

sind jedoch mehr im Prozess verhaftet<br />

und nicht in der Erforschung von<br />

neuen Materialien. Wir suchen eher die<br />

Kompetenz der anderen, um sie in unseren<br />

Projekten mit zu integrieren. Wir<br />

sind „System-Integratoren“.<br />

Dr. Werner Jager: Nachhaltigkeit<br />

muss immer ganzheitlich gedacht<br />

werden – das ist keine „One-Man-<br />

Show“. Dazu gehört neben den<br />

Architekten und der Bauindustrie<br />

natürlich auch der Investor bzw.<br />

Bauherr – dieser ist es ja, der das<br />

Gebäude finanziert und bezieht. Und<br />

dieser muss dieses Thema genauso<br />

nachhaltig fordern und vorantreiben<br />

wollen – auch wenn es manchmal<br />

nicht kostenneutral zu realisieren ist.<br />

Gutes Stichwort: Was kostet Nachhaltigkeit<br />

heute?<br />

Andreas Moser: Wenn man Nachhaltigkeit<br />

nur wirtschaftlich betrachtet,<br />

bedeutet nachhaltiges Bauen heute<br />

immer einen Aufpreis im Vergleich<br />

zum konventionellen Bauen. Kostenneutral<br />

geht es (noch) nicht. Aber<br />

nur die Wirtschaftlichkeit zu betrachten,<br />

greift einfach zu kurz.<br />

Dr. Werner Jager: Das stimmt, aber<br />

ich bin mir sicher: Wenn ein Gebäude<br />

nicht als reines Investment gesehen<br />

wird, sondern auch die Nutzungsphase<br />

mit einfließt, lässt sich<br />

Nachhaltigkeit auf jeden Fall kostenneutral<br />

darstellen. Deswegen ist es<br />

immer gut, einen Investor im Boot zu<br />

haben, der über den eigenen Investitions-Tellerrand<br />

blickt und auch die<br />

folgenden Phasen mit betrachtet.<br />

Andreas Moser: Ergänzend dazu: Ich<br />

würde sagen „es kostet, was es dir<br />

wert ist“. Realität ist meistens, dass<br />

das Projekt erstmal in puncto Wirtschaftlichkeit<br />

betrachtet wird, sonst<br />

wird es erst gar nicht realisiert. Wenn<br />

in diesen ganz frühen Stadien Nachhaltigkeitsthemen<br />

auf die Agenda<br />

kommen, kommt ganz häufig das<br />

Kosten-/Nutzen-Argument. Nachhaltigkeit<br />

muss sich einfach rechnen<br />

– gerade für Investoren.<br />

In diesem Zusammenhang ist die Gebäude<br />

Zertifizierung doch auch ein<br />

gutes Argument. Wird diese eigentlich<br />

von Investoren-Seite nachgefragt?<br />

Andreas Moser: Das kommt immer<br />

auf den einzelnen Investor an.<br />

Diejenigen, die quasi reihenweise<br />

Gebäude bauen und dann direkt<br />

weiterverkaufen, interessiert eine<br />

Gebäudezertifizierung meist nicht<br />

wirklich. Bauherrn, die für sich bzw.<br />

Dr.-Ing. Werner Jager ist Geschäftsführer<br />

der Hydro Building Systems<br />

Germany GmbH in Ulm. Vormals war<br />

der Bauphysiker unter anderem als<br />

Geschäftsführer eines eigenen Ingenieurbüros<br />

tätig und lehrte zudem als<br />

Professor an der Hochschule Augsburg.<br />

ihr Unternehmen bauen und langfristig<br />

denken, sind in der Regel auch<br />

an Zertifizierungen interessiert. Wir<br />

müssen noch viel tun, um nachhaltiges<br />

Denken gerade bei klassischen<br />

Investoren zu etablieren.<br />

Dr. Werner Jager: Wir erleben aktuell<br />

in Diskussionen vor allem mit größeren<br />

Investoren-Gruppen, dass das<br />

Thema Nachhaltigkeit immer stärker<br />

in deren Unternehmenskulturen verankert<br />

wird und von den Mitarbeitern<br />

verinnerlicht wird. Für uns als<br />

Aluminiumsystemhaus bedeutet das,<br />

dass in Bezug auf unsere Systeme<br />

viel öfter nachgefragt wird: Welche<br />

Zertifikate haben Sie? Wie erfolgt<br />

die Überprüfung der Angaben? Wird<br />

das extern überwacht? Zahlen und<br />

Daten sind gefragt und alles muss<br />

transparent verfügbar sein. Das<br />

klassische „Green Washing“ funktioniert<br />

heute nicht mehr. All dies hat<br />

natürlich auch mit dem Klimawandel<br />

zu tun – fast jeder will mittlerweile<br />

den CO 2 -Fußabdruck reduzieren und<br />

den Einfluss auf die Umwelt entsprechend<br />

minimieren. Es wird in der Baubranche<br />

in Zukunft immer wichtiger<br />

werden, ein nachhaltiges Gebäude<br />

nachzuweisen. Das ist ein wichtiges<br />

Verkaufsargument und spricht für<br />

die Gebäudezertifizierung. u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

46<br />

Andreas Moser und Werner Jager<br />

Der schlanke, 106 Meter hohe Senckenberg-Turm befindet sich im<br />

Herzen des Senckenberg-Quartiers im Frankfurter Westen und<br />

wurde mit einer Fassade aus Recycling-Aluminium realisiert.<br />

Aktuell haben Sie beim Senckenberg-Turm<br />

in Frankfurt zusammengearbeitet.<br />

Dort ist die Fassade aus recyceltem<br />

Aluminium erstellt worden.<br />

Andreas Moser: Das ist richtig. Wir<br />

als Architekten sind in dem Prozess<br />

jedoch recht spät eingestiegen. Der<br />

ursprüngliche Wunsch, den 106 Meter<br />

hohen Büroturm möglichst ressourcen-<br />

und umweltschonend zu<br />

realisieren, kam vom Bauherrn – der<br />

BNP Paribas Real Estate. Diese legt<br />

als international agierendes Unternehmen<br />

großen Wert auf Nachhaltigkeit.<br />

Das haben wir natürlich auch<br />

sehr begrüßt.<br />

Wie ist da die Zusammenarbeit gelaufen<br />

und was bringt der Einsatz<br />

von recyceltem Aluminium?<br />

Dr. Werner Jager: Wir waren als Systemgeber<br />

quasi als verlängerter Arm<br />

des ausführenden Metallbau-Betriebs<br />

Rupert App tätig – dieser hat die<br />

Fassade dann mit unseren Systemen<br />

realisiert. Der Turm wurde zu 95 %<br />

aus recyceltem Aluminium errichtet.<br />

Dieses Material war schon einmal<br />

in einem Aluminiumprodukt – zum<br />

Beispiel einem Fenster – verbaut<br />

und benötigt bei der Erzeugung nur<br />

5 % der Energie von Primär-Aluminium.<br />

Und das schlägt sich sichtbar<br />

nieder. Während für die Herstellung<br />

von einem Kilogramm Aluminium in<br />

Europa durchschnittlich rund 8,6 kg<br />

CO 2 ausgestoßen werden, sind es bei<br />

unserem End-of-Life-Aluminium Hydro<br />

CIRCAL 75R nur 2,3 kg CO 2 pro<br />

1 kg Aluminium. Das schlägt sich<br />

auch beim gesamten CO 2 -Fußabdruck<br />

des Projekts nieder: Hier wurden<br />

2.600 Tonnen CO 2 eingespart.<br />

Zum Abschluss ein Blick in die Zukunft:<br />

Wie sehen Sie das Thema<br />

Nachhaltigkeit beim Bauen in den<br />

nächsten zehn, zwanzig Jahren?<br />

Dr. Werner Jager: Ob Cradle-to-Cradle<br />

das Maß aller Dinge<br />

wird, wird sich zeigen. Aber das Thema<br />

Kreislaufwirtschaft wird sicher<br />

noch wichtiger werden. Der ökologische<br />

Fußabdruck eines verwendeten<br />

Materials wird einen ganz zentralen<br />

Stellenwert bekommen. Und damit<br />

werden sich nicht nur hinsichtlich<br />

des Materials, sondern auch im Bereich<br />

möglicher Lösungsansätze<br />

neue Themen ergeben. Ich denke<br />

zum Beispiel an die Modularisierung<br />

in der Gebäudehülle. Das heißt, eine<br />

Fassade, die nach 40 Jahren demontiert<br />

wird, wird ertüchtigt und kann<br />

dann nochmal 40 Jahre genau in<br />

der gleichen Funktion im ähnlichen<br />

Design im Einsatz bleiben. Oder der<br />

Rückbau und Austausch einzelner<br />

Module – das ist auch spannend. Da<br />

wird sich auch technisch noch einiges<br />

ergeben.<br />

Andreas Moser: Das Bauen ist nach<br />

wie vor einer der größten CO 2 -Produzenten<br />

weltweit. Aber gar nicht mehr<br />

zu bauen, das geht natürlich nicht.<br />

Also kann es zukünftig nur so gehen:<br />

Graue Energie, Wiederverwendbarkeit,<br />

Kreislaufdenken. Und über allem<br />

steht natürlich der Klimawandel.<br />

Und der ist eine gute Chance, jetzt<br />

smart zu denken und endlich nachhaltiger<br />

zu werden in der gesamten<br />

Gesellschaft und auch beim Bauen.<br />

Machen wir was draus!<br />

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hochleistungsfähige,<br />

nachhaltige und<br />

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<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

48<br />

Ursula Schneider<br />

Nachwachsende<br />

Rohstoffe haben noch<br />

immer schlechte Karten<br />

Interview mit Architektin DI Ursula Schneider<br />

Ursula Schneider beschäftigt sich seit<br />

30 Jahren mit ökologischer, klimasensitiver<br />

Architektur. Als Leiterin des<br />

Wiener Architekturbüros POS, Lehrende<br />

und Vorsitzende des Ausschusses<br />

Nachhaltiges Bauen in der Kammer der<br />

ZiviltechnikerInnen steht sie für nachhaltige<br />

Themen wie passive Gebäudeplanung,<br />

CO 2 -neutrales und kreislauffähiges<br />

Bauen und gibt diese Werte<br />

auch weiter. Ihr nachhaltiger Fokus war<br />

von Anfang an vorhanden und entwickelte<br />

sich von solarer Architektur hin<br />

zu einem ganzheitlichen Ansatz voll<br />

zukunftsfähiger Gebäudekonzepte.<br />

© Danielle Basser


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

49<br />

Ursula Schneider<br />

Was sind die größten Herausforderungen<br />

in der Architektur und für<br />

ArchitektInnen?<br />

Eine große Herausforderung ist bestimmt,<br />

dass die Ausführungsplanung<br />

immer komplexer wird und stets neue<br />

Felder dazukommen. Vor allem im Bereich<br />

Elektrotechnik und Haustechnik<br />

bedeutet das einen großen Abstimmungsaufwand.<br />

Oft gibt es dann<br />

Schnittstellen, wo noch gar nicht<br />

definiert ist, wer was zu bearbeiten<br />

hat. Viele Bauelemente haben sich<br />

technisch in den letzten zehn Jahren<br />

enorm entwickelt und können heute<br />

viel mehr – z.B. Türen. Die Planung<br />

dieser zum Teil komplexen Komponenten,<br />

wird dann nach wie vor bei<br />

den ArchitektInnen gesehen, obwohl<br />

uns selbst das Fachwissen fehlt.<br />

Wo macht sich diese Entwicklung<br />

besonders bemerkbar?<br />

Es bilden sich vor allem im (elektro-)<br />

technischen und Informatik-Bereich<br />

neue Berufsfelder aus, die aber von<br />

den Bauherren noch nicht beauftragt<br />

werden. Für Steuerungen von Hochbauteilen<br />

wie z.B. Türen, Lüftungsflügeln<br />

oder Sonnenschutz gäbe es<br />

heute Mechatroniker, die sich mit<br />

dieser speziellen Art der Mess-Steuer-Regeltechnik<br />

beschäftigen. Dass<br />

diese auch beauftragt werden sollten,<br />

wird aber oftmals vergessen.<br />

Das Projekt Wohnen im 8ten zeigt wie Nachverdichtung aussehen kann. Mitten in<br />

Wien treffen hier hochwertige Wohn- und Freiräume aufeinander. Energieeffizienz<br />

und Langlebigkeit stehen mit optimierter Dämmung, Dreifachverglasung und<br />

einer Natursteinfassade im Mittelpunkt.<br />

© Liv Immobilien<br />

Gibt es heutzutage noch weitere besondere<br />

Herausforderungen für ArchitektInnen?<br />

Neben den rasanten technologischen<br />

Veränderungen, werden auch<br />

die Normen und Gesetze immer mehr<br />

und mehr. Diese Änderungen sind<br />

teilweise sinnvoll, teilweise weniger.<br />

Sie passieren mit einer Frequenz,<br />

die es uns schwer macht, auf dem<br />

neuesten Stand zu bleiben. Kaum ist<br />

eine OIB-Richtlinie, Bauordnung oder<br />

Norm draußen, kommt die nächste.<br />

Schwierig ist dabei vor allem, dass<br />

die Honorare oft nicht dem entsprechen,<br />

was an Schulungen eigentlich<br />

notwendig wäre.<br />

Wie sehr wirken sich Themen wie<br />

Rohstoffverknappung und Preisdruck<br />

auf die Arbeit aus?<br />

Derzeit sind durch Corona Lieferengpässe<br />

bemerkbar. Manche Sachen<br />

gibt es einfach nicht, oder ewig lange<br />

nicht. Wir wollten bei einem aktuellen<br />

Bauvorhaben ein paar Duschtüren in<br />

einer bestimmten Farbe haben, die<br />

bekommen wir erst in 5 Monaten.<br />

Produkte wie Stahl werden seit einigen<br />

Jahren kontinuierlich teurer.<br />

Soviel ich weiß, gibt es in manchen<br />

EU-Ländern auch schon eine Verknappung<br />

bei Sand und Kies, bei uns<br />

jedoch noch nicht.<br />

Ist hinsichtlich Themen wie Klimawandel<br />

und Nachhaltigkeit ein Umdenken<br />

zu bemerken?<br />

Um die Themen Klimawandel und<br />

Nachhaltigkeit kommt heute niemand<br />

mehr herum. Sie können keinem egal<br />

sein. Speziell bei professionellen Auftraggebern<br />

ist ein Umdenken zu bemerken,<br />

dass dies schnell genug wäre,<br />

könnte ich aber nicht behaupten. Die<br />

Frage ist immer, wie ernst man die<br />

Thematik nimmt und was man darunter<br />

genau versteht: Betrachtet man<br />

nur einzelne, wenige Teilbereiche<br />

oder geht es um eine ganzheitlichere<br />

und engagierte Betrachtung? u


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

50<br />

Ursula Schneider<br />

Sind die Auftraggeber die einzigen,<br />

wo sich das bemerkbar macht?<br />

NutzerInnen sehen das Thema Nachhaltigkeit<br />

zwar wohl global, aber<br />

nicht, dass es sie selbst betrifft und<br />

sie viel dazu beitragen könnten. Gebäudeintegrierte<br />

Photovoltaik sollte<br />

z.B. einen Beitrag dazu leisten, dass<br />

wir gesamtösterreichisch den Umstieg<br />

auf 100% erneuerbare Energien<br />

schaffen, nicht damit jeder einzelne<br />

dann mit „reinem“ Gewissen mehr<br />

Strom verbrauchen kann – und das<br />

ist in der breiten Bevölkerung noch<br />

nicht angekommen bzw. es wird zu<br />

wenig darüber aufgeklärt. Man könnte<br />

dem Otto Normalverbraucher sagen,<br />

was sein Gesamtenergiebedarf<br />

sein sollte, um einen ausreichenden<br />

Beitrag zur Energiewende zu leisten<br />

– von den eingesetzten Materialien<br />

noch gar nicht gesprochen…<br />

Prognosen der Klimakrise gibt es seit<br />

den 80er-Jahren. Die Politik hat hier<br />

geschlafen, sie denkt immer noch in<br />

zu kurzen Zeiträumen und entscheidet<br />

nur, was sie für mehrheitsfähig<br />

hält. Wenn Österreich bis 2030 zu<br />

100% auf erneuerbaren Strom umgestellt<br />

sein soll, hätte man dafür<br />

auch viel früher die Voraussetzungen<br />

schaffen müssen. Wenn ich weitreichend<br />

Dächer für Photovoltaik<br />

nutzen will, muss das auch rechtlich,<br />

technisch und von der Größe der<br />

sinnvoll nutzbaren Flächen her möglich<br />

sein. Das benötigt Vorbereitung.<br />

Können Architekturbüros auch<br />

dazu beitragen?<br />

Natürlich könnten wir da mehr tun,<br />

aber ArchitektInnen sind Dienstleister<br />

und müssen vor allem das<br />

machen, was seitens eines Auftraggebers<br />

gewünscht wird – ist das<br />

ein Gebäude aus nachwachsenden<br />

Rohstoffen, planen sie das, wird<br />

es nicht gefordert, scheidet diese<br />

Variante meist aus. Einen Wettbewerb<br />

gewinnt man mit Nachhaltigkeit<br />

nicht, da sind andere Faktoren<br />

wichtiger – damit würde man einen<br />

Wettbewerb aber auch überfrachten.<br />

Trotzdem sieht man bei einer Ausschreibung<br />

sofort, wie ernst es ein<br />

Auslober mit dem Thema Nachhaltigkeit<br />

meint. Ambitionierte Ziele wie<br />

ÖGNB-Zertifikate über 950 Punkte,<br />

weitestgehend erneuerbare Energiebereitstellung<br />

auf dem Grundstück,<br />

Anforderungen hinsichtlich Rückbaubarkeit<br />

oder möglichst wenig<br />

Abfall im Bauprozess stehen leider<br />

kaum drin.<br />

Inwiefern wirkt sich die voranschreitende<br />

Digitalisierung auf die Arbeit<br />

von ArchitektInnen aus?<br />

Das bemerkt man darin, dass Architekturbüros<br />

auf BIM-Planung<br />

umsteigen. Die Arbeit der unterschiedlichen<br />

Disziplinen an einem<br />

gemeinsamen Gebäudemodell<br />

steckt meiner Meinung nach aber<br />

noch in den Kinderschuhen, da es<br />

die Datenmengen noch kaum zulassen<br />

– das ist aber bestimmt die Zukunft.<br />

Momentan arbeiten wir über<br />

Schnittstellen. Schwierig ist dabei,<br />

dass die einzelnen Beteiligten ganz<br />

unterschiedliche Parameter abfragen<br />

müssen und deshalb im Aufbau<br />

völlig unterschiedliche 3D-Modelle<br />

brauchen. Einfacher wird der Prozess<br />

bzw. die Arbeit durch die Digitalisierung<br />

nicht, man setzt damit vor allem<br />

komplexere Dinge als früher um.<br />

Für das Sperlgymnasium in Wien entwarf POS architecture einen Neubau, der<br />

den Bestand harmonisch ergänzt. Automatisierte Fenster, Speichermasse und als<br />

Lernzonen ausgebildete Lufträume regulieren das Raumklima.<br />

© Hertha Hurnaus © Hertha Hurnaus


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

51<br />

Ursula Schneider<br />

© POS architekten, Tim X.C.<br />

© Lucko Prawito<br />

Was müssen moderne Produkte,<br />

Baustoffe und Technologien können,<br />

um diesen Prozess zu unterstützen?<br />

Ich denke, da ist sehr viel Entwicklung<br />

im Gange, die durchaus auch<br />

einer Ökologisierung zugutekommen<br />

könnte. Für mich geht es hauptsächlich<br />

um zwei Punkte: Zum einen wird<br />

man meiner Meinung nach auf Seite<br />

der Verarbeiter aufrüsten müssen,<br />

um vermehrt auf ökologischere, oft<br />

aufwendiger zu verarbeitende Produkte<br />

umsteigen zu können. Heute<br />

sind die Arbeitskräfte am Bau in vielen<br />

Bereichen immer noch ungelernt.<br />

Zum anderen könnte es verstärkt in<br />

Richtung Robotik und 3D-Druck gehen.<br />

Damit lassen sich ganz andere<br />

Formen realisieren. In beiden Fällen<br />

müsste man die Leute in völlig neue<br />

Richtungen qualifizieren.<br />

Was macht für Sie ein Produkt nachhaltig,<br />

effizient bzw. smart?<br />

Seine Inhaltsstoffe. Wichtig sind Kriterien<br />

wie die Humantoxizität, die Auswaschung<br />

von bedenklichen Stoffen<br />

in den Boden bzw. ins Wasser und ob<br />

ein Produkt rückgebaut werden kann.<br />

Beispielsweise Verbundwerkstoffe<br />

lassen sich später schwierig trennen,<br />

das würden wir vermeiden.<br />

Um welche Entwicklung führt in den<br />

nächsten Jahren kein Weg herum?<br />

Mehr Sanierung. Wir werden auch<br />

vermehrt die spätere Umnutzbarkeit<br />

von Gebäuden bedenken und dementsprechend<br />

planen müssen. Außerdem<br />

müssen Materialien so eingesetzt<br />

werden, dass sie ihre Stärken<br />

ausspielen können und nicht um jeden<br />

Preis. Stahlbeton ist ein sehr wesentliches<br />

Produkt – aber oft ließe<br />

sich auch Holz oder Lehm einsetzen.<br />

Natürlich sollte viel mehr auf nachwachsende<br />

Rohstoffe gesetzt werden.<br />

Hier braucht es eine Kostenwahrheit<br />

bei den Materialien. Diese<br />

ist heute nicht gegeben, da Dinge wie<br />

Wasser- und Energieverbrauch, Umwelt-<br />

und Luftverschmutzung bzw.<br />

spätere Entsorgung nicht miteinberechnet<br />

werden – das führt dazu,<br />

dass Styropor sehr billig ist, Produkte<br />

wie z.B. Stroh jedoch viel teurer. Damit<br />

haben nachwachsende Rohstoffe<br />

derzeit immer schlechte Karten, den<br />

Preis bezahlen wir aber alle. •<br />

www.pos-architecture.com<br />

Wie funktioniert die Zusammenarbeit<br />

mit Lieferanten und Herstellern<br />

bzw. gibt es Verbesserungsbedarf?<br />

Im Großen und Ganzen funktioniert<br />

sie gut. Hinderlich ist manchmal,<br />

dass wir mit den ausführenden Firmen<br />

keinen Kontakt aufnehmen können<br />

– weil diese im Planungsprozess<br />

noch nicht feststehen. Hinsichtlich<br />

Produktherstellern wäre es interessant,<br />

wenn diese die Zusammenarbeit<br />

mit uns suchen würden. Generell<br />

reagieren die Firmen vor allem auf<br />

gesetzliche Rahmenbedingungen.<br />

Hier ist wieder der Gesetzgeber gefragt:<br />

Es braucht mehr ökologische<br />

Rahmenbedingungen. Dann würden<br />

große Hersteller und Industrien ihre<br />

Produktpalette umstellen und sich<br />

in eine nachhaltigere Richtung entwickeln.<br />

Ohne gesetzliche Vorgaben<br />

stecken sie aber natürlich weniger<br />

Ressourcen in eine diesbezügliche<br />

Forschung, weil sie nicht wissen, ob<br />

sie damit auch reüssieren werden.<br />

Die österreichische Botschaft in Jakarta war nicht nur das erste<br />

„grüne Botschaftsgebäude“, sondern auch das erste Passivhaus<br />

Indonesiens. Mit minimaler Haustechnik und lokalen Materialien<br />

vereint es Raumqualität, Klimakomfort und Nachhaltigkeit.<br />

© Lucko Prawito


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

52<br />

Simon Speigner<br />

Komfort, nicht Klima,<br />

macht nachhaltige Bauten<br />

für viele interessant<br />

Interview mit Architekt DI Simon Speigner<br />

Ästhetisch, authentisch aber auch<br />

nachhaltig wertvoll und natürlich –<br />

dafür steht die Architektur von sps<br />

architekten und damit die von Simon<br />

Speigner. Diese Werte spiegeln auch<br />

die Räumlichkeiten des Planungsbüros<br />

wider: Sie befinden sich in einem<br />

ökologischen „Kulturkraftwerk“ aus<br />

Stampfbeton und Holz mit Photovoltaikanlage<br />

am Dach – dem oh456 in<br />

Thalgau. Simon Speigner beschäftigte<br />

sich bereits früh mit Themen wie<br />

Bauökologie. Heute blickt er auf diverse<br />

Auszeichnungen und Preise zurück<br />

und gibt sein Wissen als Lehrbeauftragter<br />

weiter.<br />

© sps architekten


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

53<br />

Simon Speigner<br />

Wie verändert sich die Berufswelt<br />

der ArchitektInnen und was müssen<br />

diese machen, um den stetigen Wandel<br />

zu meistern?<br />

In der Architektur müssen wir sehr<br />

umfassend denken. Dieser Spagat<br />

zwischen Kreativ- und technischem<br />

Beruf ist oft gar nicht so leicht und<br />

auch die Ausbildung, die man bekommt,<br />

oft gar nicht so vielseitig<br />

und spezifisch. Das digitale Zeitalter<br />

wirkt sich natürlich auch auf unseren<br />

Berufsstand aus: Wir brauchen weniger<br />

Wissen, da wir auf Google alles<br />

jederzeit abrufen können, ein Fachbuch<br />

ersetzt das für mich aber nicht.<br />

Generell glaube ich, dass wir wieder<br />

ein Gemeinschaftsgefühl entwickeln<br />

müssen, um zukunftsfähig zu sein.<br />

Mit Profitgier und Eigensinn allein<br />

kommen wir nicht weiter. Miteinander<br />

geht es leichter – das gilt für die<br />

Architektur, den Bausektor und unsere<br />

Gesellschaft.<br />

Wie beeinflusst die Digitalisierung<br />

die Arbeit von ArchitektInnen?<br />

Die Digitalisierung bietet für unseren<br />

Berufsstand enorm viele Möglichkeiten.<br />

Heute schafft man mit Robotern<br />

oder einem Fräskopf verschiedenste<br />

Formen, dazu kommen die neueste<br />

Plot-Technik und sogar Drohnen.<br />

Das vereinfacht auch die Arbeit auf<br />

der Baustelle. Dort müssen am Ende<br />

zum Teil nur noch die fertigen Teile<br />

zusammengebaut werden. Gleichzeitig<br />

ist die digitale Fertigung für mich<br />

aber nicht an traditionellem Handwerk<br />

zu messen. Für mich bleibt das<br />

Handwerk der reizvollere Prozess:<br />

diese Umsetzung vom Geist in die<br />

Hand. Das ist etwas völlig anderes<br />

als das Füttern von Maschinen.<br />

Auf welche Dinge sollten sich Architekturschaffende<br />

dabei konzentrieren?<br />

Wir müssen uns vor allem auf Themen<br />

wie Langlebigkeit konzentrieren.<br />

Dinge, die wir heute schaffen,<br />

sollten nicht nur digital und möglichst<br />

schnell gebaut werden, sondern<br />

über Generationen hinaus bestehen.<br />

Derzeit sind wir davon weit<br />

entfernt, weil wir viel Müll produzieren.<br />

Wirklich gute Bauten gibt es wenige.<br />

Wenn ich etwas baue, das ohne<br />

viel Zutun über 20 Jahre und länger<br />

seine Qualität hält, wäre das meiner<br />

Meinung nach Nachhaltigkeit. Vor<br />

allem in der Architektur kommen<br />

häufig beschichtete, lackierte Materialien<br />

zum Einsatz, die sich schnell<br />

abnützen. Natürliches, geöltes Holz<br />

wäre hier oft die bessere und umweltfreundlichere<br />

Wahl, da es mit der<br />

Zeit schön altert und die rohe Schönheit<br />

eines Gebäudes hervorkehrt.<br />

Dann kann man sich auch wieder<br />

mehr auf die Qualität der einzelnen<br />

Räume konzentrieren, anstatt sich<br />

nur von einer glänzenden Fassade<br />

blenden zu lassen.<br />

Ist bei Auftraggebern hinsichtlich<br />

des Klimawandels ein Umdenken<br />

festzustellen?<br />

Lediglich bei kritischen Geistern. Bedingt<br />

durch den nachhaltigen Fokus<br />

unseres Büros ziehen wir natürlich<br />

eine bestimmte Klientel an. Aber<br />

grundsätzlich interessieren sich die<br />

Menschen für die Thematik eher aufgrund<br />

eines Komforts, den sie sich<br />

wünschen, nicht aber wegen des Klimas.<br />

Sie wollen Photovoltaik – aber<br />

nicht um dem Planeten etwas Gutes<br />

zu tun, sondern weil sie eine gewisse<br />

Unabhängigkeit bzw. einen gewissen<br />

Komfort wollen.<br />

Wie sehr sind die Auswirkungen der<br />

Pandemie immer noch zu spüren?<br />

Bedingt durch die Investitionsprämie<br />

haben wir derzeit mehr Aufträge<br />

denn je. Natürlich macht sich die<br />

Verknappung von Rohstoffen bzw.<br />

Baustoffen bemerkbar. Der Preis<br />

steigt, weil eben auch die Lieferketten<br />

unterbrochen wurden. Durch die<br />

Kurzarbeit in den Betrieben und die<br />

Tatsache, dass die Rohstoffe an den<br />

Bestzahlenden gehen, kommt natürlich<br />

alles zusammen. Ein bisschen<br />

lässt sich das mit den Klopapier- und<br />

den Hamsterkäufen in den Supermärkten<br />

vergleichen – die gibt es im<br />

Bausektor genauso. Einige Firmen<br />

konnten es sich leisten, ihre Lager<br />

vor der Preissteigerung zu füllen,<br />

aber eben nicht alle. Für viele scheint<br />

das Geld heute ohnehin keine Rolle<br />

mehr zu spielen, die bauen, koste es<br />

was es wolle.<br />

u<br />

Mit oh456, dem ökologischen „Kulturkraftwerk“,<br />

schufen sps architekten einen Hybridbau aus<br />

Stampfbeton und Holz und kreierten damit ein<br />

gesundes Arbeitsumfeld für ihr eigenes Büro.<br />

© Kurt Hoerbst


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

54<br />

Simon Speigner<br />

Wie sollte die perfekte Zusammenarbeit<br />

mit Lieferanten, Herstellern und<br />

Entwicklern aussehen?<br />

Auch hier ist für mich wieder das Miteinander<br />

der Schlüssel zum Erfolg.<br />

Mit Partnern, die nur auf den eigenen<br />

Vorteil bedacht sind, funktioniert<br />

für mich die Zusammenarbeit nicht.<br />

Es sollte nicht immer nur um die billigsten<br />

Preise, sondern vor allem um<br />

hochwertige, langlebige Ergebnisse<br />

gehen. Innovative, qualitative Produkte<br />

und eine faire, nachhaltige Firmenethik<br />

sollten einem immer mehr<br />

wert sein. Firmen dieser Art sind es<br />

für mich auch, die sich auf lange Frist<br />

auf dem Markt durchsetzen werden.<br />

Gibt es Firmen, mit denen die Zusammenarbeit<br />

besonders gut funktioniert?<br />

Da gibt es viele kompetente Partner,<br />

Firmen, mit denen wir besonders<br />

gern zusammenarbeiten. Bei denen<br />

stimmt das Gesamtpaket und man<br />

weiß, dass man nicht nur zuverlässige<br />

Produkte, sondern auch den dazugehörigen<br />

Service bekommt. Und<br />

das rechtfertigt für mich auch einen<br />

höheren Preis.<br />

Was macht ein Produkt nachhaltig<br />

bzw. effizient und was muss es in Zukunft<br />

können?<br />

Bei Produkten ist für mich besonders<br />

wichtig, dass sie auf die Energie, die<br />

sie beinhalten – über ihren gesamten<br />

Lebenszyklus gesehen – getestet<br />

werden. Dazu gehören nicht nur<br />

ihre Herstellung, sondern auch was<br />

am Ende mit ihnen passiert. Das beinhaltet<br />

ihre CO 2 -Bilanz ebenso wie<br />

Wasser- und Energieverbrauch.<br />

Um wirklich nachhaltig zu sein, müssen<br />

sie in einen Kreislauf rückgeführt<br />

werden können und das gilt es, schon<br />

in der Produktion zu berücksichtigen.<br />

Bis jetzt gibt es für die einzelnen<br />

Materialien keine wahre Kostenrechnung,<br />

was aber notwendig wäre.<br />

In Zukunft sollte man sich auch darauf<br />

konzentrieren, der Wegwerfkultur<br />

im Bausektor ein Ende zu setzen. Intelligente<br />

Produkte können zwar sehr<br />

viel und öffnen uns viele neue Türen,<br />

über Themen wie Reparatur, Wiederverwertung<br />

und Entsorgung machen<br />

sich allerdings die wenigsten Gedanken.<br />

Hier sollte der Fokus darauf<br />

liegen, zerlegbare Produkte zu entwickeln,<br />

die nicht nur im Müll landen.<br />

Was ist bei modernen Produkten<br />

noch wichtig zu beachten?<br />

Für mich müssen Produkte den Eigenschaften<br />

des Materials entsprechen.<br />

Beispielsweise Holz ist zwar<br />

ein ökologischer Baustoff, was die Industrie<br />

daraus aber teilweise macht,<br />

ist grenzwertig. Mit Chemie werden<br />

die einzelnen Lagen verleimt und<br />

damit eine spätere Entsorgung oder<br />

Wiederverwertung äußerst schwierig<br />

bzw. unmöglich gemacht. Darüber<br />

hinaus sollte verstärkt auf die individuellen<br />

Bedürfnisse und Qualitäten<br />

vor Ort eingegangen werden. Die<br />

Globalisierung macht alles überall<br />

verfügbar. Dass es aber oft wenig<br />

sinnvoll ist, das gleiche Produkt in<br />

verschiedenen Klimazonen einzusetzen,<br />

vergessen viele. Nur weil etwas<br />

auf der Nordhalbkugel gut funktioniert,<br />

gilt das nicht automatisch für<br />

den globalen Süden – das ist einfach<br />

nicht effizient. Unser Planet bietet<br />

eine enorme Vielfalt. Diese sollten<br />

wir uns auf jeden Fall bewahren und<br />

die Besonderheiten und Potenziale<br />

der unterschiedlichen Landschaften<br />

nutzen, anstatt zu versuchen, sie<br />

immer mehr zu vereinheitlichen und<br />

aneinander anzugleichen.<br />

Um welche Entwicklung gibt es in den<br />

nächsten Jahren keinen Weg vorbei?<br />

Ich träume von einem Haus, das<br />

einfach zusammenfallen kann, das<br />

vollkommen kompostierbar ist. Das<br />

haben wir versucht mit oh456, dem<br />

Bau, in dem sich unser eigenes Büro<br />

befindet, umzusetzen: Unser Vollholzparkett<br />

besteht aus gelaugter,<br />

geseifter Eiche und wurde eingenagelt.<br />

Er ist nicht nur langlebig,<br />

sondern kann am Ende für andere<br />

Projekte verwendet oder einfach<br />

recycelt werden. Die Fassade kleiden<br />

Holzschindel, die am Ende ihres Lebenszyklus<br />

einfach verrotten. Dazu<br />

kommen unbewehrte Stampfbetonwände,<br />

die das ganze Jahr für ein<br />

angenehmes Raumklima sorgen. An<br />

ganzheitlichen Projekten dieser Art,<br />

die auf die Eigenschaften der Materialien<br />

eingehen und ihre Stärken nutzen,<br />

führt für mich auch in Zukunft<br />

kein Weg vorbei.<br />

Außerdem gilt es – auch in der Zusammenarbeit<br />

mit Unternehmern –<br />

verstärkt auf Regionalität zu setzen.<br />

Beispielsweise in der Sterneküche<br />

wirbt man mit lokalen Zutaten aus<br />

der Region und sieht das als Qualitätsmerkmal<br />

an – warum sollte das<br />

im Bauwesen anders sein? •<br />

www.sps-architekten.at<br />

Auch beim Feuerwehrhaus Unterdorf in<br />

Thalgau lag der Fokus auf Nachhaltigkeit<br />

und Energieeffizienz. Es ist komplett in<br />

Vollholz umgesetzt. Das lokale Naturmaterial<br />

sorgt nicht nur für eine zeitlose Optik,<br />

sondern verkürzt auch die Transportwege.<br />

© Andrew Phelps


Fokus<br />

Qualität &<br />

Innovation<br />

Design: UPPERCUT.at | Photos: © David Boyer Photographe , Adobe Stock<br />

hasslacher.com


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

56<br />

Sven Matt<br />

Innovation<br />

im Regionalen<br />

Interview mit Architekt Sven Matt<br />

Die Vorarlberger Architekten Markus<br />

Innauer und Sven Matt sehen sich<br />

selbst als sehr klassisches Architekturbüro,<br />

das weniger den lauten Paukenschlägen<br />

als vielmehr den leisen<br />

Zwischentönen zugetan ist. Ihre Lösungen<br />

orientieren sich nie am Zeitgeist,<br />

sondern immer am Kunden und der<br />

Bauaufgabe selbst. Die so entstandenen<br />

Charakterprojekte sind im Laufe<br />

der vergangenen zehn Jahre vielfach<br />

prämiert und ausgezeichnet worden.<br />

Sven Matt spricht im Interview über die<br />

Rolle des Architekten sowie die damit<br />

einhergehenden Herausforderungen<br />

im Laufe der Zeit. Ein wichtiger Aspekt<br />

für ihn: Regionale Baustoffe und traditionelles<br />

Handwerk auf Augenhöhe,<br />

ohne dabei zu dogmatisch zu werden.<br />

© Christian Anwander


www.<strong>architektur</strong>-online.com<br />

57<br />

Sven Matt<br />

Stichwort: “Bauen für die Ewigkeit” –<br />

Wie kann man als Architekt heutzutage<br />

mit dem schnelllebigen Wandel<br />

der Zeit noch Schritt halten?<br />

Da stellt sich mir zuerst einmal die<br />

Frage: Was bedeutet “Bauen für die<br />

Ewigkeit”? Sind das zehn Jahre, 100<br />

oder mehr? Aus meiner Sicht hängt<br />

die Antwort ganz von der Aufgabe an<br />

sich ab. Wir versuchen jedenfalls der<br />

Schnelllebigkeit etwas entgegenzusetzen.<br />

Und auch, wenn wir vielleicht<br />

nicht für die Ewigkeit bauen, dann<br />

hoffen wir, so doch für eine recht lange<br />

Zeitspanne. Funktion und Gestaltung<br />

sollten meiner Meinung nach<br />

schon Bestand haben, auch über<br />

das Modische hinaus. Dennoch ist es<br />

nicht von der Hand zu weisen, dass<br />

die äußeren Einflüsse immer vielfältiger<br />

werden und damit das Bauen generell<br />

schnelllebiger. Hier gilt es für<br />

die Architekten, einen Weg zu finden,<br />

eine möglichst lange Gültigkeit des<br />

Gebauten zu Erreichen. Das hängt<br />

natürlich auch von der Bauaufgabe<br />

selbst ab – eine Kirche hat per se<br />

eine andere Halbwertszeit als ein<br />

Einfamilienhaus. Denn auch, wenn<br />

Letzteres adaptierter geplant werden<br />

kann, so wird es dann doch eher<br />

trivial und eben nicht mehr individuell<br />

zugeschnitten auf den Nutzer.<br />

Revitalisieren, Umnutzen und Aufwerten anstatt Abriss und Neubau:<br />

Das Atelier von INNAUER-MATT ARCHITEKTEN in Bezau.<br />

Wie kann die Lebenszeit eines Bauwerks<br />

durch den Architekten aktiv<br />

verlängert werden?<br />

Durch den im Moment vorherrschenden<br />

Mangel an Ressourcen gewinnt<br />

der (qualitätsvolle) Bestand zunehmend<br />

an Bedeutung. Man überlegt<br />

sich vielleicht zweimal, ob man ein<br />

Bestandsgebäude unbedingt abreißen<br />

muss, oder ob sich noch andere<br />

Lösungswege auftun. In Zukunft<br />

wird es wohl vermehrt zur Aufgabe<br />

des Architekten werden, Konstruktionen<br />

und Materialien auf lange Sicht<br />

zu bewerten. Rückbau- und Umbaumöglichkeiten<br />

werden aus meiner<br />

Sicht noch zu wenig bedacht. Das ist<br />

definitiv ein Thema, das uns im Büro<br />

momentan stark beschäftigt. Ich<br />

denke dabei auch an das Vereinfachen<br />

von Konstruktionen. (Nachhaltige)<br />

Materialien aus der Region werden<br />

in Zukunft noch an Bedeutung<br />

gewinnen. Gerade jetzt, wo die Holzpreise<br />

steigen, zeigt sich die Problematik,<br />

wenn man zu sehr auf Importware<br />

setzt. Ich denke auch, dass es<br />

der Branche guttun würde, etablierte<br />

Bauweisen zu hinterfragen. Die Massivholzbauweise<br />

– die ich nebenbei<br />

bemerkt sehr schätze – hat in Vorarlberg<br />

beispielsweise eigentlich keinerlei<br />

Grundlage, weil es hier keinen<br />

regionalen Produzenten gibt. Hier<br />

sind wir abhängig vom Weltmarkt,<br />

obwohl Holz an sich doch eigentlich<br />

ein absolut regionaler Baustoff ist.<br />

Welche positiven (oder negativen)<br />

Aspekte bringt die immer weiter voranschreitende<br />

Digitalisierung Ihrer<br />

Meinung nach mit sich?<br />

Unser Arbeitsalltag ist stark von der<br />

Digitalisierung geprägt. So konnten<br />

wir trotz Lockdown effizient weiterarbeiten<br />

und auch die Zusammenarbeit<br />

mit den Fachplanern hat<br />

reibungslos funktioniert. Man merkt<br />

generell, dass vieles jetzt etwas<br />

schneller geht – die Arbeit an sich<br />

wird aber auch komplexer, ich denke<br />

dabei konkret an BIM. Durch die<br />

wachsende Komplexität kann meiner<br />

Ansicht nach die Architekturqualität<br />

auf lange Sicht leiden. Zudem bereitet<br />

mir die Schnelllebigkeit der Technologien<br />

Sorge: Werden die Daten in<br />

20 Jahren überhaupt noch einlesbar<br />

sein? Die Digitalisierung ist für mich,<br />

ungeachtet ihrer Vorteile, daher kein<br />

Allheilmittel. Wir setzen ganz klassisch<br />

noch auf Pläne aus Papier und<br />

physische Modelle.<br />

Wird sich die Rolle des Architekten Ihrer<br />

Meinung nach in Zukunft verändern?<br />

Die Ansprüche an das Bauen (Haustechnik,<br />

Lebensdauer…) verändern<br />

sich ständig. Während alles an Komplexität<br />

gewinnt, sollte die Planung<br />

meiner Meinung nach radikal reduziert<br />

und vereinfacht werden. Ich<br />

denke auch, dass sich die Rolle des<br />

Architekten über die Jahrhunderte<br />

nicht so sehr gewandelt hat – der<br />

Architekt ist immer noch die Person,<br />

die alle Fäden in der Hand hält.<br />

Heute herrschen eben andere Rahmenbedingungen<br />

vor, man ist nicht<br />

mehr der klassische Einzelkämpfer,<br />

steht mehr und mehr in ständigem<br />

Austausch mit den Fachplanern.<br />

Auch, wenn das Schaffensfeld stetig<br />

breiter wird, die Kernkompetenzen<br />

bleiben.<br />

u<br />

© Darko Todorovic


<strong>architektur</strong> PEOPLE<br />

58<br />

Sven Matt<br />

Auf lange Sicht gebaut: Die Bergkapelle Wirmboden<br />

im Bezirk Bregenz in Vorarlberg.<br />

Ein positiver Aspekt, den Sie aus<br />

dem vergangenen Jahr mitgenommen<br />

haben?<br />

Wir haben gelernt, dass nicht jeder<br />

Termin physisch stattfinden muss<br />

und dass vieles auch digital funktioniert.<br />

Für uns hat das einen enormen<br />

Gewinn an produktiver Zeit bedeutet.<br />

Dennoch würde ich sagen, was<br />

bei der Ausführung(splanung) recht<br />

gut funktioniert, gestaltet sich im<br />

Entwurfsprozess nicht so einfach.<br />

Hier hat uns das Gemeinsame schon<br />

gefehlt. Die digitalen Planungsbesprechungen<br />

wollen wir aber – wo es<br />

Sinn macht – beibehalten.<br />

© Adolf Bereuter<br />

Wie können moderne Produkte, Baustoffe<br />

und Technologien Ihrer Meinung<br />

nach auf die Herausforderungen<br />

unserer Zeit Antworten geben?<br />

Ist NEU immer die beste Lösung?<br />

Hier komme ich gerne nochmal auf<br />

das Thema Brettschichtholz zurück.<br />

Auch wenn dieser Baustoff gegenüber<br />

dem Rahmenbau sehr vorteilhaft<br />

ist, so rückt einem die jetzige Krise<br />

wieder ins Bewusstsein, dass es eben<br />

nicht alle Werkstoffe “regional” gibt.<br />

Wir stellen uns daher immer die Frage:<br />

Welche Bauweise passt zu welcher<br />

Bauaufgabe? Will man der Abhängigkeit<br />

vom Weltmarkt entfliehen, muss<br />

man sich ohne Frage auf regionale<br />

Werkstoffe rückbesinnen. Das stärkt<br />

auch die Handwerksbetriebe vor Ort<br />

und zeugt von einer gewissen inneren<br />

Haltung gegenüber dem Bauen. Wenn<br />

es zwischen Planern und Ausführenden<br />

Offenheit und Respekt gibt, dann<br />

kann auch aus Altbewährtem innovatives<br />

Neues entstehen.<br />

Was erwarten Sie von modernen Baustoffen<br />

– und auch von den Herstellern?<br />

Wir versuchen, mit dem zurechtzukommen,<br />

was schon vorhanden ist.<br />

“NEU” heißt für uns nicht immer<br />

GUT oder BESSER. Es ist klar, dass<br />

dieser Gedanke in der heutigen Gesellschaft<br />

und auch in der Architektur<br />

vorherrscht. Wir nähern uns<br />

Neuerungen jedenfalls zumeist kritisch<br />

– falls wir den Nutzen für uns<br />

erkennen, verschließen wir uns dieser<br />

Erkenntnis aber selbstverständlich<br />

nicht. Dennoch sind wir hier<br />

eher klassisch eingestellt: Wir setzen<br />

gerne auf erprobte Lösungen. Das<br />

heißt allerdings nicht, dass wir nicht<br />

nach neuen und besseren Lösungen<br />

suchen, wenn es diese noch nicht<br />

gibt. Für unser Projekt “Kunstraum<br />

Kassel” haben wir für die Fassade<br />

beispielsweise eigene Glaslinsen<br />

gestaltet. Bezeichnenderweise war<br />

es letztlich einzig eine Vorarlberger<br />

Firma, die bereit war, das Risiko der<br />

Produktentwicklung auf sich zu nehmen.<br />

Diese Motivation, der Spaß am<br />

Tüfteln und das Verständnis der eigenen<br />

Arbeit – das würde ich mir von<br />

den Herstellern noch mehr wüschen.<br />

Und dass neben dem reinen Profit<br />

eben auch noch andere Dinge in der<br />

Architektur wie im Leben zählen. •<br />

www.innauer-matt.com<br />

Im Bau: Für den Kunstraum Kassel haben INNAUER-MATT<br />

ARCHITEKTEN eigens Tageslichtlinsen als grafische und identitätsstiftende<br />

Besonderheit entwickelt.


untermStrich ®<br />

das Organisations- und Führungstool<br />

der Architekten und Ingenieure<br />

Martin Lesjak<br />

INNOCAD Architektur ZT GmbH<br />

So geht Plan A!<br />

Fotocredits: KAMPFHAMMER<br />

7 Architekten. 7 Ingenieure. 7 Fragen.<br />

14 international erfolgreiche Planer öffnen die Türen zu ihren kreativen Zentralen und verraten,<br />

was sie an die Spitze ihrer Branche befördert hat. Was macht gerade sie erfolgreicher als andere?<br />

Im Interview Martin Lesjak von INNOCAD.<br />

www.untermstrich.com/de/so-geht-plan-a


Andreas Jäger<br />

Klimaexperte<br />

Für den Klimaschutz<br />

in Österreich:<br />

CO 2<br />

-Emissionen lassen<br />

sich eindämmen.<br />

Dank der hervorragenden<br />

Dämmwirkung der Austrotherm<br />

Dämmstoffe lassen sich nicht<br />

nur die CO 2<br />

- Emissionen deutlich<br />

reduzieren, sondern auch die Heizund<br />

Kühlenergiekosten. Nur einer<br />

von vielen Beiträgen, den wir bei<br />

Austrotherm für den Klimaschutz in<br />

Österreich leisten. Heute und<br />

auch morgen.<br />

austrotherm.com<br />

Gutes Klima. Gutes Leben.

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