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Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum

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THEOLOGIE UND KIRCHE<br />

Spiritualität eine innere Haltung, durch die<br />

eine religiöse Grundüberzeugung in einem<br />

bestimmten biographischen, kulturellen und<br />

sozialen Kontext vermittelt wird. Jede<br />

„Spiritualität“ – in ihrer gedanklichen, praktischen<br />

und ästhetischen Entfaltung – ist partikulär,<br />

d. h. sie konkretisiert einen Aspekt des<br />

Evangeliums und blendet andere aus. Die<br />

Herz-Jesu-Frömmigkeit ist als Lebens- und<br />

Glaubenshaltung zu begreifen, die den Aspekt<br />

der vorbehaltlosen, gewaltfreien und zutiefst<br />

freien Hingabe Jesu in seinem Leben und<br />

Sterben betont und daraus Orientierung und<br />

Hoffnung gewinnen will. Eine „Spiritualität des<br />

Herzen Jesu“ initiiert also – wie es Edward<br />

Schillebeeckx ausdrückte – die „Geschichte<br />

einer neuen Lebenspraxis“ 21 .<br />

Worin besteht nun der inhaltliche Anspruch<br />

der Herz-Jesu-Spiritualität? Ich sehe hier vor<br />

allem zwei Grundbezüge: Integration und<br />

Sendung. Der Aspekt der Integration kommt<br />

dadurch zur Geltung, dass die Verehrung des<br />

Herzens Jesu die vielen Aspekte, Funktionen<br />

und Konsequenzen des christlichen Glaubens<br />

auf die Lebensmitte der Person Jesu Christi<br />

bezieht. So wie schon in allgemeiner anthropologischer<br />

Hinsicht das „Herz“ für die integrale<br />

Gesamtheit eines Menschen und seiner<br />

Erfahrung steht, kommt im Herzen Jesu der<br />

Brennpunkt seiner Botschaft, seiner Proexistenz<br />

und seiner bleibenden Gegenwart<br />

zur Geltung. Treffend formulierte Bischof<br />

Reinhold Stecher diese Grunderfahrung des<br />

Glaubens: „In dieser Mitte des Universums<br />

des Daseins, so sagt uns die Botschaft des<br />

heutigen Tages, schlägt ein Herz. Ein lebendiges,<br />

pulsendes, blutendes, verstehendes, verzeihendes,<br />

menschlich-göttliches, liebendes,<br />

bergendes Herz. Und dieses Herz sagt leise<br />

und eindringlich immer wieder die uralte<br />

Botschaft in das Elend des entfremdeten<br />

Menschen hinein: Heimholen will ich euch von<br />

überall her.“ 22 Gegen die Dynamik der<br />

Aufspaltung und Ausdifferenzierung vieler<br />

Lebenszusammenhänge ist der Bezug auf<br />

das „Herz“ so etwas wie ein spiritueller<br />

Grundvollzug: „Das Herz ist das zentralste<br />

und wichtigste Kraftzentrum in uns, durch das<br />

unsere Lebensenergie strömt.“ 23 Die gläubige<br />

Beziehung zum „Herzen Jesu“ bedeutet vorbehaltlose<br />

Anerkennung des Menschen, und<br />

deshalb „ist dieses Herz Jesu Einladung und<br />

Aufforderung, die Würde des Menschen so zu<br />

achten, wie Gott selbst sie achtet“ 24 . Das Herz<br />

Jesu zu verehren ist eine Weise, dem<br />

Menschen in seiner Integrität und Ganzheit<br />

gerecht zu werden, und jede echte Herz-Jesu-<br />

Spiritualität veranschaulicht, was einst Kant<br />

als ethisches Grundprinzip formulierte: „Der<br />

Mensch […] existiert als Zweck an sich selbst,<br />

nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche<br />

für diesen oder jenen Willen […].“ 25<br />

Die unbedingte Anerkennung des Menschen<br />

gilt auch „extensiv“ – sie schließt niemanden<br />

aus. Die Repräsentanz des universalen<br />

Heilswillens Gottes im geöffneten Herzen<br />

Jesu ist Grundlage einer spirituellen Lebenshaltung,<br />

die Gottes freie und heilshafte<br />

Zuwendung an alle Menschen bezeugt. Darin<br />

besteht der Aspekt der Sendung. Herz-Jesu-<br />

Spiritualität bedeutet eine „einmalige Offen-,<br />

Weit- und Großherzigkeit“ 26 des eigenen<br />

Glaubens, nicht Verengung des eigenen<br />

Horizonts. Herz-Jesu-Frömmigkeit ist eine<br />

Spiritualität der Sendung, die sich zu den<br />

Menschen gerufen und gesandt weiß. Die<br />

„spirituelle Kurzformel“ dafür könnte lauten:<br />

„Die Mitteilung der Liebe mit vollziehen“ 27 , wie<br />

es Bischof Manfred Scheuer auf den Punkt<br />

brachte. Es scheint mir kein Zufall zu sein,<br />

dass eine Reihe von Missionsorden aus der<br />

Herz-Jesu-Frömmigkeit heraus ihre Sendung<br />

und ihr geistliches Profil gewinnt, ist doch<br />

gerade das offene, verwundete Herz das<br />

Zeichen eines vorbehaltlosen Sich-Einlassens<br />

auf neue Situationen, fremde Kulturen und vor<br />

allem Menschen mit ihrer „Freude und<br />

Hoffnung, Trauer und Angst“. Echte Herz-<br />

Jesu-Frömmigkeit birgt eine Spiritualität der<br />

Sendung in sich 28 , einer universalen<br />

Sendung, die als Grundmerkmal der Kirche in<br />

den beiden Schlüsseldokumenten des Konzils<br />

jeweils im ersten Kapitel vorgestellt wird 29 . Mit<br />

Recht sprach Walter Kern SJ vom Herzen<br />

Jesu als dem „Symbol universaler Liebe“, das<br />

dafür steht, dass „Liebe tendenziell auf alle<br />

Menschen ausgerichtet“ 30 ist. Herz-Jesu-<br />

Verehrung bringt eine Spiritualität universaler<br />

Hoffnung und eine Dynamik der Sendung mit<br />

sich – und darin liegt ihre eigentliche Kraft und<br />

Faszination.<br />

25

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