Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum
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THEOLOGIE UND KIRCHE<br />
5. Aussaat unter dem Zeichen des Kreuzes<br />
Wir dürfen allerdings nicht ein anderes<br />
Samen-Wort des Herrn vergessen:<br />
„Amen, amen, ich sage euch: Wenn das<br />
Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt,<br />
bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es<br />
reiche Frucht.“ (Joh 12,24)<br />
Unsere ganze Pastoral steht unter dem<br />
Zeichen des Kreuzes. Erfolg ist keine<br />
Kategorie Gottes. Das ist eine unumstößliche<br />
Grundregel des Gottesreiches und seines<br />
Wachsens. Christus ist am Kreuz gestorben,<br />
um alle an sich zu ziehen (Joh 12,32). Nach<br />
dem „galiläischen Frühling“ mit den Anfangserfolgen,<br />
als die Massen ihm nachliefen, folgten<br />
der immer massiver werdende Widerstand<br />
seiner Gegner und schließlich das Scheitern<br />
am Kreuz.<br />
Ganz klein mussten seine Jünger anfangen,<br />
Angst und Kleinmut überwinden in der Kraft<br />
des Heiligen Geistes, der am Pfingstfest über<br />
sie ausgegossen wurde.<br />
Und die 2000-jährige Geschichte der Kirche<br />
besteht wahrlich nicht nur aus Seiten, die mit<br />
goldenen Lettern geschrieben sind und von<br />
großartigen Erfolgen erzählen. Es gibt auch<br />
viele schmerzhafte Erfahrungen des Niedergangs,<br />
des Scheiterns.<br />
Der Untergang der einst blühenden christlichen<br />
Gemeinden in Nordafrika und Kleinasien<br />
durch den Islam, das Zerfallen der kirchlichen<br />
Einheit im 11. Jahrhundert im Osten des<br />
Imperiums und die Kirchenspaltung in der<br />
Reformation sind nur einige Beispiele von<br />
„Misserfolgen“, die nicht in das triumphalistische<br />
Bild der Kirche passen, wie es lange Zeit<br />
vermittelt wurde.<br />
6. Aussaat zielt auf Ernte (Joh 4,35-38; Mt 9,<br />
35-38)<br />
Unsere Überlegungen blieben unvollständig,<br />
würden wir zwei Stellen übersehen, die nicht<br />
von der Aussaat, sondern von der Ernte sprechen.<br />
Im Johannes-Evangelium sagt Jesus<br />
nach seinem Gespräch mit der Samariterin<br />
am Jakobsbrunnen:<br />
„Blickt umher und seht, dass die Felder weiß<br />
sind, reif zur Ernte. Schon empfängt der<br />
Schnitter seinen Lohn und sammelt Frucht für<br />
das ewige Leben, so dass sich der Sämann<br />
und der Schnitter gemeinsam freuen. Denn<br />
hier hat das Sprichwort recht: Einer sät und<br />
ein anderer erntet. Ich habe euch gesandt zu<br />
ernten, wofür ihr nicht gearbeitet habt; andere<br />
haben gearbeitet und ihr erntet die Frucht<br />
ihrer Arbeit.“ (Joh 4,35-38)<br />
Wir sind in der Gefahr, nur das Negative zu<br />
sehen, die Misserfolge und Rückschläge. Aber<br />
auch heute gibt es positive Ansätze, gibt es<br />
Zeichen der Hoffnung. Interessant: Auch<br />
Christus musste seine Jünger erst mit der<br />
Nase darauf stoßen: „Blickt umher und seht!“<br />
In unseren Breitengraden sind wir an klar<br />
abgegrenzte Zeiten der Aussaat und der Ernte<br />
gewöhnt. Im tropischen und subtropischen<br />
Klima, wo es im Jahreslauf kaum<br />
Temperaturschwankungen gibt, und wo –<br />
etwa in Meeresnähe – auch idie nötige<br />
Feuchtigkeit vorhanden ist, gibt es die<br />
Gleichzeitigkeit von Aussaat und Ernte.<br />
Es gibt sie, diese Momente der Ernte – auch<br />
bei uns heute: wo wir Erfolge erleben und einfahren<br />
dürfen, weil andere sich vor uns<br />
abgemüht haben. Wir sollten das dankbar<br />
anerkennen: „Andere haben gearbeitet und ihr<br />
erntet die Frucht ihrer Arbeit“ (4,38). – Und<br />
umgekehrt: Wir arbeiten heute – und morgen<br />
dürfen andere ernten! Auch diese Einsicht<br />
gehört zur einer „kooperativen Seelsorge“!<br />
1 I. F. Görres, Im Winter wächst das Brot,<br />
Einsiedeln 7 1970.<br />
2 Zitiert in: B. Meuser, Am Ende des Tages,<br />
Ostfildern 1994, zum 11.02.<br />
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