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Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum

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PHILOSOPHIE<br />

1. PHILOSOPHIE<br />

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz<br />

Von der Gabe zum Geber.<br />

Nachdenken im Grenzgebiet von<br />

Philosophie und Theologie<br />

Hanna-Barbara<br />

Gerl-Falkovitz<br />

1. Kontrastbeziehung zwischen Philosophie<br />

und Theologie<br />

1. 1 Vernünftigkeit des Glaubens:<br />

pro und contra<br />

„Das Denken des Okzidents und sein<br />

Wortschatz sind aus den großen theologischen<br />

Debatten der ersten Kirche geboren.<br />

Unsere Musik, unsere Bildhauerei, unsere<br />

Malerei sind im Chor der Kirchen geboren,<br />

während unsere Poetik in der Atmosphäre der<br />

manichäischen Sekten entstand. Sogar die<br />

großen modernen Philosophien: Descartes<br />

und Kant, Hegel, Auguste Comte und Marx,<br />

sind ursprünglich theologische Stellungnahmen<br />

gewesen. Die Theologie ignorieren<br />

heißt mit der fruchtbarsten Tradition der<br />

abendländischen Kultur brechen. Das heißt<br />

also, sich dazu verurteilen, ohne es zu wissen,<br />

die seit mehr als 1500 Jahren durch die<br />

Kirchenväter und die großen Häretiker in<br />

Form gebrachten geistigen Entdeckungen<br />

noch einmal zu machen“ – so Denis de<br />

Rougemont. 1<br />

Zwischen Philosophie und (monotheistischer)<br />

Theologie besteht eine Kontrastbeziehung.<br />

Sie kann in zweierlei spannungsvoller Hinsicht<br />

gelesen werden: als komplementär, was die<br />

gemeinsame Denkgeschichte zumindest bis<br />

zur Aufklärung betrifft: Vernunft kann den<br />

Glauben stützen, denn seine positiven<br />

Vorgaben aus der Offenbarung können intelligibel<br />

oder luzide gemacht werden (wie die<br />

Auslegung des Logos durch die Patristiker bis<br />

hin zu Joseph Ratzinger zeigt). Dies gilt sogar<br />

und auch, was die Trinität angeht, die keineswegs<br />

irrational für das Denken ist, sondern als<br />

Paradigma von Verhältnisbeziehung, genauer:<br />

einer in sich unterschiedenen, das Andere<br />

ihrer selbst einschließenden Einheit erhellt<br />

werden kann, wie es Cusanus und noch Hegel<br />

vorlegen (freilich ist dies nicht mit einer<br />

erschöpfenden Erklärung zu verwechseln).<br />

Aber: Der Glaube provoziert auch die Vernunft<br />

und führt sie in Aporien, in Trans-Rationales,<br />

zuweilen weist er sie sogar ab als „Hure<br />

Vernunft“, wie die Reihe von Tertullian über<br />

Luther zu Kierkegaard und Leo Schestow<br />

zeigt. „Was hat Athen mit Jerusalem zu tun?“,<br />

so Tertullians Schlagwort, welche Frage<br />

Schestow 1937 herausfordernd und verstörend<br />

wieder aufnimmt. 2 Kierkegaard, seinen<br />

Zeitgenossen zum Ärgernis, schreibt in<br />

der Einleitung zu Furcht und Zittern: „Die<br />

Theologie sitzt geschminkt am Fenster und<br />

bietet der Philosophie buhlerisch ihre Dienste<br />

an“ – auf Hegels Aufhebung der Theologie in<br />

das absolute Wissen hin gesprochen. Im Blick<br />

auf Abraham und Christus gilt keine<br />

Versöhnung, kein Sinnvertrauen in die<br />

Vernunft, keine Gleichsetzung des menschlichen<br />

und göttlichen Geistes.<br />

Die erste Möglichkeit der Kontrastbeziehung,<br />

die gegenseitige ideelle Vorlage, bezieht sich<br />

vor allem auf die Denkbarkeit, sogar zwingende<br />

Denknotwendigkeit eines Gottesbegriffs,<br />

im Sinne einer Onto-Theologie: Gott als Sein<br />

überhaupt „sichert“ die Möglichkeit von<br />

Wahrheit, von Sinn, von Güte. Die zweite<br />

Möglichkeit aber, der klare Kontrast, fußt auf<br />

jenen Aussagen der biblischen Offenbarung,<br />

die auch, weil kontingent, querstehen zur allgemeinen<br />

Denkbarkeit, zu den regulativen<br />

Ideen einer Weltordnung im Bewußtsein.<br />

Denn: Die Erschaffung der Welt ist nicht zwingend<br />

(und in der antiken Philosophie keineswegs<br />

gedacht), die Erwählung gerade<br />

Abrahams oder des Volkes Israel als eines<br />

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