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Heft 2, Jahrgang 140 - Canisianum

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THEOLOGIE UND KIRCHE<br />

des Dankens und der Freude suchen. Dieser<br />

Zugang zur Welt, öffnet uns erst die Augen<br />

und lässt uns kritisch auch die anderen Seiten<br />

sehen, darunter leiden. Wir leben allzu sehr<br />

als Macher und Erzeuger und Zerstörer. Der<br />

Homo Faber, der Macher in uns muss wieder<br />

dem Homo ludens, dem spielenden<br />

Menschen Raum geben (wie Hugo Rahner<br />

unübertroffen angeleitet hat), damit uns wieder<br />

die Augen aufgehen für den liebenden<br />

Schöpfergott, den Freund des Lebens.<br />

2. Theologische Fakultät, eine Schule des<br />

Denkens und der Unterscheidung.<br />

Der Apostel Paulus hat ein tiefes Gespür für<br />

die Würde und Größe der Berufung, die Gott<br />

durch Christus den Glaubenden schenkt.<br />

Daher spricht er seiner Gemeinde zu: Lasst<br />

euch nicht so schnell aus der Fassung bringen<br />

und in Schrecken jagen, wenn in einem prophetischen<br />

Wort behauptet wird, der Tag des<br />

Herrn sei schon da (2 Thess 2, 2).<br />

Der Apostel traut seiner Gemeinde Kritik- und<br />

Urteilsfähigkeit zu, weil sie von Gott in<br />

Christus begnadet worden ist und in ihm feststeht.<br />

Das heißt Fähigkeit zur Unterscheidung<br />

der Geister!<br />

Unterscheidungs- und Kritikfähigkeit gehören<br />

zu den Grundpfeilern der ignatianischen<br />

Spiritualität. Um unterscheidungsfähig zu werden,<br />

forderten die jesuitischen Studienpläne<br />

eine gründliche wissenschaftlich – humanistische<br />

Ausbildung. Dabei unterschieden sie<br />

zwischen der Schule des Verstandes und der<br />

Schule des Herzens. Die Schule des Verstandes<br />

hat es mit Wissen und Wissensvermittlung,<br />

mit Logik, Analyse und einem intellektuellen<br />

Instrumentarium zu tun. Verstand<br />

aber kann missbraucht werden und in den<br />

Bann von Ideologien und Macht geraten.<br />

Deshalb muss die Schule des Herzens hinzutreten:<br />

Die Schule des Herzens ist die Bildung,<br />

des Menschen, seines Charakters, seiner<br />

Seele. Sie schenkt Synthese, anerkennt den<br />

Wert des Gemütes, des Gefühls, des<br />

Gewordenen und Gewachsenen. Wissen und<br />

Bildung gehören zusammen: Der Verstand<br />

vermittelt das Wissen, das Herz die Bildung.<br />

Bildung geht zusammen mit Ehrfurcht und<br />

Respekt, mit Kritikfähigkeit und Unterscheidung<br />

der Geister.<br />

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe<br />

Studierende, ich wünsche Ihren, dass Sie diesen<br />

Fundamenten treu bleiben. Wir brauchen<br />

heute die Gabe der Unterscheidung, der<br />

Unterscheidung des Echten vom Schein, des<br />

wirklich Guten vom Bösen unter dem Schein<br />

des Guten, des Engels vom Satans, der uns in<br />

der Lichtgestalt eines Engels erscheint. Der<br />

selige Franz Jägerstätter, der Bauer und<br />

Messner aus St. Radegund, beschreibt einen<br />

Traum. Er träumte von einem schönen<br />

Eisenbahnzug, der um einen Berg fährt. Viele<br />

springen auf den schönen, vollen Zug auf und<br />

fahren mit. Plötzlich hat Franz Jägerstätter die<br />

Einsicht: dieser Zug fährt in die Hölle. 2 Unterscheidung<br />

und Kritikfähigkeit verhindert, dass<br />

die Menschen heute auf alle erdenklichen<br />

schillernden Züge aufspringen und kritiklos<br />

Dinge mitmachen, von denen sie wissen, dass<br />

sie nicht gut sind: den Zug des Konsumismus,<br />

des Materialismus und des Indifferentismus<br />

oder der ideologischen Faszination und jeden<br />

kritiklosen Mitläufertums, kritiklos gottlos oder<br />

kritiklos fromm. Denken und Unterscheidung<br />

braucht ein Kriterium, an dem es sich orientiert.<br />

3. Theologische Fakultät, Schule des<br />

Glaubens<br />

Blicken wir auf das Evangelium. Der Zöllner<br />

Zachäus steigt weit hinauf, dass er über die<br />

Köpfe der anderen hinweg Christus sehen<br />

kann. Christus holt den Zöllner vom Baum<br />

herab, um ihm zu begegnen: dieses Herabsteigen<br />

ist eine Urbewegung für jeden, der<br />

Christus suchen und begegnen will. Wer<br />

Christus sucht, der muss seinen Boden aufsuchen<br />

und der ist weit unten. So lehren es uns<br />

auch die ignatianischen Exerzitien. Sie sprechen<br />

vom „armen Christus“, und seine<br />

Perspektive ist Armut, Geringschätzung und<br />

Demut, allem gegenteiligen Streben des maßlosen<br />

menschlichen Herzens zum Trotz. Das<br />

entspricht dem neutestamentlichen Christusbild.<br />

Dieser Christus ist den Menschen ganz<br />

nahe, er hat keine Berührungsängste mit<br />

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