WIKO 2023 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Anbauflächen wegzunehmen. Mein
Gott, dieser böse Flächenfraß!
Diese argumentative Unwucht beginnt
ganz im Norden Deutschlands mit
dem Fehmarnbelttunnel (eine Straßenund
Schienenverbindung unter der
Ostsee hindurch, die in Dänemark so
ziemlich jeder klasse findet, während
er auf deutscher Seite bekämpft wird)
und zieht sich durch die Republik bis
Südbayern, zur Ablehnung jedweder
Eisenbahntrasse für den Brennerbasistunnel.
Die Deutschen sind ein Volk
der Nein-Sager geworden. Gerade der
Klimawandel offenbart die Scheinheiligkeit.
Energiewende? Ja, aber keine
Windräder oder Photovoltaikanlagen
vor der Tür (man muss wissen, es gibt
in Deutschland Hunderte Bürgerinitiativen
gegen Windräder). Verkehrswende?
Mehr Verkehr auf die Schiene?
Ja, natürlich. Aber um Himmelswillen
kein ICE-Werk in der Nähe. Diese
Nein-Sagerei ist ein Grund, weshalb
Energiewende und Klimaschutz hierzulande
nicht vorankommen.
Für viele Menschen spielt es keine
Rolle, ob ein Projekt tatsächlich tiefgreifend
Natur zerstört und mehr
negative als positive Folgen hat. Bekämpft
wird auch, was gesellschaftlich
und ökologisch Mehrwert schafft. Der
Kollateralnutzen des ICE-Werkes bei
Nürnberg wären 450 tarifgebundene
Facharbeitsplätze. Immer mehr deutet
inzwischen darauf hin, dass sie in
Baden-Württemberg gebaut werden.
Kommt es so weit, hat die Sattheit derer,
die nicht gestört werden wollen,
einmal mehr gesiegt über die Allgemeininteressen.
Denn, ja, 450 tarifgebundene,
gewerbliche Arbeitsplätze
und der Klimaschutz-Effekt sind im
Interesse der Allgemeinheit.
„Ein Rechenzentrum
in der Nachbarschaft?
Gott bewahre„
Ähnlich läuft es bei der Digitalisierung,
siehe Ellingen. Tadellose,
schnelle Mobilfunk- und Internetverbindungen
wollen alle, aber keinesfalls
Funkmasten in der Nähe. Gemeinhin
wird zu Recht beklagt, dass dieses große
und reiche Deutschland in puncto
Digitalisierung in bemitleidenswertem
Tempo dahinkriecht und international
abgehängt zu werden droht. Aber ein
für die Digitalisierung unverzichtbares
Rechenzentrum in der Nachbarschaft?
Gott bewahre!
Es ist eine Form von rabiatem, ökologisch
verbrämten Egoismus auf Kosten
der Allgemeinheit, der da um sich
greift. Und es führt mindestens in die
Irre, wenn Protestler auf ein Schild am
Rande der B 2 nördlich von Ellingen
schreiben: „Skandal – Stadtrat verwei-
gert Bürgern Mitsprache“. Wo, bitteschön,
war das denn der Fall? Als der
Ellinger Stadtrat ein Bürgerbegehren
abgelehnt hat, das handwerklich einfach
miserabel schlecht und nicht gesetzeskonform
war? Und woraus leitet
sich eigentlich der plakative Anspruch
ab, die Bürgerinteressen zu vertreten,
also die Interessen aller, mindestens
aber von 50 Prozent plus eins der Ellinger
Bevölkerung?
Direkte Demokratie ist ein hohes Gut.
Es setzt Respekt voraus. Der Slogan
„Wir sind das Volk“ hatte beim Aufstand
in der DDR seine Berechtigung.
Damals opponierten mutige Demokraten
gegen gefährliche Diktatoren
und riskierten Kopf und Kragen dabei.
Seither wird der Slogan inflationär
missbraucht, von Pegidisten,
Coronaschwurblern und Verschwörungsphantasten
zum Beispiel, für die
daraus keine Risiken erwachsen, wie
weiland den Demonstranten in der
DDR. Der Maßstab in einem freien,
demokratischen Rechtsstaat ist im Übrigen
nicht allein und ausschließlich
Volkes Stimme (ich mag mir nicht ausmalen,
was sonst vielerorts Migranten
widerfahren würde), sondern vor allem
Recht und Gesetz, die wiederum auf
Beschlüsse demokratischer Gremien
beruhen, der Parlamente. Das sind
Spielregeln, nach denen ein Land
funktioniert.
Wirtschaftsmagazin WIKO
11