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WIKO 2023 – Das Wirtschaftsmagazin für Altmühlfranken

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

Der Wirtschaftskompass Altmühlfranken stellt leistungsfähige Unternehmen der Region vor und widmet sich in Reportagen, Interviews und Meinungsbeiträgen der Gegenwart und Zukunft der regionalen Wirtschaftswelt.

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Grundbestandteil dieses Regelwerkes<br />

ist die repräsentative Demokratie. Bürgerinnen<br />

und Bürger wählen Vertreter<br />

in Parlamente, die dort entscheiden,<br />

mit Mehrheiten oder einstimmig. Die<br />

Ergebnisse gilt es grundsätzlich zu respektieren.<br />

Nur in Ausnahmen greift<br />

das Korrektiv des Bürgerentscheids.<br />

Abgesehen davon, dass es per se anmaßend<br />

ist, wenn einige Lautstarke <strong>für</strong><br />

sich reklamieren, die Interessen aller<br />

zu vertreten <strong>–</strong> mit direkter Demokratie<br />

hat das nicht zwangsläufig zu tun. Bürgerinnen<br />

und Bürger müssen in Planungsprozesse<br />

eingebunden werden,<br />

die sie betreffen. Sie haben das Recht<br />

auf kritische Fragen und darauf, ernst<br />

genommen und gehört zu werden, sowie<br />

eigene Vorschläge einzubringen.<br />

Doch wo ist die rote Linie, ab der basisdemokratische<br />

Instrumente missbraucht<br />

werden, um Entwicklungen<br />

auszuhebeln, die dem Gemeinwesen<br />

dienen?<br />

Prof. Dieter Rucht: Die Bereitschafft<br />

zum Einmischen ist gewachsen.<br />

Energiewende? Jawohl! Aber: Not in my backyard.<br />

Unter Experten gehen die Meinungen<br />

darüber, ob Bürgerbeteiligung zunehmend<br />

missbraucht wird, um Einzelinteressen<br />

durchzusetzen, auseinander.<br />

Professor Dieter Rucht, der am Wissenschaftszentrum<br />

Berlin <strong>für</strong> Sozialforschung<br />

seit Jahrzehnten zum Thema<br />

gesellschaftlicher Protest forscht,<br />

sieht in Deutschland keinen generellen<br />

Trend zu mehr Widerstand gegen Projekte.<br />

Die Menschen seien nur besser<br />

informiert und dank der digitalen Medien<br />

besser vernetzt, sagt er. Deshalb<br />

sei ihre Bereitschaft gewachsen, sich<br />

auch in öffentliche Diskurse einzubringen.<br />

Ein Trend sei es dabei, dass<br />

Debatten immer grundsätzlicher würden,<br />

so Rucht, über die konkrete Problemstellung<br />

hinaus. Wie auch in Ellingen,<br />

wo aus der an sich banalen Frage<br />

„Ansiedelung einer Firma in einem<br />

Gewerbegebiet, ja oder nein“ Grundsatzdebatten<br />

über die Sinnhaftigkeit<br />

von Photovoltaik im Allgemeinen oder<br />

die Gefahr von Grundstücksspekulationen<br />

im Besonderen mitentfacht wurden.<br />

Trotzdem werde Bürgerbeteiligung,<br />

so das Fazit des Wissenschaftlers<br />

Rucht, immer wichtiger, sie verzögere<br />

allerdings auch viele Projekte.<br />

Unter Soziologen und Politikwissenschaftlern<br />

gibt es jedoch auch andere<br />

Stimmen. Jene von Christoph Bernstiel<br />

zum Beispiel, der seine wissenschaftliche<br />

Expertise mit praktischer<br />

Erfahrung als Stadtrat in Halle an der<br />

Saale (seit 2014) und als CDU-Abgeordneter<br />

im Bundestag von 2017 bis<br />

2021 kombiniert. Er ist keineswegs<br />

ein Gegner der direkten Demokratie;<br />

2020 strengte er in Halle ein Bürgerbegehren<br />

gegen den Stadtratsbeschluss<br />

einer autofreien Innenstadt an; beim<br />

anschließenden Bürgerentscheid hatte<br />

er 61 Prozent der Bevölkerung auf seiner<br />

Seite. Dennoch warnt Bernstiel davor,<br />

in direkter Demokratie eine alleingültige<br />

Herrschaftsform zu sehen. Sie<br />

sei eine hervorragende Ergänzung zu<br />

demokratisch gewählten Parlamenten<br />

wie etwa einem Stadtrat. Mehr aber<br />

auch nicht.<br />

Bernstiel argumentiert aus seiner Zeit<br />

im Bundestag heraus. Der verabschiede<br />

jedes Jahr im Schnitt etwa 150 Gesetze.<br />

Nicht auszudenken, würde er<br />

über das ohnehin meist umfangreiche<br />

Anhörungs- und Debattenverfahren<br />

hinaus jedes Mal die Bevölkerung<br />

abstimmen lassen; der Staat und das<br />

Gemeinwesen wären blockiert. Aus<br />

guten Gründen entschlossen sich die<br />

Verfassungsväter der Bundesrepublik<br />

<strong>für</strong> das Prinzip der repräsentativen<br />

Demokratie. Es sieht nicht nur vor,<br />

dass ein Gemeinde- oder Stadtrat, ein<br />

Kreis-, Land- oder Bundestag mehrheitlich<br />

entscheidet. Ihr wohnt auch<br />

das Prinzip inne, das gewählte Volksvertreterinnen<br />

und -vertreter eine<br />

Gesamtbetrachtung bezogen auf ihr<br />

Gemeinwesen anlegen, dass sie Argumente<br />

abwägen und Meinungen bündeln<br />

und ein Vorhaben eben nicht isoliert<br />

<strong>für</strong> sich betrachten.<br />

Deshalb ist es weder anmaßend noch<br />

undemokratisch, wenn der Ellinger<br />

Bürgermeister erklärtermaßen eine<br />

Entscheidung in Sachen Hetzner-Ansiedelung<br />

als Aufgabe zunächst einmal<br />

<strong>für</strong> den Stadtrat reklamiert. Der ist<br />

das demokratisch legitimierte Organ,<br />

um eine Frage wie jene des Rechenzentrums<br />

zu diskutieren und zu entscheiden.<br />

Es ist auch sein Recht, die<br />

Entscheidung per Ratsentscheid auf<br />

die Bevölkerung zu übertragen. Der<br />

Stadtrat kann das tun, er muss es aber<br />

nicht. Umgekehrt ist es das unbestrittene<br />

Recht der Kritiker, einen Bürgerentscheid<br />

anzustrengen. Idealerweise mit<br />

fundierten Argumenten, nicht mit dem<br />

Totschlagargument Ökologie und auch<br />

nicht mit wirren, skandalisierenden<br />

Vorwürfen an Verantwortliche unter<br />

der Gürtellinie.<br />

Und über den Flächenfraß könnte man<br />

in Ellingen ja mal ganz grundsätzlich<br />

nachdenken.<br />

12<br />

<strong>WIKO</strong> Ausgabe <strong>2023</strong>

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