Mit »undsonst?!« durchs Broichtal - Alsdorfer Stadtmagazin
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Die San Fermin in Pamplona<br />
Jedes Jahr vom 7. - 14. Juli findet sie<br />
statt – die San Fermin in Pamplona.<br />
Dann findet neben etlichen Umzügen<br />
und Stierkämpfen der allmorgendliche<br />
Enciero statt – das Stiertreiben.<br />
Früher war es Sache der Metzger, sich<br />
dabei zu beweisen. Heute pilgern auf<br />
den Spuren von Ernest Hemingway<br />
Zehntausende jährlich in die Stadt,<br />
um das in seinem Roman „Fiesta"<br />
beschriebene Spektakel aus nächster<br />
Nähe zu erleben:<br />
Pünktlich um 8 Uhr startet zeitgleich<br />
mit dem Öffnen des Gatters, in dem<br />
die frisch angelieferten Stiere die Nacht<br />
verbracht haben, eine Rakete und<br />
detoniert gut hörbar über der Stadt.<br />
Dies ist das Zeichen für tausende weiß<br />
gekleiderter, meist junger Männer, mit<br />
roter Schärpe und rotem Halstuch, nur<br />
„bewaffnet" mit einer zusammengerollten<br />
Zeitung und laut nach den Torros<br />
rufend, sich umzudrehen und durch<br />
die Straßen zu rennen was das Zeug<br />
hält, denn jetzt sind sie los, die Stiere.<br />
Sobald der letzte Stier besagtes Gatter<br />
verläßt, steigt die zweite Rakete. Das<br />
ist wichtig, denn fast niemand hat<br />
einen Blick auf den Pulk der Stiere<br />
der jetzt durch das Stadtzentrum rennt.<br />
Der Abstand der beiden Detonationen<br />
zeigt an, ob die Stiere als dichte Herde<br />
oder in langezogener Reihe das Gatter<br />
verlassen haben. Selbst am anderen<br />
Ende der Stadt wird aber dieses wichtige<br />
Detail auf diese Weise akustisch<br />
vermittelt. Stiere sind Herdentiere und<br />
nicht sehr agressiv, solange sie sich<br />
unter Artgenossen befinden. Verlieren<br />
sie aber im dichten Gedränge unter<br />
den rennenden Menschen den Blickkontakt<br />
zueinander, werden sie zum<br />
Kampfstier und nehmen alles auf die<br />
Hörner, dessen sie habhaft werden.<br />
Manchmal drehen sie sogar um und<br />
rennen den nichtsahnenden Läufern<br />
entgegen. Das endet alle paar Jahre<br />
immer wieder einmal tödlich für allzu<br />
Wagemutige und Unvorsichtige.<br />
Die 6 - 8 Stiere werden von ebenso<br />
vielen Ochsen begleitet, um sie zu<br />
beruhigen. Die Tiere sind schnell und<br />
viele Läufer werden überholt und gar<br />
überrannt. Man rettet sich durch einen<br />
Hechtsprung auf den Boden und hofft,<br />
nicht von Hufen oder Hörnern getroffen<br />
zu werden, denn Hauseingänge<br />
oder Fensternischen in die man flüchten<br />
könnte, sind fast unerreichbar, da<br />
abgesperrt. Tollkühne rennen ein Stück<br />
neben den Stieren her, sich an einem<br />
der Hörner festhaltend. Alle hoffen,<br />
nicht durch die anderen Läufer bei<br />
Ausweichmanövern behindert zu werden<br />
– aber dies ist aufgrund der unzähligen<br />
Teilnehmer eher die Regel<br />
und sehr gefährlich! Der ganze Lauf<br />
durch die Stadt dauert nur ca. 2 - 3<br />
Minuten und endet in der Arena, wo<br />
den Kampfstieren bis zur nachmittäglichen<br />
Corrida eine Gnadenfrist eingeräumt<br />
wird.<br />
In der übervollen Arena geht jedoch<br />
das Spektakel mit jungen agressiven<br />
Kühen, deren Hörner durch aufgesetzte<br />
Knäufe etwas entschärft wurden,<br />
weiter. Diese stoßen oft wie ein Pflug<br />
in die Menge und man sieht Leiber<br />
auseinanderstieben, manchmal mit<br />
den Beinen nach oben. Einige Szenen<br />
würden einem Stuntman zur Ehre gereichen.<br />
Die Spanier wollen, daß der<br />
Stier gut aussieht und hassen die<br />
Aktionen vieler Amerikaner, die das<br />
Ganze mit einem Rodeo verwechseln<br />
und die Tiere manchmal niederringen.<br />
Man kann sich nur wundern, wie wenig<br />
ernsthafte Verletzungen auftreten.<br />
Dieses Theater dauert dann bis ca. 11<br />
Uhr und die zahlreichen, mit Schalmeienmusik<br />
untermalten Umzüge<br />
durch die Stadt lösen danach einander<br />
ab. Man sieht Ungewöhnliches,<br />
wie große Riesenfiguren, die Madon-<br />
na oder den Stadtheiligen, die von<br />
vielen Menschen begleitet, durch die<br />
Straßen getragen werden. Parallel<br />
dazu finden dann die Stierkämpfe in<br />
der Arena, vor deren Eingangstor eine<br />
große Büste von Ernest Hemingway<br />
während des jährlchen Festes mit<br />
einem roten Halstuch geschmückt<br />
wird, statt. So sind es denn auch in<br />
der Mehrzahl amerikanische Touristen,<br />
die diesem archaischen „Fest<br />
um Leben und Tod" beiwohnen wollen.<br />
Das mag nicht immer gemütlich<br />
sein – vor allem Frauen stehen oft<br />
stundenlang für einen Gang zu den<br />
Toiletten an und die Stadt riecht nach<br />
3 Tagen in weiten Teilen nach verrichteter<br />
Notdurft - aber es ist temperamentvoll<br />
und unvergesslich!<br />
Das ist wohl auch das Besondere an<br />
Pamplona: Der Besucher ist hier nicht<br />
Zuschauer, wie bei allen andern spanischen<br />
Fiestas, sondern Teilnehmer -<br />
im Zweifel genügen eine Bota (lederner<br />
Weinbeutel) und ein rotes Halstuch.<br />
Der Stadftpark quillt über und<br />
fasst die Zahl der Quartiersuchenden<br />
nicht. So schlafen viele über Tag,<br />
sobald die Stierhatz vorbei ist, auf<br />
den Straßen und Bürgersteigen ihren<br />
Rausch aus. Denn eines wird ganz<br />
schnell deutlich: Während dieser<br />
guten Woche liegt der morgendliche<br />
„Enciero" für die meisten unter ihnen<br />
nicht am Beginn, sondern am Ende<br />
des jeweiligen Tages! Ausschlafen<br />
kann man daheim.<br />
September/Oktober/November 13<br />
INTERN ANDERSWO<br />
Fotos und Text Wilfried Schüller<br />
Tiere haben es mit den Menschen<br />
nicht leicht; viele landen auf dem Teller<br />
und in unserem Magen, und ihr<br />
kurzes Leben vorher war oft nur Massenquälerei.<br />
Doch Tiere zu Freizeitund<br />
Feierzwecken Stress auszusetzen<br />
und zu töten, ist eine unschöne Sache<br />
für sich. Nun, die Spanier machen das<br />
mit den Stierkämpfen offen, in diversen<br />
europäischen Ländern finden Hahnen-<br />
und Hundekämpfe versteckt<br />
statt. Auch die Singvogeljagd, ganz in<br />
unserer Nähe betrieben, ist kein Ruhmesblatt.<br />
Dass ein europäisches Land<br />
jedoch das Töten von Stieren zur Freizeitbelustigung,<br />
als Nationalsport und<br />
als Ausdruck kultureller Identität<br />
hochhält, räumt dem Stierkampf eine<br />
Sonderstellung auf der Liste der europäischen<br />
Schandflecke ein, dem hoffentlich<br />
eines Tages die Stunde<br />
schlägt.<br />
ALSDORFER STADTMAGAZIN 4/09