ESSAYZUKUNFT: ZWISCHEN CHANCEUND BEDROHUNGPhilosophin Claudia Paganini zu hoffnungsvollen Utopienund negativen Zukunftserwartungen.„Die Faszination derZukunft war und istso groß, dass in derPopulärkultur sogarein eigener Terminusgeprägt wurde:Science-Fiction.“CLAUDIA PAGANINI studiertePhilosophie und Theologiean den Universitäten Innsbruckund Wien. Nach einerPromotion in Kulturphilosophie2005 widmete sie sich in ihrerHabilitationsschrift der Medienethik.Weitere Forschungsschwerpunktesind Medizin-,Tier- und Umweltethik. Derzeitlehrt und forscht Paganini alsVertretungsprofessorin ander Universität Erfurt, in denvergangenen Jahren war sie alsGastdozentin an den Universitätenvon Mailand, Athenund Zagreb tätig. Als erfahreneScience-Slammerin ist es ihrein besonderes Anliegen, dieInhalte der moralphilosophischenForschung für ein breitesPublikum verständlich undspannend aufzubereiten.Die Zukunft hat immer schon diemenschliche Vorstellungskraft inspiriert.Als Spielraum des Möglichen istsie Gegenstand strahlender Hoffnungen ebensowie düsterer Befürchtungen. LiterarischeZeugnisse dieser ambivalenten Haltung gibtes viele: Platons Atlantis um 400 v. Chr., Utopiavon Thomas Morus im 16. Jh. oder 1984 vonGeorge Orwell im 20. Jh. Die Faszination derZukunft war und ist so groß, dass in der Populärkultursogar ein eigener Terminus geprägtwurde: Science-Fiction. Gesichertes Wissenund die Erfahrungen mit dem bisherigen Gangder Geschichte werden extrapoliert, um Bilderdessen zu entwerfen, was noch nicht existiert.Einmal mehr finden sich hier fantastisch schillerndePhantasien Seite an Seite mit schaurigenSzenarien des Weltendes.Und das ist kein Zufall. Denn auch der Abgrundist ein Thema, das die Einbildungskraftdes Menschen seit jeher beflügelt hat. „Ich binverschont geblieben, aber ich beschreibe denUntergang“, hat der Schweizer DramatikerFriedrich Dürrenmatt einmal gesagt. Wie erhaben viele Künstler – Literaten, Maler, Komponisten– das Scheitern in dunklen Farbenund bedrückenden Tönen ausgemalt. Dertragische Held, das bloß vorgestellte Scheiternvermögen in gewisser Weise zu beruhigen,weil ich selbst davon nicht betroffen bin. Mitunteraber sind wir nicht nur im Roman, aufder Bühne oder im Film mit dem Untergangkonfrontiert. Manchmal steht man sehr konkretvor einem Abgrund, wenn man am Bergden Weg verfehlt hat oder wenn man sich mitden Zahlen und Statistiken zum Klimawandelbzw. dem Arm-Reich-Gefälle in der globalenGesellschaft auseinandersetzt. Zukunft, hoffnungsvolleUtopie, antizipierter Untergangoder reale Bedrohung?Welche Interpretation man wählt, hängt zueinem guten Teil vom eigenen Charakter ab,davon, wie ich mit Unsicherheit umgehenkann, ob es mir wichtig ist, Gewohntes beizubehaltenoder ob ich dazu tendiere, michbegeistert in neue Abenteuer zu stürzen. Zugleichwird die Wahrnehmung davon beeinflusst,welche Diskurse in einer Gesellschaftvorherrschen. Auch diese sind häufig ambivalent.So etwa das Sprechen über Neue Medienund Digitalisierung, wo einerseits euphorische,den Fortschritts-Topos bedienende Szenariendominieren – wenn etwa eine Universität wiedie Uni Inns bruck sehr viel Geld in die Handnimmt, um ein Digital Science Center zu gründen–, andererseits aber düstere Bilder – wennsich Bücher mit dem Titel Digitale Demenz zuBestsellern entwickeln und einer ganzen Generationvon Eltern tiefe Sorgenfalten auf dieStirn treiben, sobald sie ihre Kinder beim Computerspielenertappen. Diese von Psychologenwie George Milzner als „digitale Hysterie“ bezeichnetenegative Zukunftserwartung ist dasErgebnis eines Bedrohungs-Topos, den manregelmäßig finden kann, wenn es zu sogenanntenMedienumbrüche kommt.Dann nämlich passen die alten Gewohnheitennicht mehr zu den je neuen Medien, müssenreflektiert und verändert werden. Dies wird üblicherweiseam schmerzlichsten bewusst, wenndie neue Technologie massenhafte Verbreitungfindet. So im alten Rom, wo der Siegeszug derSonnenuhr von lauten Unkenrufen begleitetwurde. Denn für die Zeitgenossen war klar:Mit der Sonnenuhr hatte man einen Abgott geschaffen,der wahre Glaube war in Gefahr, derMensch der Tyrannei der Technik von nun anhilflos ausgeliefert. Wenig besser ging es langedanach dem Kabeltelefon, dem man aufgrundder zu erwartenden Reizüberflutung und desdurch das Klingeln ausgelösten gesundheitsschädlichenSchocks höchste Gefährlichkeitattestierte. Beispiele wie diese gibt es viele. Siesollen aber nicht dazu ermuntern, aus der privilegiertenPosition der später Geborenen überdie Dummheit anderer zu spotten, sondernvielmehr aufzeigen, wie subjektiv und fehleranfälligZukunftsprognosen sein können. Vordiesem Hintergrund scheint es nicht zu schaden,die eigenen Zukunftserwartungen immerwieder kritisch zu hinterfragen und vor allemder Versuchung zu widerstehen, dogmatischePositionen einzunehmen.50 zukunft forschung 02/19Foto: Andreas Friedle
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