SOM_02_2022
Störfeld, Neuraltherapie , Tinnitus, Schwindel, CMD
Störfeld, Neuraltherapie , Tinnitus, Schwindel, CMD
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Wissenschaft
Kleinhirn (3). Aus dieser Konvergenzsituation in Bereich des
Hirnstamms ergibt sich, dass viele Noziafferenzen aus Strukturen
der oberen HWS Symptome wie Gleichgewichtsstörungen, Tinnitus,
Übelkeit und Kopfschmerzen auslösen können.
Dabei spielen insbesondere die zervikalen propriozeptiven Afferenzen
in das vestibuläre System bei der Unterstützung der Hypothese
des zervikogen ausgelösten Schwindels eine zentrale Rolle.
So ließ sich in einer Arbeit von Hölz et. Al (4) unter zervikalen
Provokationsbedingungen über zervikookuläre Bahnen bei Probanden
sowohl ein horizontaler wie auch vertikaler Nystagmus
provozieren, der eine halspropriozeptive Aktivierung des vestibulären
Systems nahelegt (4) und auch nachvollziehen lässt,
dass die Patienten*innen dabei Schwindelgefühle wahrnahmen.
Interessant in diesem Zusammenhang ist die Beobachtung aus
unserer Praxis, dass zervikogen ausgelöste Schwindelbeschwerden
in den meisten Fällen mit einer vestibulären Tonusimbalance
im Zusammenhang stehen, also einer zumindest einseitigen
Unterfunktion eines Gleichgewichtsorganes. Diese lässt sich
durch kalorische Untersuchungen der Vestibularfunktion (Video-
und Elektronystagmographie) nachweisen, wo sich dann
typischerweise bei noch zumindest teilweise erhaltener Vestibularfunktion
ein Defizit der Amplituden und/oder der Frequenz
der Syntagmen einer Seite nachweisen lässt. Auch ein einseitig
pathologischer Video-HIT (Head impulse test) mit Nachweis von
verspäteten Rückstellsakkaden als Ausdruck einer Störung des
vestibulo-okulären Reflexes kann auf eine einseitige vestibuläre
Läsion hinweisen, die im Zusammenhang mit zervikalen propriozeptiven
Afferenzen dann symptomatisch werden kann. Durch
den Unterberger Tretversuch, einen einfachen, im klinischen Alltag
leicht durchzuführenden Test, kann zumindest ein Hinweis
auf eine einseitige vestibuläre Störung objektiviert werden. Eine
Drehung um mehr als 45° zu einer Seite legt das Vorliegen einer
relevanten vestibulären Asymmetrie zumindest nahe.
Fasst man diese Untersuchungsergebnisse mit den Erfahrungen
aus der Praxis zusammen, kann man die Existenz
eines zervikogen ausgelösten Schwindels bei bestimmten
Konstellationen wie klinisch relevanten HWS-Syndromen,
ungünstiger Lagerung des Kopfes aber auch einer begleitenden
vestibulären Problematik eigentlich nicht mehr negieren.
Von zahnärztlicher Seite ist eine Kenntnis dieser Zusammenhänge
im Hinblick auf eine Vermeidung unnötiger Komplikationen
vor allem bei längeren Eingriffen sicher hilfreich.
Welche therapeutischen Maßnahmen gibt es ?
Mögliche therapeutische Maßnahmen sind nachfolgende physiotherapeutische,
manualtherapeutische oder osteopathische
Behandlungen (7,9), die allesamt darauf abzielen, muskuläre Verspannungen
und ggf. Blockaden zu lösen und die propriozeptiven
Einflüsse aus der Halswirbelsäule zu minimieren. Durch den
therapeutischen Einsatz von Lokalanästhetika kann dieser Effekt
deutlich verstärkt werden. Auch schulmedizinisch werden neuerdings
Facettengelenksblockaden im Bereich der Facettengelenke
der HWS mittels Lokalanästhetika diagnostisch und therapeutisch
eingesetzt (2). Im Bereich der Neuraltherapie ist diese Art
der Therapie schon lange bekannt und kann erfolgreich durch
zusätzliche Maßnahmen wie Infiltration der aktiven Muskeltriggerpunkte,
der kurzen, tiefen aber auch der oberflächlichen Halsmuskeln,
Infiltrationen im Bereich der Dornfortsätze sowie durch
intradermale Quaddelung zur Lockerung der HWS-Muskulatur
unterstützt werden. Vestibuläre Syndrome lassen sich gut durch
eine Blockade des ipsilateralen Ganglion stellatum behandeln,
die durch Reduktion des Sympathikotonus zu einer Besserung
der Mikrozirkulation und somit Förderung regenerativer Effekte
im Innenohr beitragen kann. Insofern stellt die Neuraltherapie
eine gute Behandlungsmöglichkeit zervikaler Schwindelsymptome
im Zusammenhang mit zahnärztlicher Behandlung dar und
kann bei entsprechenden „Risikopatienten“ ggf. sogar prophylaktisch
vor einem geplanten Eingriff durchgeführt werden.
Interessenkonflikt:
Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt vorliegt.
Literaturverzeichnis:
Autor
Dr. med. Thomas Kaiser
Facharzt für Neurologie
Schwindeldiagnosezentrum
Wilhelmstr. 84-86
55543 Bad Kreuznach
e-mail: mail@schwindeldiagnose.de
Tel.: 0671-92001318
Chu, E.: Cervicogenic dizziness. Oxf Med Case Reports 2019, 11: p. 476-478
Hahn, T.: Diagnostik und Therapie zervikogenen Schwindels mittels Facettengelenksblockade
und Facettengelenks-Denervation, Promotion 2021, Klinik für Neurochirurgie,
Ulm
von Heymann, W.: Kopfschmerz, Schwindel, Tinnitus und Halswirbelsäule. Manuelle
Medizin 2015, 53: p. 361–373
Hölzl, M.: Zervikopropriozeptive Provokation von horizontalen und vertikalen Nystagmen
bei Probanden. HNO 2008, 56: p. 1013–1019
Ilbeygui, R.: Zervikogener Schwindel: Mythos und Wahrheit. Manuelle Medizin 2015,
54(1): p. 50-52
Magnusson, M.: The conundrum of cervicogenic dizziness. Handb Clin Neurol 2016,
137: p. 365-9
Malmström, E.: Cervicogenic dizziness - Musculosceletal findings before and after
treatment and long-term outcome. Disability and Rehabilitation 2007, 29(15): p. 1193-
205
Wiest, G.: Der so genannte zervikogene Schwindel aus neurologischer Sicht. Journal
für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie 2016, 17(1): p. 7-12
Wrisley; D.: Cervicogenic dizziness: a review of diagnosis and treatment. J Orthop
Sports Phys Ther 2000, 30 (12): p. 755-66
Yacovino, D.: Clinical characteristics of cervicogenic-related dizziness and vertigo. Semin
Neurol 2013, 33(3): p. 244
20 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 2/2022