SOM_02_2022
Störfeld, Neuraltherapie , Tinnitus, Schwindel, CMD
Störfeld, Neuraltherapie , Tinnitus, Schwindel, CMD
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Wissenschaft
Die Therapie des chronischen Tinnitus
Bei einem chronischen Tinnitus kann weder durch Medikamente,
eine Operation, apparative Versorgung noch durch Neuraltherapie
das Störgeräusch komplett abgeschaltet oder gelöscht werden.
Der Leidensdruck ist individuell sehr unterschiedlich, korreliert
nicht mit der Tinnitus-Frequenz oder -Lautstärke [10]
[11], sondern wird vor allem von den Begleitsymptomen, wie
z.B. Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Depressions- und
Angsterkrankung geprägt. Insbesondere bei diesen Begleiterkrankungen
kann gut therapeutisch angesetzt werden, z.B. mit
einer antidepressiven Medikation.
Konventionelle / implantierbare Hörgeräte
Je nachdem ob eine Normakusis (häufig!) oder gleichzeitig
eine Schwerhörigkeit besteht, kann ein Tinnitus-Masker/Noiser
mit oder ohne Hörgerät verordnet werden. Dadurch, dass
Hörinformationen von außen wieder stärker wahrgenommen
werden, tritt das Ohrgeräusch in den Hintergrund. Bei einer
ein- oder beidseitigen Ertaubung kann durch ein Cochlea-Implantat
(CI) die Tinnitusbelastung meist gut reduziert werden.
Psychotherapie
Eine kognitive Verhaltenstherapie zielt auf eine Verbesserung
der Verarbeitung und Bewältigung von Ohrgeräuschen ab, bei
gleichzeitiger Verbesserung der Stressverarbeitung und Behandlung
komorbider Symptome wie Schlafstörungen, Ängste,
Depressionen. Sie konzentriert sich auf eine Verbesserung der
Bewältigungsfertigkeiten durch Entkatastrophisierung der Tinnitussymptomatik,
die bewusste Aufmerksamkeitsumlenkung
und den Erwerb von Copingstrategien (Ablenkung, positive
Selbstverbalisierung). Es werden die Fähigkeiten des menschlichen
Gehirns genutzt, mittels Lernprozesse plastische Veränderungen
zu erreichen und damit den Tinnitus aktiv sowie
dauerhaft zu habituieren [12].
Tinnitus-Bewältigungs-Therapie
Die ursprünglich von Jastreboff und Hazell entwickelte Tinnitus-Retraining-Therapie
(TRT) nach dem sogenannten „neurophysiologischen
Modell“ [13] [14] ist in den letzten Jahren
erfolgreich modifiziert worden.
Heute wird eine Kombination aus TRT, auditorischer Stimulation
durch Masker/Noiser oder Hörgeräten und Verhaltenstherapie
angewandt. Dieser neue multimodale Therapieansatz wird
als Tinnitus-Bewältigungs-Therapie (TBT) bezeichnet und
kann die Lebensqualität von Betroffenen deutlich verbessern.
Tinnitracks
Eine ähnliche Strategie verfolgt die Tinnitracks-App mit seiner
Neurotherapie. Hierbei wird mit gezielt auf den Patienten zugeschnittener
Musik, versucht die verantwortlichen Hörzellen wieder
ins Gleichgewicht zu bringen. Voraussetzung ist ein tonaler Tinnitus
mit stabiler Frequenz und einem Hörverlust geringer als 60
dB. Zuerst wird beim HNO-Arzt die Tinnitusfrequenz bestimmt,
welche dann in der App hinterlegt wird. Mittels eines Codes kann
der Patient die App freischalten und hat Zugriff auf die unterschiedlichsten
Lieder, welche er sich nun auf sein Handy laden
kann. Hierbei wird immer die spezifische Tinnitusfrequenz aus
den betreffenden Liedern herausgefiltert. Der Patient sollte täglich
insgesamt 90 Minuten die Musiktherapierapie für ein Jahr lang
anwenden. Tinnitracks bietet auch eine Basistherapie an, in welcher
der Patient Bewältigungsstrategien lernt, die ihm das Leben
mit dem Tinnitus erleichtern sollen. Diese Counseling dauert etwa
sechs Wochen. Viele Krankenkassen unterstützen diese Therapie.
Kalmeda
Die Kalmed Tinnitus-App bietet eine digitale kognitive Verhaltenstherapie
an, die von allen Krankenkassen erstattete wird.
Sie ist als eine digitale Gesundheitsanwendung (DiGA) vom
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
zugelassen und kann somit vom behandelnden Arzt budgetneutral
bis zu viermal auf einem Kassenrezept verordnet werden.
Hierbei werden die Anwenderinnen und Anwender auf
fünf Leveln mit je neun Modulen in den Kategorien Aufmerksamkeitslenkung,
Entspannung, Selbstwirksamkeit, Akzeptanz
und Achtsamkeit durch die Therapie geführt.
Neuromodulation
Mittels Biofeedback, welches seit mehr als 100 Jahren praktiziert
wird, kann die Patientin oder der Patient lernen, unbewusst
ablaufende Prozesse im Körper gezielt wahrzunehmen
und zu beeinflussen, z.B. den Blutdruck, die Schweißdrüsenaktivität
oder Hirnströme. Über Biofeedback lernen die Betroffenen
ihre Entspannungsfähigkeit zu verbessern und Stress
erfolgreicher zu bewältigen.
Beim Neurofeedback kann mittels verschiedener Verfahren,
wie z.B. Hämoenzephalographie oder Elektroenzephalographie,
die Hirnaktivität erfasst werden. Es werden z.B. mittels
Elektroden auf der Kopfoberfläche Gehirnwellen erfasst und
auf einem Bildschirm sichtbar gemacht. Teilnehmende sollen
dabei lernen, die Kontrolle über bestimmte unwillkürliche Gehirnprozesse
zu erlangen. Dadurch kann dann diejenige Aktivität
im Gehirn reduzieren werden, welche für die Erzeugung der
anhaltenden Geräuschwahrnehmung verantwortlich ist.
30 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 2/2022