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gab September 2022

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MUSIK<br />

NACHGEFRAGT<br />

FOTO: SONY MUSIC<br />

ELECTRIC CALLBOY:<br />

„Wir bleiben unberechenbar“<br />

Beflügelt von einer Umbesetzung<br />

und einer Namensänderung zieht<br />

die Dance-Metal-Band aus Castrop-Rauxel<br />

auf ihrem neuen Album „Tekkno“ sogar<br />

noch mehr Register als ohnehin üblich.<br />

Das wäre ein Fest geworden: „Aus einer<br />

Schnapslaune heraus“, wie Frontmann und<br />

Co-Sänger Kevin Ratajczak fröhlich erklärt,<br />

während er im Backstagebereich eines<br />

großen Festivals in der Schweiz mit uns<br />

telefoniert, hatte sich Electric Callboy beim<br />

deutschen Vorentscheid des diesjährigen<br />

Eurovision Song Contest beworben. In<br />

die Vorauswahl waren die sechs Jungs<br />

aus Castrop-Rauxel und Umgebung noch<br />

gekommen, doch dann verließ den für den<br />

ESC zuständigen Norddeutschen Rundfunk<br />

womöglich der Mut und die Band wurde<br />

aussortiert. „Es <strong>gab</strong> einen Riesenaufruhr,<br />

inklusive einer Petition mit über 100.000<br />

Zuschriften, uns doch zu nominieren, aber<br />

der NDR, der kurz aus seiner Nussschale<br />

herauszukriechen schien, hatte sich wieder<br />

verkrochen und ging lieber auf die vermeintliche<br />

Nummer Sicher.“ Im Nachhinein sei<br />

man aber gar nicht so traurig darüber, nicht<br />

in Turin dabei gewesen zu sein, und noch<br />

einmal wolle man es auch nicht probieren,<br />

denn, so Kevin, „der ESC ist nicht wirklich<br />

unsere Welt.“<br />

Dabei hätte der Song, mit dem Electric Callboy<br />

angetreten war, gar nicht besser zu der<br />

Over-The-Top-Veranstaltung passen können.<br />

Auf „Pump It“, einer der vorab veröffentlichten<br />

Singles von „Tekkno“, dem sechsten<br />

Album, vermischt die Band 80ies-Sounds,<br />

ein wenig Trash-Pop und unterhaltsames<br />

Heavy-Metal-Geschrei zu einem extrem<br />

vergnüglichen, stimmigen Ganzen. Im Video<br />

sieht man die verkleidungsfreudige und<br />

sich musikalisch noch sonst wie keinesfalls<br />

zu ernst nehmende Band beim Aerobic.<br />

„Unsere Kreativität und unser Ideenreichtum<br />

sind absolut unbeschnitten“, sagt Kevin, der<br />

sich den Sängerjob mit dem 2020 zur Band<br />

gestoßenen Nico Sallach teilt. „Wir machen<br />

uns einen großen Spaß<br />

daraus, uns immer<br />

wieder zu verwandeln<br />

und unberechenbar zu<br />

bleiben.“ Anfangs hatte<br />

es die 2010 gegründete<br />

Truppe, die ihren<br />

Namen im Frühjahr<br />

von Eskimo Callboy in<br />

Electric Callboy änderte<br />

(„Das Wort ‚Eskimo‘<br />

ist einfach heute<br />

problematisch“) noch<br />

schwer. „Wir haben<br />

uns damit geplagt, keine klare Identität zu<br />

haben. Es hieß häufig ‚Ihr seid nicht richtig<br />

Metal, ihr seid nicht richtig Pop, was macht<br />

ihr denn eigentlich?‘ Aber diesen wilden<br />

Mix, den lieben wir einfach immer schon am<br />

Allermeisten.“ Und nach und nach erspielte<br />

sich Electric Cowboy dann ein sehr diverses<br />

Publikum von Gleichgesinnten – seien es<br />

Rock- und Hardcore-Fans oder Leute, die<br />

sonst zu Deichkind oder Scooter gehen. Vor<br />

letzteren verneigten sich Electric Callboy<br />

vergangenes Jahr mit ihrem Scooter-auf-<br />

Speed-Metal-Song „Hypa Hypa“, dem bis<br />

dato größten Hit. Scooters HP Baxxter<br />

habe trotz Anfrage nicht auf der Nummer<br />

mitsingen wollen, selber schuld. „Wir gehen<br />

davon aus, dass er mittlerweile weiß, wer wir<br />

sind.“<br />

Und natürlich setzen die überzeugten<br />

Ruhrgebietsbewohner auch auf „Tekkno“ ihr<br />

Stilmix-Spektakel fort. Ekstase, der Drang<br />

zum Durchdrehen und ausgeprägtes Gespür<br />

für Ironie durchziehen die Platte. Harte<br />

Synthies, harte Gitarren<br />

und harter Gesang sind<br />

die Hauptbausteine<br />

von Liedern wie „We<br />

Got The Moves“ oder<br />

„Spaceman“, aber<br />

das bedeutet nicht,<br />

dass Electric-Callboy-<br />

Freunde gefeit wären<br />

vor Überraschungen.<br />

„Fuckboi“ ist eine<br />

Huldigung an den<br />

Pop-Punk der frühen<br />

Nullerjahre und erinnert<br />

an eine Mischung aus Blink-182 und Avril<br />

Lavigne (den weiblichen Gesang steuern<br />

Conquer Divide bei), und „Hurrikan“ ist<br />

ein abgedrehter Ausflug in die seltsame<br />

Welt des Ballermann-Schlagers. Das Video<br />

drehten die Jungs sogar im berühmtberüchtigten<br />

„Bierkönig“ auf Mallorca. „Diese<br />

Welt ist wirklich krass beeindruckend, und<br />

für einen Abend fanden wir es wirklich geil,<br />

ein Teil davon zu sein.“ Aber dann war es<br />

auch genug.<br />

*Interview: Steffen Rüth

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