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Gesundsitzen Ausgabe 2012/2013

Das Schweizer Magazin für Ergonomie, Gesundheit und Wohlbefinden. Ausgabe 2012/2013

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«Plädoyer für ein gesundes<br />

Älterwerden»<br />

Adelheid Kuhlmey (55) ist Gerontologin, Professorin und Direktorin des Instituts<br />

für Medizinische Soziologie an der Berliner Charité. Sie plädiert für ein gesundes,<br />

aberrealistisches Altern. In ihrem Buch «Alter, Gesundheit und Krankheit» fasst eine<br />

der renommiertesten Altersforscherinnen Europas die wichtigsten gesellschaftlichen<br />

Probleme rund ums Thema Altern zusammen.<br />

Text: Kurt Mürset; Photo: zvg<br />

Lifestyle<br />

16<br />

Adelheid Kuhlmey ist Mitte 50 und sie<br />

macht sich – auch von Berufs wegen – Gedanken<br />

darüber, was im Alter auf sie zukommen<br />

wird. Nicht nur weil dies für sie<br />

selber neu sein wird, sondern vor allem,<br />

weil die Situation für unsere Gesellschaft<br />

eine völlig neue sein wird: zum ersten<br />

Mal erleben wir, dass ganze Generationen<br />

quasi geschlossen alt werden. Die sogenannten<br />

Babyboomer, die geburtenstarken<br />

Jahrgänge der Fünfziger Jahre, gehen zusammen<br />

ins sechste, siebte und gar achte<br />

Lebensjahrzehnt. Neu ist auch, dass man<br />

mit 60 oder 70 Jahren nicht mehr zu den<br />

Ältesten zählt. Denn da sind immer noch<br />

die 80- und 90-Jährigen.<br />

Hier stellt sich die Gerontologin entscheidende<br />

Fragen: Wie gestaltet sich das<br />

Leben im Alter? Was können wir tun, um<br />

uns präventiv auf diesen Lebensabschnitt<br />

einzustellen? Heute ist dieses lange Altersleben<br />

völlig unserer privaten Initiative<br />

überlassen. Erst langsam müht sich die<br />

Gesellschaft, das Rentenalter nach oben<br />

zu verschieben – und stösst dabei auf<br />

Widerstand. Die jungen Alten zwischen<br />

60 und 80 sind ein neues Phänomen, Vorbilder<br />

haben sie noch keine.<br />

Die ganzen Anti-Aging-Kampagnen –<br />

also die krampfhaften Bemühungen jung<br />

zu erscheinen – sind dabei ihrer Meinung<br />

nach auch nicht sehr hilfreich, wenn man<br />

mal vom präventiven Charakter absieht.<br />

Viel besser wäre die Idee einer Pro-Aging-<br />

Kampagne, die mithilft, die Menschen<br />

stärker zu machen, das Altern zu akzeptieren<br />

und gut damit umzugehen.<br />

Dabei ist gerade dieses Umgehen mit<br />

dem Alter eine Herausforderung, die wir –<br />

individuell und gesellschaftlich – annehmen<br />

müssen. Schliesslich ist heute Wirklichkeit<br />

geworden, was die Menschen<br />

schon immer anstrebten: lange zu leben,<br />

alt zu werden. Adelheid Kuhlmey betont,<br />

dass wir immer noch nicht wissen, was wir<br />

mit der ganzen Zeit anfangen sollen. Wir<br />

sind immer noch in den drei Lebensabschnitten<br />

Kindheit und Jugend, Arbeitsleben<br />

und Pensionsalter gefangen. Früher<br />

lebte ein Rentner nach der Pensionierung<br />

durchschnittlich vielleicht noch fünf bis<br />

zehn Jahre, heute sind es zwanzig. Was<br />

sollen wir mit dieser gewonnenen Lebenszeit<br />

tun? Ältere Menschen stellen ein<br />

Die Berliner Gerontologin Adelheid Kuhlmey<br />

plädiert für ein gesundes, aber realistisches<br />

Altern – ohne das krampfhafte Bemühen jung<br />

erscheinen zu wollen.<br />

In unserer Gesellschaft leben wir nicht nur<br />

länger, sondern bleiben auch über das<br />

Rentenalter hinaus aktiv – wie beispielsweise<br />

die Rolling Stones.<br />

grosses soziales Reservoir dar. Ihre Teilhabe<br />

an der Gesellschaft zu gestalten, das<br />

ist eines der wichtigsten Themen der<br />

nächsten 30 Jahre. Wir können es uns gar<br />

nicht leisten, auf die Reserven, das Wissen<br />

und Potential der alten Leute zu verzichten.<br />

Hier ist Kreativität gefragt. Denkbar<br />

wäre ein Sozialjahr für Senioren oder Teilzeitarbeit<br />

im Alter. Das Erwerbssystem<br />

muss flexibler werden. Schliesslich gibt es<br />

nichts Individuelleres als das Alter. Wir<br />

kennen heute die kalendarischen Altersgrenzen,<br />

nach dem Austritt aus dem Berufsleben<br />

fängt ein junges Alter an und das<br />

alte Alter nach dem 80.Lebensjahr. Wir<br />

wissen aber, dass es 60-Jährige gibt, die<br />

funktional zehn Jahre jünger sind, aber<br />

auch das Umgekehrte gilt. Dieses individuelle<br />

Alter wird viel zu wenig berücksichtigt,<br />

um beispielsweise Entscheidungen zu treffen,<br />

wer wann aus dem Erwerbsleben ausscheiden<br />

sollte.

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