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Industrieanzeiger 14.2022

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Energieintensive Industriestandorte aus den Branchen<br />

Chemie, Eisen und Stahl, Zement, Glas, Papier<br />

sowie Raffinerien produzieren vor allem durch<br />

Rauchgase viel überschüssige Wärme, die derzeit<br />

aber nur selten genutzt wird. Denn häufig ist das<br />

nicht einfach so machbar: Das Temperaturniveau ist<br />

niedrig, die Abwärme fällt dezentral oder unregelmäßig<br />

an und ist teilweise stark verschmutzt. „Dennoch<br />

gibt es bereits einige Leuchtturmprojekte, an denen<br />

wir auch beteiligt sind“, sagt Sven Schreiber, Geschäftsführer<br />

der Alfa Laval Mid Europe GmbH. Denn<br />

das Unternehmen ist unter anderem auf Wärmetauscher<br />

spezialisiert und berät Kunden auch hinsichtlich<br />

deren Potenzials im Bereich Abwärmenutzung.<br />

In Hamburg hat man das<br />

» Die Shopfloor-Spezialisten<br />

kennen die Anlage,<br />

sind aber nicht in den<br />

Nachhaltigkeitsmeetings. «<br />

Quelle: Sven Schreiber, Alva Laval<br />

bereits komplett umgesetzt:<br />

Die Kupferhütte Aurubis nutzt<br />

nur etwa ein Viertel ihrer Abwärme<br />

intern, mit dem Rest<br />

versorgt sie seit 2018 durch<br />

eine 3,7 km lange, neu gebaute<br />

Leitung die öst liche Hafen-<br />

City. Dieser erste Strang spart<br />

jährlich etwa 20.000 t Kohlendioxid-Ausstoß<br />

ein. Außerdem muss das Unternehmen<br />

kein Kühlwasser mehr aus der Elbe entnehmen.<br />

Ab der Heizperiode 2024/25 sollen dann bereits rund<br />

20.000 weitere Hamburger Haushalte mit Industriewärme<br />

aus der Kupferproduktion beliefert werden.<br />

So könnten jedes Jahr bis zu 100.000 t CO 2 -Emissionen<br />

in der Hansestadt eingespart werden. Die angestrebte<br />

Wärmelieferung stelle nach Aussage des Unternehmens<br />

die größte Nutzung von industrieller Abwärme<br />

in Deutschland dar.<br />

Sie entsteht in der sogenannten Kontaktanlage, einem<br />

Teil der Kupferraffination, in der in mehreren<br />

Schritten durch eine exotherme chemische Reaktion<br />

Schwefelsäure hergestellt wird. Für den Fernwärmetransport<br />

muss das heiße Wasser eine Ausgangstemperatur<br />

von 90 °C haben. Um das zu erreichen, musste<br />

Aurubis einen komplett neu konstruierten Zwischenabsorber<br />

errichten, in dem die Prozesstemperatur<br />

bei der Schwefelsäureherstellung nicht wie bisher<br />

50 °C, sondern 120 °C beträgt. Die höhere Temperatur<br />

führt aber auch zu einem exponentiellen Anstieg<br />

des Korrosionspotenzials der Säure, dem herkömm -<br />

liche Werkstoffe nicht lange standhalten würden:<br />

Die hochkonzentrierte Schwefelsäure ist so aggressiv,<br />

dass sie sogar Stahlblech perforiert. Dies stellte<br />

neben dem Druck und der Hitze eine große Herausforderung<br />

dar.<br />

Um die hohen Anforderungen zu erfüllen, lieferte<br />

Alfa Laval acht semigeschweißte Plattenwärmetauscher,<br />

speziell angepasst an die anspruchsvolle Prozessumgebung.<br />

Die Plattenbleche der Sonderkonstruktionen<br />

bestehen aus Hastelloy D-205, einer<br />

besonders korrosionsbeständigen Nickelbasislegierung.<br />

Die Wärmetauscher bieten konstruktionsbedingt<br />

eine Temperaturannäherung<br />

von 3 °C. Das Wasser ist deshalb<br />

IM ÜBERBLICK<br />

Oft sind sich Firmen nicht<br />

nach dem Wärmetausch nur wenige<br />

bewusst, über welchen<br />

Grad kühler als die Säure. Aurubis hat<br />

Schatz sie mit ihrer Abwärme<br />

verfügen. Diese kann<br />

rund 20 Mio. Euro für den Umbau der<br />

Anlagen sowie die Verlegung der Wärmeleitung<br />

an die Werksgrenze investiert,<br />

vielseitig genutzt werden,<br />

nicht nur im Winter.<br />

nochmals 16 Mio. kamen vom zuständigen<br />

Energiedienstleister Enercity. Die Erfahrungen<br />

werden auch in das Forschungsvorhaben Norddeutsches<br />

Reallabor eingebracht,<br />

um einen Transfer für weitere<br />

Projekte dieser Art zu ermög -<br />

lichen.<br />

Potenziale aufzeigen<br />

Um das bisher meist ungenutzte<br />

Potenzial der industriellen<br />

Abwärme europaweit<br />

abschätzen zu können, verzahnt<br />

ein Konsortium aus Universitäten und Forschungseinrichtungen<br />

wie dem Fraunhofer-Institut<br />

für System- und Innovationsforschung ISI verschiedene<br />

Datenbanken im EU-Projekt sEEnergies. Inzwischen<br />

wurden über 1800 Industriestandorte integriert.<br />

Dabei wurde klar: In Deutschland entstehen<br />

mehr als 35 % der industriellen Abwärme maximal<br />

zehn Kilometer von bestehenden Fernwärmesyste-<br />

Bild: Tom Oettle<br />

Anreize für Eigennutzung schaffen<br />

Selbst kleine Firmen wie Spritzguss-Zulieferer könnten ihre<br />

Abwärme geschickter nutzen, etwa durch ORC-Verstromung<br />

und anschließende Eigennutzung sowie Heizung der Geschäftsräume,<br />

auch über die eigenen Firmenwände hinaus.<br />

Durch passende Fördertöpfe muss das auch nicht alleine<br />

gestemmt werden. Um dieses Potenzial zu heben, braucht<br />

es aber auch politische Weichenstellungen. So könnten<br />

auch für CO 2<br />

-Emissionen, die außerhalb<br />

des Firmengeländes vermieden<br />

werden, kostenlose Zertifikate für den<br />

EU-Emissionshandel zugeteilt werden.<br />

Alexander Gölz,<br />

Chefredakteur<br />

<strong>Industrieanzeiger</strong><br />

<strong>Industrieanzeiger</strong> » 14 | 2022 55

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