29.01.2024 Aufrufe

MEDIAkompakt Ausgabe 35

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org Das Zeitungsprojekt im 7.Semester Mediapublishing beinhaltet alle Aufgaben einer Zeitungsredaktion: vom Recherchieren, Interviews führen, Artikel verfassen, Bildmotive selektieren und natürlich dem Akquirieren von Anzeigenkunden ist alles dabei.

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01/ 2024 SUCHE<br />

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My body, your choice?<br />

Frausein ist gleich Muttersein. So veraltet diese Vorstellung wirkt,<br />

so verankert ist sie. Frauen, die sich davon abwenden, haben es<br />

immer noch schwer. Auch Julia Carp musste viel Gegenwind<br />

aushalten. Die 25-jährige erzählt von ihrem langen Weg zur<br />

Sterilisation.<br />

VON NEDIRA BÖHLER<br />

Bild: Privat<br />

Ach, warte erst mal ein paar Jahre ab,<br />

das ändert sich noch!” ist der Standardsatz,<br />

den junge Frauen zu hören<br />

bekommen, sobald sie sich gegen<br />

Nachwuchs aussprechen. Eine Reaktion,<br />

die zeigt, wie unbegreiflich die Vorstellung einer<br />

gebärfähigen Person ohne Kinderwunsch<br />

auch heute noch zu sein scheint. Wie groß der<br />

Druck und wie klein die Selbstbestimmung dadurch<br />

sein kann, wurde für Julia Carp spürbar. Für<br />

ihren Wunsch, kinderlos zu leben, musste die<br />

Wahlkölnerin hart kämpfen und viel Ablehnung<br />

ertragen.<br />

Dreieinhalb Jahre ist sie nun her, ihre Sterilisation.<br />

Doch angefangen hat alles bereits im Kindesalter,<br />

berichtet die 25-jährige Medienwissenschaftlerin.<br />

Schon damals stand für Carp fest: „Ich<br />

möchte niemals Kinder kriegen“. Geändert habe<br />

sich das nie, bis heute nicht. Richtig präsent wurde<br />

das Thema dann mit 16 Jahren, dem ersten<br />

Freund und der Frage nach Verhütung. Die Lösung<br />

damals: Pille schlucken. „Gut war damit aber<br />

noch lange nicht alles“, erzählt sie im Interview.<br />

Neben schweren depressiven Verstimmungen leidet<br />

sie unter einer permanenten Schwangerschaftsangst.<br />

„Zu Höchstzeiten habe ich dann<br />

mehrere Schwangerschaftstests in der Woche gemacht,<br />

einfach nur um sicher zu sein.“ Ihr Leidensdruck<br />

ist groß, die Hilflosigkeit noch größer.<br />

Nach drei Jahren geht die Beziehung zu Ende<br />

und damit vorerst auch die Angststörung. Die<br />

Aussichtslosigkeit bleibt. Bis sie im März 2019 auf<br />

eine Doku über eine junge Frau mit Sterilisationswunsch<br />

stößt. „Es war für mich, als hätte ich einen<br />

heiligen Gral gefunden“, erinnert sich Carp<br />

euphorisch. Schnell steht für die 22-jährige Studentin<br />

fest: Sie möchte die Sterilisation. Gezweifelt<br />

habe sie an ihrem Entschluss seither nie. „Für<br />

mich war es das, was ich gesucht habe, ohne zu<br />

wissen, dass es existiert“.<br />

Aufseiten der Gynäkolog:innen sieht das anders<br />

aus. Der Konsens der Ärzt:innen: Für einen<br />

solchen Eingriff sei sie zu jung. Entmutigen lässt<br />

sich die Anfang 20-jährige dennoch nicht. So beginnt<br />

sie im Dezember 2019 nicht nur eine neue<br />

Beziehung, sondern auch einen Kampf um Selbstbestimmung.<br />

Sechs Monate verbringt sie mit frustrierenden<br />

Telefongesprächen und abweisenden<br />

Arztbesuchen – erfolglos. Bei professioneller Ablehnung<br />

bleibt es jedoch nicht. „Sie werden einsam<br />

sterben” und „Wollen sie wirklich riskieren,<br />

am Ende ohne Mann dazustehen?” sind nur einige<br />

der schlimmen Vorwürfe, die der Studentin an<br />

den Kopf geworfen werden. Ihr Wunsch scheint<br />

unerreichbar.<br />

Harte Zurückweisung ist in den Praxen eher<br />

Standard als Ausnahme, bestätigt auch Gynäkologin<br />

Sandra Behrndt. Besonders bei jungen Frauen<br />

unter 30 werde eine Sterilisation kritisch bewertet,<br />

ordnet die Fachärztin ein. „Aus medizinischer<br />

Sicht ist der operative Eingriff natürlich mit Risiken<br />

verbunden“, betont sie, “das sollte nicht unterschätzt<br />

werden”. Eine Sterilisation wird deshalb<br />

nur bei medizinischer Notwendigkeit oder<br />

abgeschlossener Familienplanung in Betracht gezogen.<br />

„Zwar gilt das auch für jüngere Frauen,<br />

aber das Risiko, dass sich diese Haltung mit einem<br />

neuen Partner oder mit den Jahren verändert, ist<br />

vielen Ärzt:innen zu hoch“, erklärt Dr. Behrndt.<br />

Wichtig ist deshalb ein umfassendes Aufklärungsgespräch,<br />

bei dem sowohl persönliche Umstände<br />

als auch Risiken betrachtet werden.<br />

Am Ende zahlt sich Carps Hartnäckigkeit aus.<br />

Mithilfe von “Selbstbestimmt steril e.V.“, einem<br />

Verein, der sich für mehr Transparenz und Selbstbestimmung<br />

bei diesem sensiblen Thema einsetzt,<br />

findet sie eine unterstützende Praxis. Der 4.<br />

Juni 2020 wird fortan zum Wendepunkt in ihrem<br />

Leben. „Der Tag der OP war einer der schönsten<br />

überhaupt für mich“, erinnert sich die junge Frau<br />

lachend. Heute ist sie stolz darauf, ihre Stimme gefunden<br />

zu haben. Und in diesem entscheidenden<br />

Punkt sind sich Julia Carp und Sandra Behrndt einig:<br />

Über den eigenen Körper entscheidet letztlich<br />

jede:r selbst. Ob Mitte 40 oder Anfang 20.<br />

Bild: Unsplash<br />

Was ist eine Sterilisation?<br />

Unter einer Sterilisation versteht man das<br />

Verschweißen oder Durchtrennen der Eileiter<br />

bei Personen mit Uterus. Die Unterbrechung<br />

verhindert, dass Spermien in die Gebärmutter<br />

eindringen und dort Eizellen befruchten.<br />

Eine Rekonstruktion des Eileiters<br />

und künstliche Befruchtungen sind weiterhin<br />

möglich.

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