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MEDIAkompakt Ausgabe 35

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org Das Zeitungsprojekt im 7.Semester Mediapublishing beinhaltet alle Aufgaben einer Zeitungsredaktion: vom Recherchieren, Interviews führen, Artikel verfassen, Bildmotive selektieren und natürlich dem Akquirieren von Anzeigenkunden ist alles dabei.

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28 SUCHE<br />

mediakompakt<br />

Fliegender Wechsel<br />

Lange Zeit haderte Podcasterin Erika Dürr alias „Ulligunde“ mit<br />

ihren Fähigkeiten am Berg. Zu groß die Angst beim Klettern, zu<br />

klein das Selbstvertrauen. Heute siegt die Freude bei neuen<br />

Abenteuern wie dem Gleitschirmfliegen.<br />

VON LISA MÜHLTHALER<br />

Bild: Christian Seitz<br />

Erika Dürrs herzliches Lachen reicht bis<br />

zu den haselnussbraunen Augen. Die<br />

unzähligen Sommersprossen im Gesicht<br />

der Wahl-Allgäuerin strahlen mit<br />

„Die Angst vor der Angst<br />

hat mich limitiert.“<br />

der Sonne um die Wette. Dazu stehen<br />

ihre kurzen braunen Haare frech vom Kopf ab. Eine<br />

junge Frau, die taff wirkt und das Leben zu genießen<br />

scheint. Bei genauerem Hinsehen erkennt<br />

man die Nachdenklichkeit in ihrem Blick. Ängste<br />

gehören schon seit der Kindheit von Erika Dürr<br />

zum Alltag. Inzwischen kann sie mit diesen umgehen,<br />

aber der Weg dorthin war steinig.<br />

Die heute <strong>35</strong>-Jährige ist in Friedrichshafen am<br />

Bodensee geboren. Sie wächst als Nesthäkchen<br />

mit zwei Brüdern auf. Die fünfköpfige Familie<br />

Spengler verbringt viele Stunden zu Wasser, vorzugsweise<br />

auf dem „Schwäbischen Meer“. Für große<br />

Segelreisen sind sie zeitweise über Monate unterwegs.<br />

Während beide Geschwister tatkräftig<br />

mithelfen, kann Erika Dürr oft nur physisch<br />

teilnehmen. „Sport war für mich extrem negativ<br />

konnotiert. Ich war nicht schlecht, aber immer<br />

schlechter als meine Brüder“, betont die Friedrichshafenerin.<br />

Erika<br />

Dürr gerät zum<br />

Leidwesen ihres<br />

Selbstvertrauens in<br />

einen ständigen Vergleich<br />

mit anderen Athlet:innen. Erste Klettererfahrungen<br />

in der Halle zum Beispiel frustrieren<br />

sie. Dazu schränkt die ständige Angst vor Höhe<br />

und dem Abrutschen an der Wand ein. Ihr Vater<br />

teilt dieses Gefühl und gibt es an die Kinder weiter.<br />

Selbst die Turngruppe in der Schule verlässt sie<br />

aus Furcht vor dem Schwebebalken. „Die Angst<br />

vor der Angst hat mich limitiert“, gibt die <strong>35</strong>-Jährige<br />

offen zu.<br />

Gute Erinnerungen pflegt sie an Ausflüge in<br />

die Berge. Zu Fuß, auf Skier oder mit dem Rad erkundet<br />

die naturverbundene Familie die Alpen.<br />

Nach dem Abitur 2008 entscheidet sich Erika Dürr<br />

für einen Umzug in das Allgäu. In Kempten studiert<br />

sie acht Semester Tourismus-Management.<br />

Eine Arbeitsstelle in einem kleinen gehobenen<br />

Hotel schwebt ihr vor, bei der sie Wünsche erfüllen<br />

und Gästen dienen kann. Ihr Praxissemester<br />

verbringt sie in Hamburg an der Rezeption eines<br />

Fünf-Sterne-Hotels. „Es war der geilste Job den ich<br />

bis heute hatte“, schwärmt die <strong>35</strong>-Jährige. Langfristig<br />

70 Stunden die Woche arbeiten und das bei<br />

niedrigem Gehalt kommt für die freiheitsliebende<br />

Person allerdings nicht infrage. Fasziniert von<br />

Ozeanien unternimmt sie 2010 eine viermonatige<br />

Trekkingreise nach Tasmanien und Neuseeland.<br />

Als „Ulligunde“ startet sie ihren Blog und berichtet<br />

über Touren mit dem Zelt. Erika Dürr mag altdeutsche<br />

Namen und erfindet spontan den einprägsamen<br />

Begriff. Nach ihrem Trip in die Südsee<br />

schreibt sie weiter. Aus anfänglich leichten blauen<br />

Touren werden gefährlich schwarze Etappen im<br />

Rother Wanderführer. „Mutausbrüche“, wie Erika<br />

Dürr kurzzeitig mutige Phasen bezeichnet, gibt es<br />

selten. Oft kämpft sie gegen sich selbst anstelle einer<br />

Gefahr. Hauptberuflich kümmert sich die<br />

Bloggerin nach dem Studium um die B2C-Kommunikation<br />

des Tourenportals „Outdooractive“<br />

in Immenstadt. Ende 2015 kündigt Erika Dürr die<br />

Stelle aus gesundheitlichen Gründen. Aus einer<br />

Übergangsphase zuhause, entsteht die Selbstständigkeit.<br />

„Ohne das Netzwerk von früher hätte ich<br />

diesen Schritt nie gewagt“, ist sich die Wahl-Allgäuerin<br />

sicher. 2019 gibt sie das Bloggen auf,<br />

gründet stattdessen den Podcast „Ulligunde<br />

(p)lauscht“, von dem sie heute leben kann. Gäste<br />

sind Athlet:innen aus dem Bergsport.<br />

Ihre eigene Geschichte ist zu Ende erzählt. Mit<br />

ihren Freund:innen und ihrem Mann Michael<br />

Dürr sucht sie acht Jahre neue Herausforderungen<br />

im Alpinklettern<br />

und reizt eigene<br />

Grenzen aus. Ein<br />

Bild von ihr mit<br />

Steigeisen, Eisgeräten<br />

und voller Ausrüstung am Gurt lässt Erika<br />

Dürr innehalten. „Diese Tour konnte ich vorsteigen,<br />

ich als kleiner Angsthase“, berichtet sie. Mit<br />

der Realisation den Traum erfüllt und eine gewisse<br />

Routine am Berg erlangt zu haben, schwindet<br />

ihre Motivation. „Ich hatte keine Lust mehr, ständig<br />

mit der Angst zu ringen. Ich will mich nicht<br />

mehr fürchten. Ich will, dass es Freude macht“, ergänzt<br />

sie mit Nachdruck. Als ihre beste Bergpartnerin<br />

2020 bei einer gemeinsamen Kletterpartie<br />

auf das Schreckhorn stirbt, ist für Erika Dürr endgültig<br />

Schluss.<br />

Das Gleitschirmfliegen gibt ihr neuen Lebensmut<br />

und rettet sie aus einer tiefen Phase der Trauer.<br />

Seitdem erkundet die Wahl-Allgäuerin die Berge<br />

von oben. Heute ist die <strong>35</strong>-Jährige gütiger zu<br />

sich selbst und hört auf ihre innere Stimme. Sie<br />

kennt ihre Stärken und akzeptiert ihre Schwächen.<br />

Vergleiche mit anderen sind ein No-Go. Mit<br />

bestehenden Ängsten lernt sie ohne Druck weiter<br />

umzugehen. Ihr Selbstvertrauen beschreibt eine<br />

Lernkurve. Das Meditieren und die Malerei entschleunigen<br />

sie vom Alltagsstress als Selbstständige.<br />

Die Suche nach spielerischer Leichtigkeit setzt<br />

sie sich persönlich zum Ziel. „Einfach machen<br />

und sich nicht verheddern in Annahme und<br />

Angst“, rät Erika Dürr.

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