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MEDIAkompakt Ausgabe 35

Die Zeitung des Studiengangs Mediapublishing an der Hochschule der Medien Stuttgart - www.mediapublishing.org Das Zeitungsprojekt im 7.Semester Mediapublishing beinhaltet alle Aufgaben einer Zeitungsredaktion: vom Recherchieren, Interviews führen, Artikel verfassen, Bildmotive selektieren und natürlich dem Akquirieren von Anzeigenkunden ist alles dabei.

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24 SUCHE<br />

mediakompakt<br />

Zwischen zwei Welten<br />

ln der Stille von Großaspach<br />

erlebt Xiao Ping Wu sein<br />

Doppelleben. Ein Student,<br />

der zwischen zwei Kulturen<br />

tanzt, erzählt seine Geschichte,<br />

geprägt von Vorurteilen und<br />

der Suche nach Identität.<br />

VON CORALIE BOBOROWSKI<br />

Wu ist 26 Jahre alt, in Deutschland<br />

geboren und aufgewachsen mit<br />

chinesischem Migrationshintergrund.<br />

,,Ich galt immer als der<br />

Dorf-Chinese und wurde mit<br />

Vorurteilen konfrontiert über chinesisches Essen<br />

und bizarre Annahmen über meine Sehkraft.‘‘ Damit<br />

wurde sein Leben zu einem Labyrinth aus<br />

kulturellen Herausforderungen. Die Identität<br />

von Wu ist eng mit der Geschichte seiner Eltern<br />

verknüpft: Sein Vater kam mit 13 Jahren<br />

nach Deutschland, gefolgt von seiner Mutter im<br />

Alter von 16 Jahren. Beide flohen vor den wirtschaftlichen<br />

Herausforderungen in China. Ihr<br />

Drang nach einem besseren Leben trieb sie<br />

nach Deutschland.<br />

,,Mein Vater hat in seiner Heimatstadt<br />

Changshu in China jeden Tag nur Reis gegessen.<br />

Es gab damals nichts anderes. Fleisch aß man nur<br />

einmal im Jahr, das war etwas Besonderes.’’ Die<br />

Lebensmittelknappheit sei nicht das einzige Problem<br />

gewesen. Sein Vater wuchs außerdem in einer<br />

ländlichen Bauernfamilie auf, wo die Bildungsmöglichkeiten<br />

begrenzt waren. Ähnlich sah<br />

es für seine Mutter aus, deren berufliche Perspektiven<br />

in China nicht vielversprechend waren.<br />

,,Als Baby bin ich in einem rein chinesischen<br />

Umfeld aufgewachsen. Im Kindergarten hatte ich<br />

dann den ersten Kontakt mit der deutschen Kultur.‘‘<br />

Das sei schwierig gewesen. Die Erzieher:innen<br />

hätten oft aufgrund der Sprachbarriere nicht<br />

gewusst, warum er weint. Doch als Kind habe er<br />

schnell die deutsche Sprache gelernt.<br />

Weitere Herausforderungen prägten daraufhin<br />

seine Schulzeit: ,,Ich war der einzige Chinese<br />

im Dorf. Viele haben zuvor überhaupt noch nie<br />

einen Asiaten gesehen. Somit waren die Vorurteile<br />

sehr groß: die Annahme, dass ich Katzen und<br />

Hunde esse oder die Vorstellung, dass ich aufgrund<br />

meiner asiatischen Augen nur einen Millimeter<br />

sehen kann.“<br />

Auch die kulinarischen Unterschiede zwischen<br />

Deutschland und China waren nicht leicht<br />

für Wu und seine Familie: ,,Mein Vater ist Koch<br />

und somit habe ich auch ab und zu Freund:innen<br />

zum Essen eingeladen. Doch sie wollten dann keine<br />

Stäbchen oder fragten: ,Warum riecht das so?’<br />

und äußerten Aussagen wie: ,Bitte kein Hund!’ ‘‘<br />

Nach seiner Schulzeit begann Wu ein Informatikstudium<br />

in Stuttgart-Vaihingen.<br />

Das Jahr 2020 brachte jedoch einen drastischen<br />

Wandel mit sich – der Lockdown legte alles<br />

lahm. Eine neue Coronavariante aus China brachte<br />

die Welt zum Stillstand. Die Pandemie bedeutete<br />

für Wu nicht nur das Risiko einer Ansteckung,<br />

sondern offenbarte die nächste Herausforderung:<br />

,,Menschen setzten sich in der Bahn von mir<br />

weg, aus Angst vor Corona.’’ Wu findet, das Ganze<br />

zu ignorieren, sei das einfachste, was man in so<br />

einem Fall machen könne. Doch plötzlich senkt<br />

er den Blick, holt tief Luft und offenbart: ,,Ich habe<br />

mich in dem Moment in meiner eigenen Haut<br />

wirklich sehr unwohl gefühlt.’’ Er wünscht sich,<br />

dass Menschen in Deutschland mehr Empathie<br />

zeigen. Gleichzeitig könne er sich aber auch in die<br />

Lage seines Gegenübers versetzen und meint:<br />

,,Ich glaube, viele Menschen wissen einfach<br />

nicht, wie sie besser damit umgehen können.“<br />

Die Frage nach seiner Herkunft wird somit zu<br />

einem ständigen Begleiter. In Deutschland wird er<br />

oft auf sein Erscheinungsbild angesprochen:<br />

,, ‚Woher kommst du?‘ Dann wird noch mal gefragt:<br />

‚Nein, woher kommst du wirklich?‘ ‘’ Seine<br />

Familie in China hingegen vergleicht Wu mit einer<br />

Banane: außen gelb, innen weiß.<br />

Doch Wu sieht auch die schönen Seiten seiner<br />

multikulturellen Herkunft.<br />

Bild: C oralie Boborowski<br />

Die Fähigkeit, mehrere Sprachen fließend zu<br />

sprechen, eröffne ihm sehr gute berufliche Chancen:<br />

,,Ich spreche Mandarin, Kantonesisch,<br />

Deutsch und Englisch.’’ Laut dem Regierungspräsidium<br />

Tübingen gilt Chinesisch im Kontext der<br />

Globalisierung mittlerweile als eine der Weltsprachen.<br />

Somit ist sich Wu sicher, dass er einen Vorteil<br />

gegenüber anderen Bewerbenden genießen<br />

wird. Sein Wunsch sei es außerdem, durch seinen<br />

chinesischen Background irgendwann mal eine<br />

Zeit lang in China zu leben und dort Karriere zu<br />

machen. Dann lacht er und ergänzt: ,,Angestellt<br />

in Deutschland und Remote arbeiten in China,<br />

das wäre der Traum!‘‘<br />

Inzwischen hat der 26-Jährige seine eigene<br />

Identität gefunden. Früher legte er großen Wert<br />

darauf, sich für eine bestimmte Kultur zu entscheiden.<br />

Jetzt jedoch macht sich Wu darüber keine<br />

Gedanken mehr und hat erkannt, dass beide<br />

Welten zu ihm gehören. Da seine Eltern als Kind<br />

zu ihm sagten: ,,Wir sind hier nur Gast. Du musst<br />

dich anpassen und es einfach durchstehen.‘‘, fügte<br />

er abschließend hinzu: ,,Ich werde darauf achten,<br />

meine zukünftigen Kinder ernst zu nehmen,<br />

wenn sie Diskriminierung oder Mobbing erfahren.<br />

Denn sie sollen sich nicht so allein fühlen,<br />

wie ich es damals tat.“

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