Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
Verhalten adäquat deuten kann? Und, erschließen sich denn noch dem Erwachsenen – <strong>und</strong> Berufspädagogen –<br />
überhaupt noch die Zeichensysteme dieser Codes?<br />
Angelangt an einen pädagogischen Nullpunkt, der die eigene Bedeutungslosigkeit angesichts der evident<br />
bedeutungsvollen Dynamik jugendlicher <strong>Alltagsgestaltung</strong> scharf konturiert, wird die Notwendigkeit der<br />
Reflexion <strong>und</strong> Erforschung essentieller Teil des pädagogischen Selbstverständnisses. Konnte man bislang seine<br />
Autorität noch auf einen vermeintlichen Vorsprung an Wissen <strong>und</strong> Erfahrung gründen, wird <strong>mit</strong> der<br />
Rekonstruktion jugendlicher Sinnstrukturen offensichtlich, dass auch dieser Expertenstatus nur noch bedingt<br />
dazu taugt, die Identität des Pädagogen dauerhaft zu sichern. Und diese Selbstvergewisserung wird von<br />
Schülergeneration zu Schülergeneration mühsamer. Immer weniger Stoff kann im vergleichbaren Zeitraum<br />
bewältigt werden, immer anstrengender wird die Etablierung von effizienten Lernsituationen. Immer weniger<br />
scheint das gefragt, was einem so viel bedeutet: Weltverstehen, vor dem die Schüler sich angesichts seiner<br />
unaneigbaren Übermächtigkeit bedrängt <strong>und</strong> provoziert <strong>und</strong> zugleich auch verstoßen <strong>und</strong> ohnmächtig fühlen.<br />
Angesichts der beständigen Misserfolge auf beiden Seiten flüchten sich die Lehrer in eine <strong>mit</strong> Sarkasmen<br />
definierte innere Emigration, die Schüler in ein ostentatives Desinteresse. Das bisherige Selbstverständnis des<br />
Lehrers muss sich ändern, will er das Verhalten der Schüler ändern, denn noch immer setzt er im Auftrag der<br />
gesellschaftlichen Institution wie des konkreten Lernumfelds Schule wesentliche Impulse <strong>und</strong> greift da<strong>mit</strong> tief<br />
in den Alltag der <strong>Jugendliche</strong>n ein. 19<br />
In dieser Situation gewinnen alltägliche Beobachtungen im Unterricht <strong>und</strong> außerunterrichtlichen Raum<br />
exemplarische Bedeutung <strong>und</strong> lösen einen Prozess des Nachdenkens aus, an dessen Ende der Wie dergewinn<br />
pädagogischer Handlungsfähigkeit stehen soll. Dies kann allerdings nicht bedeuten, sich allein empathisch dem<br />
Handeln der <strong>Jugendliche</strong>n zu nähern. Gefragt ist der reflexive <strong>und</strong> sein Rollenverhalten ständig kritisch<br />
betrachtende, auch bei einer eventuellen Teilnahme distanzierte Beobachter. Die unverbindliche<br />
Zielbeschreibung dieser Beobachtung als ein "Bemühen um Kenntnis <strong>und</strong> Verstehen von 'jugendlichen<br />
Lebenswelten'" wird konkreter in einer Beschreibung jugendlichen Handelns als "mediale Inszenierung von<br />
Befindlichkeiten, Lebenslagen <strong>und</strong> Existentialia". 20<br />
1.4 Dritte Annäherung: Encoding/ Decoding als Gr<strong>und</strong>formen jugendlicher<br />
<strong>Alltagsgestaltung</strong><br />
8<br />
"Die Menschen integrieren Medien, Rezeptionssituationen <strong>und</strong> Medienerlebnisse sinnbezogen in ihr<br />
Alltagshandeln <strong>und</strong> ihr Alltagsleben." 21<br />
<strong>Jugendliche</strong> <strong>Alltagsgestaltung</strong> ist das Ergebnis intertextueller Ausgestaltung handlungsleitender Themen.<br />
Die Schüler betreten morgens <strong>mit</strong> dem lebensweltlichen Kontext Schule einen Bereich, in den sie ihre im Alltag<br />
entwickelten individuellen Bedeutungszuweisungen <strong>und</strong> die in spezifischen Arrangements symbolisierte<br />
Sinngebung <strong>mit</strong>bringen, die sie bis zum Beginn des jeweiligen Unterrichts, auch während des Unterrichts, in<br />
den Pausen zwischen den Unterrichtsst<strong>und</strong>en, in Freist<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nach Unterrichtende in der Interaktion <strong>mit</strong> sich<br />
<strong>und</strong> anderen praktizieren.<br />
Die <strong>Jugendliche</strong>n bringen jeden Morgen ihr aktuelles Arrangement von Medien, Texten <strong>und</strong> Ereignissen als<br />
konstitutives Element ihrer aktuellen <strong>Alltagsgestaltung</strong> in die Schule <strong>mit</strong>. Während Schule <strong>und</strong> Lehrer dieses<br />
Arrangement richtig als Ausdruck von Individualität wahrnehmen <strong>und</strong> nach der strukturellen Logik der<br />
Institution negativ bewerten, nehmen die <strong>Jugendliche</strong>n diese Polarität nicht wahr, da für sie dieses Arrangement<br />
<strong>und</strong> seine Nutzung integraler Bestandteil ihres Alltags <strong>und</strong> ihrer Lebenswelt ist, zu der sie auch den Lebensraum<br />
Schule zählen. Gerade hier in der Kommunikation <strong>mit</strong> ihrer Peer Group <strong>und</strong> anderen sozialen Formationen<br />
findet ein Gutteil der Aneignungs- <strong>und</strong> Entäußerungsprozesse statt, die sie in Orientierung an ihren<br />
19 Die unterrichtliche wöchentliche Belastung der <strong>Jugendliche</strong>n an Gymnasien beträgt in Rheinland-Pfalz (2003/ 2004) in den Klassenstufen 5-6<br />
zunächst 28-34 Unterrichtsst<strong>und</strong>en (= 21,0 - 25,5 Zeitst<strong>und</strong>en), in den Klassenstufen 7-10 dann 30-36 Unterrichtsst<strong>und</strong>en (= 22,5 – 27,0<br />
Unterrichtsst<strong>und</strong>en), in der Oberstufe 32-38 Unterrichtsst<strong>und</strong>en (= 24,0 - 28,5 Zeitst<strong>und</strong>en); hinzuzurechnen ist der Zeitaufwand für Hausaufgaben<br />
<strong>und</strong> das Lernen vor Prüfungen, für freiwillige Verpflichtungen etc. Quelle: http://leb.bildung-rp.de/info/nachgefragt/st<strong>und</strong>entafel/gymnasium_1.htm<br />
[2003-05-12]; http://mss.bildung-rp.de/texte/broschueren/mss/kapitel%202.htm#45 [2003-05-12)];<br />
20 FEIST 1999, 57<br />
21 BACHMAIR 2001, 234