Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
Identitätsfindung wird der gesellschaftliche Auftrag, eine "Sozialisation in eigener Regie" 32 durchzuführen <strong>und</strong><br />
die Versäumnisse der Erwachsenen zu kompensieren: "Wie bewältigen <strong>Jugendliche</strong> (als Personen) die Jugend<br />
(als gesellschaftliche Anforderungsstruktur)?" 33<br />
Die oben geschilderten Beispiele zeigten sie bei der Gestaltung ihres Alltags kreativ, spontan, geistreich, auch<br />
fleißig, ausdauernd, strebsam, ebenso diszipliniert <strong>und</strong> kontrolliert, auf Ziele hin orientiert, verantwortlich für<br />
sich <strong>und</strong> andere handelnd - in vielerlei Hinsicht also vorbildlich handelnd <strong>und</strong> die Vorurteile über sie Lügen<br />
strafend.<br />
In den Gesprächen <strong>mit</strong> den <strong>Jugendliche</strong>n wie nach den Beobachtungen zeigen sie als bemerkenswerte<br />
Techniken zur Gestaltung ihres Alltags die Fähigkeit zur Ausbildung unbegrenzter Kreativitätsräume in der<br />
ästhetischen Transition des Realen in das Imaginative <strong>und</strong> umgekehrt, ein langfristiges, auf intrinsischer<br />
Motivierung beruhendes Engagement bei diesem Ästhetisierungsprozess, das an in seiner Intensität an<br />
Obsession grenzen kann, <strong>und</strong> pragmatisch entwickelte Interaktionskompetenzen in adäquaten<br />
Vergesellschaftungsformen.<br />
Intrinsische Motivierung<br />
Die <strong>Jugendliche</strong>n erhalten sich eine langfristige, intensive <strong>und</strong> selbstbestimmte intrinsische Motivierung, die es<br />
ihnen erlaubt, ihren Misserfolgs- <strong>und</strong> Ohnmachterfahrungen dominant Momente gelingender <strong>Alltagsgestaltung</strong><br />
entgegenzustellen. Da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>en ist ein Rückgewinn von partieller Verfügbarkeit über Kontextbedingungen.<br />
Mittels einer fiktional orientierten Ästhetisierung von Wirklichkeit kommt es, zu einem dekonstruierenden Akt<br />
der Interpretation <strong>und</strong> zur Superposition faktisch nicht zu ändernder Kontexte. Den <strong>Jugendliche</strong>n gelingt es, ihr<br />
Handeln weitgehend selbst zu kontrollieren. Dabei werden die Anforderungen so gestaltet, dass sie einerseits<br />
anspruchsvoll genug sind, eine intensive <strong>und</strong> dauerhafte Beschäftigung <strong>mit</strong> ihnen zu provozieren, andererseits<br />
aber die Kompetenzen der <strong>Jugendliche</strong>n auch nicht durch sie überfordert werden. Die da<strong>mit</strong> entstehende<br />
Synthese von Herausforderung, Anstrengung <strong>und</strong> Erfolgserlebnissen führt zu einer dauerhaften intrinsischen<br />
Motivierung des <strong>Jugendliche</strong>n. Derartige positive Flow-Erfahrungen wirken sich wiederum affirmativ auf die<br />
gesamte <strong>Alltagsgestaltung</strong> der <strong>Jugendliche</strong>n aus.<br />
Ästhetisierung<br />
Die <strong>Jugendliche</strong>n schaffen sich in der weitgehend heteronomen <strong>und</strong> institutionalisierten Umwelt von Schule <strong>und</strong><br />
Erwachsenenwelt selbstgestaltete individuelle Räume der Kreativität. Dies gelingt ihnen <strong>mit</strong> einer stringenten,<br />
fiktional orientierten Ästhetisierung des Alltags. Dazu gehört die Schöpfung wirklichkeitsrelevanter <strong>und</strong><br />
zugleich selbstgestalteter imaginativer Kontexte, welche diese Realität transzendieren. Dies alles im Kontext<br />
einer durch Produktions- <strong>und</strong> Konsumptionsrationalität weitgehend uniformierten Gesellschaft. Die<br />
Transzendierung des Alltags gelingt den <strong>Jugendliche</strong>n <strong>mit</strong> Hilfe einer umfassenden fiktional orientierten<br />
Ästhetisierung ihres Handelns in der Darstellung sich <strong>und</strong> anderen gegenüber. Diese Ästhetisierung zeigt<br />
gr<strong>und</strong>sätzlich hohe Affinitäten zu Formen des Phantastischen.<br />
Interaktion<br />
Die <strong>Jugendliche</strong>n schaffen sich da<strong>mit</strong> selbstgestaltete individuelle Räume erfolgreicher Interaktion <strong>und</strong><br />
effizienter Sozialformen. Dazu gehört insbesondere der Rückgewinn der affektiv-wertvollen Dimension<br />
personaler Interaktion in spezifischen selbstorganisierten sozialen Netzwerken. Dagegen stehen allerdings die<br />
Entpersonalisierung bzw. Virtualisierung von Interaktion in der postmodernen mediatisierten Gesellschaft,<br />
gegenüber der sich die <strong>Jugendliche</strong>n behaupten müssen. Die <strong>Jugendliche</strong>n organisieren sich selbständig in<br />
spezifischen Sozialformen unterschiedlichster Art <strong>und</strong> Weise.<br />
Während die <strong>Jugendliche</strong>n offensichtlich sehr wohl wissen, was ihren Alltag lebenswert macht <strong>und</strong> wie sie ihn<br />
gelingend gestalten, müssen sich Schule <strong>und</strong> Elternhaus fragen, wie sie dazu beitragen können, falls sie nicht<br />
32 HENGST 1997; 2002, 50; BACHMAIR 1999, 52<br />
33 MÜNCHMEIER 1998, 13<br />
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