Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus - Literaturbericht <strong>und</strong> wissenschaftlicher Bezugsrahmen<br />
Interaktions- bzw. Kommunikationskompetenzen. Als eine Teilmenge dieses symbolischen Kapitals identifiziert<br />
POTTER ein Interpretatives Kapital ("interpretative repertoire"), das einer spezifischen Diskursgemeinschaft<br />
("interpretative community") – bei BOURDIEU Feld genannt - zur Verfügung steht <strong>und</strong> das die zu Enkodierung<br />
<strong>und</strong> Dekodierung von Texten verfügbaren Codes bestimmt. 83<br />
MORLEY vermutet bei Individuen wie sozialen Gruppen spezifische Dekodierungsstrategien in Abhängigkeit<br />
von handlungsleitenden Themen wie Kontexten <strong>und</strong> da<strong>mit</strong> einen ambivalenten Umgang <strong>mit</strong> denselben Texten in<br />
verschiedenen Kontexten, der von unkritischer Annahme bis entschiedener Ablehnung reicht. Die Bandbreite<br />
von Enkodierung umfasst neben dem klassischen Antagonismus von Akzeptanz <strong>und</strong> Zurückweisung auch<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> Verstehen, Relevanz <strong>und</strong> Bedeutung wie Reiz <strong>und</strong> Erlebnis. 84 Da<strong>mit</strong> wird dieser Ansatz<br />
insbesondere den weitreichenden Inkonsequenzen jugendlicher <strong>Alltagsgestaltung</strong> gerecht, die den Akteuren<br />
selbst meist erst gar nicht bewusst sind bzw. in der Kohärenz ihrer Handlungslogik auch gar nicht vorhanden<br />
sind.<br />
Artikulation<br />
Semiotische, also auch die sozialen Codes differieren in ihrer strukturellen Komplexität. Semiotiker beschreiben<br />
dies <strong>mit</strong> dem Begriff Artikulation, während Linguisten das Phänomen unter dem Begriff der doppelten<br />
Gliederung fassen ("duality of patterning"). 85 Nach der semiotischen Forschungstradition gilt eine Nachricht<br />
dann als artikuliert, wenn sie in Elemente zerlegt werden kann, die selbst wieder Bedeutung tragen. 86<br />
In Analogie zum Sprachmodell besitzt jeder artikulierte Code demnach ein (1) Vokabular von Basiselementen,<br />
die in Befolgung (2) syntaktischer Regeln (3) die Gestaltung komplexer <strong>und</strong> umfangreicher Kombinationen<br />
erlauben.<br />
Doppelte Artikulation<br />
Man unterscheidet Codes <strong>mit</strong> doppelter, einfacher <strong>und</strong> fehlender Artikulation.<br />
Die doppelte Artikulation manifestiert sich auf einer superioren Ebene als 1. Artikulation, gebildet aus kleinsten<br />
Bedeutungseinheiten bzw. vollständigen Zeichen im Sinne eines von einem Bezeichnendem Bezeichnetes. In<br />
der sprachlichen Dimension sind dies Morpheme <strong>und</strong> Wörter, in anderen Interaktions- <strong>und</strong><br />
Kommunikationssituationen dagegen alle Textelemente <strong>mit</strong> diesen Eigenschaften. Die Kombination wie die<br />
Unterscheidung dieser bedeutungshaften diskreten Elemente erfolgt auf einer grammatischen Ebene. Die<br />
Grammatik der Bedeutungs- bzw. Subjektkonstitution der <strong>Jugendliche</strong>n sind die Skripts, nach denen sie<br />
Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereigniselemente arrangieren, <strong>und</strong> die sie ihrem Alltag <strong>und</strong> Ihrer Lebenswelt <strong>mit</strong>tels<br />
spezifischer sozialer Codes entnehmen.<br />
Die inferiore Ebene besteht als sog. 2. Artikulation aus kleinsten funktionalen Einheiten ohne Eigenbedeutung,<br />
in der Sprache wären dies etwa die Phoneme, analog dazu in anderen Zeichensystemen Grapheme jeder Art. 87<br />
Die Unterscheidung kleinster Einheiten geschieht auf der phonologischen Ebene. Angesichts der Komplexität<br />
von Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereigniselementen können diese selbst noch nicht als solche kleinste Einheiten gelten,<br />
sondern müssen als übergeordnete Systeme verstanden werden, die zudem auf weiteren Systemen basieren.<br />
Nichtsdestotrotz kann eine weitgehende Ausdifferenzierung dieser Elemente in Untereinheiten auch bei<br />
komplexen sozialen <strong>und</strong> psychischen Phänomenen wie etwa dem Ereignis als zentralem Moment im Alltag<br />
gelingen. 88<br />
83<br />
GRAYSON 1998, 40; zu BOURDIEU vgl. die Darstellungen seiner Theorie bei BE ASLEY-MURRAY 2000, DAUER 2003, WEINHOLD 2001<br />
84<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich lassen sich Enkodierung <strong>und</strong> Dekodierung auch darstellen im klassischen Modell von MORRIS <strong>mit</strong> drei semiotischen Bereichen,<br />
indem man die Syntax als die distinktive Wahrnehmung eines Zeichens unter anderen Zeichen versteht, in der Semantik das Verstehen der in dem<br />
Zeichen intendierten Bedeutung sieht <strong>und</strong> die Pragmatik als Deutung des Zeichens in kontextuellen Bezügen als Zustimmung, Relevanz etc. begreift.<br />
85<br />
FIGGE 1999<br />
86<br />
GUIRAUD 1975, 32<br />
87<br />
ECO 1976, 231-233; HJELMSLEV 1968: "Figurae";<br />
88<br />
Vgl. die Erfassung alltagsästhetischer Handlungsdetails, SCHULZE 1996, 594-608<br />
32