Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus - Literaturbericht <strong>und</strong> wissenschaftlicher Bezugsrahmen<br />
Stewart HALL beschreibt in seinem Essay "Encoding and Decoding in Television Discourse" 72 ein Modell der<br />
Massenkommunikation, das besonders die Bedeutung der aktiven Interpretation von Seiten des Rezipienten<br />
innerhalb der für ihn relevanten, d.h. sozialkontextueller <strong>und</strong> sozialver<strong>mit</strong>telter Codes als sozial-spezifische<br />
Archive symbolischer Objektivationen betont. Enkodierung <strong>und</strong> Dekodierung werden dabei zu signifikanten<br />
kulturellen Tätigkeiten der Sprachhandelnden, so dass die Deutung gerade massenmedial ver<strong>mit</strong>telter Texte<br />
nicht mehr von deren Produzenten determiniert ist ("preferred reading"), sondern durch die Rezipienten im Akt<br />
der Aneignung erstellt wird.<br />
Da<strong>mit</strong> ist dieses Modell besonders zur Untersuchung <strong>und</strong> Beschreibung einer jugendlichen Subkultur wie der<br />
des Fantasy-Rollenspiels geeignet, wenn sie – wie es sich aus dem Zugang zum zu untersuchenden Feld schon<br />
ergab - aus der Perspektive der <strong>Jugendliche</strong>n vorgenommen werden soll. Gleichzeitig fokussiert dieses Modell<br />
die <strong>Jugendliche</strong>n als eigentliche Gestalter ihres Alltags <strong>und</strong> ihrer Lebenswelt.<br />
In seinem Modell bezeichnet HALL die verschiedenen Phasen des En- <strong>und</strong> Dekodierens <strong>mit</strong> dem offenen<br />
Begriff der Momente: Die Phase der Enkodierung ("moment of encoding") erfasst im Vorfeld der<br />
Textproduktion die institutionalisierten Handlungsweisen der Massenmedien wie die konkreten<br />
organisatorischen Bedingungen medialer Text-Produktion. Die Phase der Textualisierung ("moment of the<br />
text") bildet die konkrete symbolische Gestaltung des Textes <strong>und</strong> die Präsentation von Texten als Form <strong>und</strong><br />
Inhalt der veröffentlichten <strong>und</strong> gesendeten Informationen. Die Phase der Dekodierung ("moment of decoding")<br />
schließlich beschreibt die Rezeption, auch die konsumptive Aneignung 73 , beim Empfänger als aktive<br />
Rekonstruktionshandlung auf der Basis relevanter Codes. 74<br />
HALL unterscheidet eine Reihe von <strong>mit</strong>einander verknüpften, aber unterscheidbaren Phasen im<br />
Kommunikationskreislauf ("circuit of communication") wie Produktion, Zirkulation, Distribution, Konsum <strong>und</strong><br />
Reproduktion <strong>und</strong> beschreibt da<strong>mit</strong> implizit die Produktions-, Allokations- <strong>und</strong> Konsumptionslogik einer<br />
Marktwirtschaft 75 , die – wie die Beschreibung des Angebots <strong>und</strong> der Nutzungsformen zeigt – auch die Subkultur<br />
des Fantasy-Rollenspiels entscheidend prägt.<br />
En- wie Dekodierung dürfen dabei aber nicht rein linear oder antithetisch betrachtet <strong>und</strong> auf den simplifizierten<br />
Sende- bzw. Empfangsbegriff eines einfachen Kommunikations- oder Broadcasting-Modells oder auf eine<br />
einfache ökonomische Interdependenz verkürzt werden, sondern sie müssen als Bezeichnung komplexer Phasen<br />
sozialer Interaktion gesehen werden.<br />
Codes als komplexe Archive symbolischer Objektivationen der Massenmedien, <strong>mit</strong> denen die Texte ver<strong>mit</strong>telt<br />
werden, bieten nämlich den Rezipienten Identitätsentwürfe an, die von ihnen übernommen oder verworfen<br />
werden können. Werden allgemein benutzte Codes <strong>und</strong> die in ihnen ver<strong>mit</strong>telten sozialen Positionen von den<br />
Rezipienten nicht geteilt, führt die Dekodierung zwangsläufig zu Abweichungen vom ursprünglich enkodierten<br />
Inhalt, zu einer "anormale[n] Dekodierung". 76 Zu unterscheiden sind offensichtlich auf der Deutungsebene<br />
geschlossenere Texte, die zu einer partikularen, aber vorher bestimmbaren Interpretation führen, von auf der<br />
Deutungsebene offeneren Texten, deren Dekodierung nicht kontrolliert werden kann. 77 Angesichts der trotz aller<br />
Marktforschung unbestimmbaren Heterogenität der Rezipienten neigen Massenmedien zur Produktion<br />
geschlossener Texte für einen wenig differenzierten Kreis von Rezipienten. 78 Es scheint allerdings Rezipienten<br />
wie den <strong>Jugendliche</strong>n der Fantasy-Rollenspiel-Szene zu gelingen, diese Geschlossenheit in besonderen<br />
Nutzungsformen aufzubrechen, die Texte wieder zu öffnen <strong>und</strong> alternative Deutungsstrukturen als wenigstens<br />
teilweise selbst bestimmte Skripts zu etablieren.<br />
HALL nun forciert die Bedeutung der sozialen Positionierung des Rezipienten bei der Deutung von Texten der<br />
Massenmedien. In Anlehnung an PARKINs Modell der Bedeutungssysteme ("meaning systems") 79 unterscheidet<br />
72<br />
HALL 1973<br />
73<br />
FRIETZSCHE 2004, 22: "Produktivität auch nicht-reflexiver, selbstläufiger jugendkultureller Praktiken";<br />
74<br />
CORNER 1983<br />
75<br />
Vgl. BACHMAIR 1996, 81-83<br />
76<br />
ECO 1965<br />
77<br />
ECO 1981<br />
78<br />
Typischer Adressat von Werbung ist z.B. der 14-40 jährige Konsument;<br />
79 PARKIN 1972<br />
30