Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
entwicklungspsychologischen Bedingungen der <strong>Jugendliche</strong> verstärkt einer Innenorientierung folgt <strong>und</strong> den<br />
distanzierten Blick für die Notwendigkeit einer Akkumulation von Bildungskapital nur sehr begrenzt entwickelt.<br />
Der Alltag von <strong>Jugendliche</strong>n kollidiert deshalb nicht <strong>mit</strong> Schule, wie ihr Verhalten im außerunterrichtlichen wie<br />
unterrichtlichen Kontext zeigt. Sie verwenden Elemente von Schule wie die anderer Bereiche ebenfalls zur<br />
Gestaltung ihres Alltags, sie docken <strong>mit</strong> ihren handlungsleitenden Themen <strong>und</strong> Intentionen an der Institution<br />
Schule an <strong>und</strong> instrumentalisieren deren Struktur <strong>und</strong> Funktion.<br />
So stellt Schule im außerunterrichtlichen Bereich einen wesentlichen Teil von Alltagsraum bereit: Dort bzw. auf<br />
dem Weg zur Schule schon trifft man <strong>mit</strong> seine Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> die Peers, seiner Clique, .die Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> weitere<br />
<strong>Jugendliche</strong>, besteht die Möglichkeit der Face-to-face-Kommunikation eigener <strong>und</strong> fremder Anliegen 22 , hat man<br />
Zeit für wesentliche Dinge des Lebens, ist man den Bedingungen einer Leistungsgesellschaft <strong>mit</strong> ihrer primär<br />
ökonomisch orientierten Rationalität weitgehend enthoben.<br />
Während die jüngeren Schüler über ihre Trading Card Games ihre Welt indexikalisch in immer neuen<br />
Variationen eines begrenzten Figurariums abbilden <strong>und</strong> in red<strong>und</strong>anten Routinen kompetitiver Interaktion sich<br />
ihrer Identität vergewissern, wird ab der unteren Mittelstufe das Hören der jeweils bevorzugten Musik <strong>mit</strong>tels<br />
CD-Player <strong>und</strong> MP3-Player zum wesentlichen Handlungstypus. Der Austausch von CDs, das gemeinsame<br />
Hören von Musik im altruistischen Teilen der Earphones, das fachk<strong>und</strong>ige Gespräch über Bands, Titel,<br />
Videoclips <strong>und</strong> die nahe liegenden Crossover 23 zu anderen Medien, Texten <strong>und</strong> Ereignissen der Jugendkulturen<br />
ermöglichen hier – <strong>und</strong> wo sonst als an der Schule böten sich so viele Gelegenheiten, so viel Zeit – dem<br />
<strong>Jugendliche</strong>n, sich seiner selbst in der Interaktion <strong>mit</strong> anderen zu vergewissern. 24 Mittels des Handys können die<br />
räumlichen Grenzen dieser intraschulischen <strong>Alltagsgestaltung</strong> unschwer überw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> abwesende Mitglieder<br />
der Gruppe unproblematisch integriert werden. Die SMS wird zum wichtigsten Kommunikations<strong>mit</strong>tel.<br />
Kommunikationsangebote der Schule wie Internet-Cafés dienen in den seltensten Fällen ihrer schulpädagogisch<br />
angedachten Bestimmung, sie bieten – falls ihre Nutzung nicht eingeschränkt wird - eher Möglichkeiten der<br />
Entspannung bei E-Sport <strong>und</strong> der Interaktion in Chatrooms, Foren <strong>und</strong> per Email.<br />
In den Gesprächen der <strong>Jugendliche</strong>n zeigen sich inhaltlich, sprachlich <strong>und</strong> nicht-sprachlich Versatzstücke ihrer<br />
Medienrezeption, insbesondere der Gesten <strong>und</strong> Habitus, wie sie in Werbung, Soap <strong>und</strong> Videoclip transportiert<br />
werden, aber auch als Resultate der Lektüre von einschlägiger Literatur, von Informationen <strong>und</strong> Meldungen aus<br />
dem R<strong>und</strong>funk, von Postern <strong>und</strong> nicht zuletzt der fortwährenden Kolportage in Peer Group, Szene <strong>und</strong> Milieu. 25<br />
Die Schulpflicht als Teil des normativen Kontextes von Schule etwa erfährt da<strong>mit</strong> in der Aneignung durch die<br />
<strong>Jugendliche</strong>n eine Umdeutung. Sie stellt keinen Zwang mehr dar, sondern ist wesentlicher (<strong>und</strong> akzeptierter)<br />
Bestandteil einer ordnenden Organisation von Alltag, der u.a. ihre Interaktion <strong>mit</strong> anderen als Routinen<br />
strukturiert <strong>und</strong> verstetigt.<br />
Auch der Unterricht als genuines Feld schulischer Hegemonie kann Teil des Arrangements der <strong>Jugendliche</strong>n<br />
werden, <strong>mit</strong> dem sie ihren Alltag gelingend gestalten. In die im Unterrichtsprozess sorgsam evozierte<br />
Interaktion unter Lernenden <strong>und</strong> Lehrenden wird unschwer ein Teil alltagsthematisch bestimmter<br />
Kommunikation eingebettet. An die unterrichtstypische Hierarchisierung <strong>und</strong> Gratifizierung durch Leistung<br />
schließen sich soziometrische Reflexionen der <strong>Jugendliche</strong>n über ihr Ranking in sozialen Formationen <strong>und</strong><br />
daraus folgend Integrations- <strong>und</strong> Distinktionshandlungen un<strong>mit</strong>telbar an. Unterricht bietet auch einen Raum für<br />
den Chill, für egozentriertes, kontemplatives Handeln als Weiterführung alltagsthematischer Reflexionsprozesse<br />
<strong>und</strong> GestaltungsPhantasien. In permanenter Verhandlung wie Subversion gelingt zudem partiell auch eine<br />
Einflussnahme auf die Unterrichtsprozesse selbst <strong>und</strong> ihre Integration in <strong>Alltagsgestaltung</strong>. 26<br />
22 Zur Bedeutung der Peers vgl. Ergebnisse der Studie "Marken <strong>und</strong> Trends - Bravo Faktor Jugend 7", nach der die befragten <strong>Jugendliche</strong>n Fre<strong>und</strong>e <strong>mit</strong><br />
54 % als das Wichtigste in ihrem Leben bezeichnen, abgeschlagen dagegen Schule/ Beruf <strong>mit</strong> 34% <strong>und</strong> Eltern <strong>mit</strong> 34%;<br />
23 VOGELGESANG 2000, 154: "mediale Koppelung";<br />
24 MÜLLER 2004; GEBEL/ WAGNER 2004; BÖHM 2004 ; BÄRNTHALER 1996<br />
25 VOGELGESANG 2003, 65: "Jugendzeit ist Medienzeit <strong>und</strong> Jugendszenen sind vermehrt Medienszenen."<br />
26 FEIST 1999, 58 "[...] das wohlmeinende Einräumen von Möglichkeiten, Musikstücke selbständig auszusuchen <strong>und</strong> vorzustellen, um den<br />
MitschülerInnen über Gefühle, Motivationen un d Assoziationen im Austausch berichten zu können, {schafft nicht} eo ipso einen geschützten, intimen<br />
oder gar herrschaftsfreien Raum."<br />
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