02.01.2013 Aufrufe

Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA

Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA

Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus - Literaturbericht <strong>und</strong> wissenschaftlicher Bezugsrahmen<br />

dieser selbst gestalteten sozialen Wirklichkeit beruht auf einer angemessenen Reduktion <strong>und</strong> Trivialisierung der<br />

Komplexität einer als Bedrohung empf<strong>und</strong>enen faktischen Realität.<br />

Aneignung bzw. Interaktion (produktive Auseinandersetzung) basieren in der mediatisierten Gesellschaft der<br />

Postmoderne weniger auf einer Orientierung an Sachverhalten, Fakten, Ereignissen als vielmehr auf deren<br />

Inszenierung. Die Individuen trivialisieren bzw. operationalisieren eine komplexe Realität durch eine<br />

simplifizierende, letzten Endes eigentlich mythische Restrukturierung. Neben den Apologien eines szientistischnaturwissenschaftlichen<br />

Kausalnexus oder eines ideologischen Finalnexus findet sich weiterhin auch die<br />

Fiktionalisierung des Alltags als Gestaltungsprinzip. Wie die Fantasy-Rollenspiel-Szene zeigt, re-interpretieren<br />

die <strong>Jugendliche</strong>n dabei medienver<strong>mit</strong>telte Interaktionsmuster, so dass Interaktion <strong>und</strong> Interaktionsobjekte<br />

paradigmatisch als Individuelles sich verknüpfen.<br />

Die in diesem gestaltenden Handeln individuell wieder <strong>und</strong> wieder erlebte Fiktionalisierung eigenen Handelns<br />

in sozialen Bezügen verkehrt die Subjekt-Objekt-Relation: "Die Wahrnehmung der Objekte ist dabei vorrangig<br />

über Selbstdarstellung ver<strong>mit</strong>telt, die von der Massenkommunikation bestätigt wird. Zudem unterstützen die<br />

Medien eine intime Sichtweise der Dinge, welche die eigene Person in den Mittelpunkt der Wahrnehmung stellt.<br />

Auf diese Weise entsteht eine Verbindung von un<strong>mit</strong>telbarem Erleben <strong>und</strong> Inszenierungen der Medien." 186<br />

Die Aneignung der von den Medien bereit gestellten symbolischen Objektivationen durch die Individuen<br />

verdrängt dabei die, welche ursprünglich der personalen Kommunikation <strong>und</strong> Interaktion entnommenen werden.<br />

Mediendarstellungen <strong>und</strong> -bezüge dominieren die Gestaltung von Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt. Die Gestaltung erfolgt<br />

in kommunikativen Kontexten mehr <strong>und</strong> mehr als eine virtuelle Interaktion des Menschen <strong>mit</strong> seinem Umfeld,<br />

nicht in den Handlungskontexten konkret-realer Interaktion. 187 Ein Indiz für diese Entwicklung könnte der Boom<br />

digitaler Formen des Fantasy-Rollenspiels <strong>und</strong> anderer Spielgenres in den letzten Jahren sein, welche die<br />

ursprüngliche massive Ablehnung in der Szene inzwischen weitgehend überw<strong>und</strong>en haben. 188<br />

Dazu trägt erheblich auch die formale Geschlossenheit der medial ver<strong>mit</strong>telten <strong>und</strong> initiierten Inszenierungen<br />

bei, die ästhetisch, funktional, pragmatisch überzeugend subjektive "Erklärungen <strong>und</strong> Darstellungsweisen" 189<br />

verdrängen, auch wenn letztere in den Inszenierungen weiterhin erkennbar bleiben.<br />

Die in den Mediendarstellungen ver<strong>mit</strong>telten Skripts orientieren sic weitgehend noch an traditionellen<br />

fiktionalen, d.h. narrativen bzw. dramatischen Strukturen, etwa in antagonistischen <strong>und</strong> komplementären<br />

Charakter- <strong>und</strong> Rollenbeziehungen, in komplexen, aber in der Regel hierarchisch oder rollentypisch<br />

strukturierten Personenkonstellationen, in – oft Genre bedingten - Handlungsroutinen <strong>und</strong> in vielfältigen<br />

Formen der Zeitgestaltung wie Retrospektive, Antizipation, Montage, Retardation <strong>und</strong> Dynamisierung. Sie<br />

referieren dabei auf eine Literalität der Rezipienten, die ihrer intertextuellen Erfahrung entspringt.<br />

Allerdings zeigen die Skripts der Jugendkulturen auch typische Formen einer postmodernen jugendlichen<br />

Semantik, die auf aktiver Aneignung basiert. Moderne Medien erlauben ein 'Sampling' symbolischen Materials<br />

nach vorgegebenen interaktiven Prozeduren zu individuell gestalteten Ensembles <strong>und</strong> Arrangements. 190<br />

Wesentliche Form der Integration von symbolischem Material ist das Zitat. 191 Das Zitieren von medial<br />

ver<strong>mit</strong>telten, vorab optimierten (perfekter) Inszenierungen als alleinige Form <strong>und</strong> Möglichkeit der Gestaltung<br />

von Wirklichkeit reduziert quantitativ erheblich den Anteil der Eigengestaltung in diesem Handeln <strong>und</strong> da<strong>mit</strong><br />

auch die Problematik individueller Kompetenzpotentiale wie etwa in Bereichen der Kreativität<br />

(Fiktionalisierung) oder technischen Handhabe. Qualitativ wird in der Postmoderne das Zitieren selbst zum<br />

Ausweis individuellen Handelns. Werden Zitate zur fast gänzlich alleinigen Sprache der Individuen, wie gerade<br />

bei <strong>Jugendliche</strong>n, wird Gestaltung von Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt zur selbstinitiierten, aber skriptmäßig verorteten<br />

Parataxe (Sampling) medial ver<strong>mit</strong>telter symbolischer Objektivationen <strong>mit</strong> mythischer <strong>und</strong> fiktional-dramatisch<br />

186 BACHMAIR 1993, 55<br />

187 In einer Werbung für den "Nintendo Gamecube" findet diese Introversion Ausdruck in der Darstellung des Spielers als Fötus, APPENDIZES/ Bilder/ Bild 1.5-6<br />

188 Besonders Online-Browser-Games <strong>mit</strong> ihren nach Tausenden zählenden Communities basieren allein auf digitaler Interaktion <strong>und</strong> Kommunikation<br />

<strong>und</strong> entwickeln virtuelle Sozialformen wie Players' Associations oder Clans, dagegen dominiert auf den Multi-User-Dungeons der LAN-Partys noch<br />

die Face-to-face-Kommunikation, s. Kap. 5.4<br />

189 BACHMAIR 1993, 56<br />

190 ROTHER macht dies deutlich am Beispiel der Transformation autoritativer Film- in partizipatorische DVD-Produktionen, ROTHER 2001, 29<br />

191 Differenzierung von Hommage/ Zitat: In der Moderne dient die Hommage der verfremdenden <strong>und</strong> kritischen Überwindung struktureller Wirklichkeit,<br />

in der Postmoderne ist das Zitat konstitutives Element von inszenierter Wirklichkeit;<br />

48

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!