Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
Integration in der Gesellschaft zu verschaffen. 6 Im Zuge dieses Projektes hat die Schule verschiedene<br />
Pädagogiken versucht zu realisieren, etwa kompensatorische <strong>und</strong> emanzipatorische Ansätze, <strong>und</strong> ist immer<br />
wieder auf die Herausforderungen eingegangen oder hat auf solche reagiert, welche gesellschaftliche<br />
Veränderungen <strong>mit</strong> sich bringen. Gleichzeitig veränderte sich das Bild des Schülers <strong>und</strong> Lehrers: Letzterer<br />
versteht sich heute idealtypisch als Begleiter, Berater, dessen Autorität auf seinem Fachwissen <strong>und</strong> seiner<br />
Lebenserfahrung beruht. Der Schüler wird in dieser Perspektive zu einer Persönlichkeit, deren Würde im<br />
pädagogischen Prozess stets neu reflektiert <strong>und</strong> beachtet werden muss, wird allerdings aber auch weiterhin in<br />
gewisser Hinsicht in einem paternalistischen Verständnis von Pädagogik als eigentlich defizitär begriffen. Seine<br />
im alltäglichen Handeln entwickelten Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse werden kaum wahrgenommen bzw. als<br />
Resultate schulischen Erfolgs interpretiert. Das Verhältnis von Schüler zu Schule <strong>und</strong> Lehrer hat sich trotzdem<br />
im Vergleich zu Préverts Darstellung umfassend verändert. Zwar erleben Schüler wohl auch heute noch<br />
Friktionen, Momente gescheiterter Kommunikation <strong>und</strong> von Unverständnis, aber diese Spannungen bilden nicht<br />
mehr den f<strong>und</strong>amentalen Widerspruch zwischen Schüler <strong>und</strong> Schule ab, wie ihn Prévert noch empfindet,<br />
sondern sind alltägliche Konsequenzen menschlicher Interaktion. Mit der Konzentration auf den Schüler hat<br />
sich Schule bislang erfolgreich nicht nur gegenüber der Gesellschaft, sondern auch gegenüber den Schülern<br />
legitimieren können. Nur: während Schule sich red<strong>und</strong>ant als Erfolg ihrer eigenen Reformen feiert, haben sich<br />
ihre Schüler <strong>und</strong> deren Umgang <strong>mit</strong> Schule in einem solchen Maße weiterentwickelt, dass an der pädagogischen<br />
Front, wo diese Veränderungen deutlich werden, ein wachsendes Unbehagen auftritt. 7 So nehmen die Klagen<br />
der Erwachsenen über die Schüler <strong>und</strong> deren Unbeschulbarkeit ebenso zu wie die der <strong>Jugendliche</strong>n über die<br />
Ignoranz von Lehrern <strong>und</strong> Schule. Ein neues Unverständnis zwischen Pädagogen <strong>und</strong> <strong>Jugendliche</strong>n wächst <strong>mit</strong><br />
jeder weiteren Generation von Kids, die an die Schulen kommt. Immer weniger verstehen die Pädagogen diese<br />
<strong>Jugendliche</strong>n, die ihrer autoritativen Identität von Wissen <strong>und</strong> Erfahrung nach kurzer Prüfung <strong>mit</strong> <strong>mit</strong>leidiger<br />
Ignoranz begegnen, während andererseits den Pädagogen jugendliches Alltagshandeln nur noch als ein<br />
hedonistischer Mix aus Konsum, Events <strong>und</strong> Medien erscheint, der jedem Anspruch auf Respekt von vornherein<br />
entgegensteht. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines sich verändernden gesellschaftlichen Struktur – Stichworte wie<br />
Globalisierung, Informations- <strong>und</strong> Wissensgesellschaft, mediatisierte Gesellschaft, individualisierte Gesellschaft<br />
beschreiben einen säkularen Umbruch von ähnlicher Qualität wie der, dem die Schule der Moderne ihre<br />
Existenz verdankt 8 – manifestiert sich jugendliche Widerständigkeit als entwicklungspsychologisches wie<br />
kultursoziologisches Phänomen auch kurz nach der Jahrtausendwende nicht nur erneut 9 , sondern anders, <strong>und</strong><br />
dies besonders auch im Umgang <strong>mit</strong> Schule <strong>und</strong> Handeln in Schule.<br />
Dabei setzen die <strong>Jugendliche</strong>n offensichtlich Techniken <strong>und</strong> Methoden ihrer <strong>Alltagsgestaltung</strong> auch im<br />
schulischen Umfeld erfolgreich fort. Dieses Alltagshandeln lässt sich zunächst beschreiben als kreative<br />
Verwendung symbolischen Materials unterschiedlichster Herkunft in den Kontexten jugendlicher<br />
Identitätsfindung <strong>und</strong> sozialer Wirklichkeitskonstruktio n. Dabei gelingt es den <strong>Jugendliche</strong>n, dieses<br />
Alltagshandeln weitgehend als gelingend <strong>und</strong> beglückend nicht nur zu erleben, sondern auch so zu gestalten.<br />
Obwohl Schule – schon von ihrer Konstruktion her – neben anderen attraktiveren Kontexten nicht unbedingt<br />
besonders förderlich einer selbstbestimmten Gestaltung im Sinne eines gelingenden Alltags zu sein scheint,<br />
bleibt sie aufgr<strong>und</strong> ihrer gesellschaftlichen Gravitierung ein weiterer Kontext unter vielen in einer gelingenden<br />
jugendlichen <strong>Alltagsgestaltung</strong>, in den <strong>Jugendliche</strong> ihre Handlungskompetenzen einbringen.<br />
Ziel dieser Untersuchung ist die in diesem Spannungsfeld entstehende Beziehung zwischen Schule, einem<br />
medialem Konsumangebot <strong>und</strong> dessen Nutzung durch <strong>Jugendliche</strong> – in hier vorliegenden Falle am Beispiel von<br />
Fantasy-Rollenspielern – <strong>und</strong> die sich darin abzeichnenden jugendlichen Gestaltungs- <strong>und</strong><br />
Handlungskompetenzen als bildungsrelevant freizulegen, um Möglichkeiten der Förderung gelingender<br />
jugendlicher <strong>Alltagsgestaltung</strong> in der Schule <strong>und</strong> durch Schule zu entdecken.<br />
<strong>Jugendliche</strong> Selbstsozialisationsprozesse, wie sie sich bei den beobachteten <strong>Jugendliche</strong>n abzeichnen, entheben<br />
Bildungsinstitutionen wie Schule gerade nicht ihrer Verpflichtung <strong>und</strong> Verantwortung, sondern zwingen sie<br />
6<br />
Wesentliches Ziel der jetzt über 40jährigen Bildungsreform, vgl. PICHTs kritischer Begriff der "Bildungskatastrophe", PICHT 1964; vgl. angesichts<br />
evidenter Benachteiligung spezifischer Gruppen von <strong>Jugendliche</strong>n auch DAHRENDORFs Postulat "Bildung ist Bürgerrecht", DAHRENDORFF<br />
1965<br />
7<br />
In der sozial-phänomenologischen Perspektive: im alltäglichen Unterrichtshandeln bzw. -verhalten ebenso wie im jugendlichen wie pädagogischen<br />
Diskurs;<br />
8<br />
HELDMANN 1990, 183-211<br />
9<br />
Vgl. dazu: MITTERAUER 1986, FARIN 2002<br />
2