Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
Der aktuell zu diskutierende Bildungsauftrag der Schule greift weiter als die Vorstellungen von<br />
B<strong>und</strong>esbildungsministerin Bulmahn: "Lehrer müssen mehr über Medien lernen; Schüler müssen <strong>mit</strong> Medien<br />
lernen!" 41 Da<strong>mit</strong> korrespondieren aktuelle Tendenzen, Bildung als situativ <strong>und</strong> intentional verortete<br />
Kompetenzen oder als universale Kategorien der Qualifizierung (Standards) zu definieren. Während einerseits<br />
Bildung als Konglomerat verschiedener Kompetenzen so für jeden erwerbbar <strong>und</strong> operationalisierbar wird <strong>und</strong><br />
sich von heteronomen biologischen wie sozialen Faktoren zu lösen scheint, wird sie in dieser Perspektive um<br />
ihre lebensweltliche Dimension reduziert auf ein Frage des adäquaten Instructional Design.<br />
14<br />
"Aus lernpsychologischen <strong>und</strong> kommunikationstheoretischen Gründen reicht die mediale Präsentation von<br />
Information für Lernzwecke nicht aus. Sie muss zwingend durch lernstrategische Hilfen <strong>und</strong> Übungen<br />
ergänzt werden. Lernstrategische Fähigkeiten <strong>und</strong> Erkenntnisse sind Voraussetzung für wissenschaftliches<br />
Denken." 42<br />
Schulische Bildung sollte dagegen zu einer gelingenden Gestaltung jugendlichen Alltags beitragen, indem sie<br />
sich in eine Auseinandersetzung <strong>mit</strong> jugendlichen Environments begibt <strong>und</strong> deren reflexive Gestaltung fördert.<br />
1.6 Erste Sichtung <strong>und</strong> theoretische Einordnung<br />
Es gibt augenscheinlich für einen spezifischen Kreis von <strong>Jugendliche</strong>n eine dominante Korrelation des<br />
Phantastischen zu ihrem Alltag <strong>und</strong> ihrer Lebenswelt, wobei das Phantastische die alltagspragmatische<br />
Wirklichkeit in Ausdruck wie Erfahrung transzendiert. Ein Teil von <strong>Jugendliche</strong>n verwendet zur Gestaltung von<br />
Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt wie zur Bedeutungs- <strong>und</strong> Identitätskonstitution symbolische Objektivationen, die allein<br />
oder fast ausschließlich in Affinität <strong>und</strong> Interdependenz zum Phantastischen (Fantasy; Science-Fiction) stehen.<br />
Die Fiktionalität der genannten Genre steht in enger Verbindung zu spezifischen Mythen der Moderne bzw.<br />
Postmoderne <strong>und</strong> da<strong>mit</strong> zum gesellschaftlichen Diskurs von transzendenter Bestimmung des Menschen.<br />
Gr<strong>und</strong>legende Bedeutung für Gestaltung <strong>und</strong> Konstitution haben dabei die Medien <strong>und</strong> deren besondere<br />
Verbindung <strong>mit</strong> Text <strong>und</strong> Ereignissen: Ohne Medien ist eine Gestaltung von Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt durch die<br />
<strong>Jugendliche</strong>n wie deren Bedeutungs- <strong>und</strong> Identitätskonstitution heute nicht mehr vorstellbar. Erst Medien<br />
ermöglichen dem Individuum bei einem sich trotz zunehmender Diversifikation mehr <strong>und</strong> mehr<br />
standardisierenden Angebot - als Folge einer kapitalistischen Produktions-, Allokations- <strong>und</strong><br />
Konsumptionslogik - eine fast unbegrenzte Gestaltungsfreiheit im Arrangement der in den medialen<br />
Symbolarchiven bereitgestellten Elemente. Neue Formen der Medien als Folge der elektronischen <strong>und</strong> digitalen<br />
Revolution fördern diese Verfügungspotentiale in einem noch unbekannten Ausmaß. Diese<br />
Autonomieerfahrung ist wesentliches Moment aktueller <strong>Identitätsbildung</strong>. Zugleich wird sie zum Agens als<br />
intrinsische Motivation des Individuums. Die Gestaltung der Lebenswelt erfährt das Individuum als Ereignis.<br />
Das gleichartige Arrangement verschiedener Medien <strong>und</strong> Texte in sozialen Gruppen verdichtet sich zu Stilen,<br />
die der Distinktion wie Integration des Individuums dienen.<br />
Pädagogik sollte die Gestaltungsfreiheit des Individuums <strong>und</strong> besonders des <strong>Jugendliche</strong>n als Anlass, Gr<strong>und</strong> wie<br />
Ziel ihrer Bemühungen mehr denn je anerkennen, will sie weiter einen Sinn haben: In einer Welt unbegrenzter<br />
Gestaltungsfreiheit scheitert das traditionelle Verständnis von Pädagogik als Anleitung <strong>und</strong> Führung an der<br />
Entropie des Informationsraumes, in dem man anleiten <strong>und</strong> führen will. Selbst ein Verständnis von Pädagogik<br />
als Begleitung setzt stillschweigend voraus, dass ein Du eine solche benötigt <strong>und</strong> begehrt. Der pädagogische<br />
Auftrag der Schule scheint nur dann noch möglich, wenn sicher ist, dass diese Begleitung die prinzipielle<br />
Freiheit des <strong>Jugendliche</strong>n anerkennt <strong>und</strong> Führung subsidiär zur Selbstkontrolle anbietet. In diesem Sinne kann<br />
Autorität von beiden Seiten kommuniziert werden. Die Praxis von Pädagogik in Gesellschaft <strong>und</strong> Schule macht<br />
es fast unmöglich, dieses partnerschaftliche Gleichgewicht über eine Statusveränderung des Pädagogen selber<br />
zu erreichen. Ansatzpunkt muss deshalb eine Veränderung des Objektstatus des <strong>Jugendliche</strong>n in Schule <strong>und</strong><br />
Erziehung sein. 43<br />
41<br />
BULMAHN in der Talkshow bei Sabine Christiansen am 03.09.2000, zit. n. DICHANZ 2001, 1<br />
42<br />
DICHANZ 2001, 9<br />
43<br />
In Konsequenz fordert Richard MÜNCHMEIER eine Veränderung der Jugendsoziologie zu einer "Lebenslagenforschung des Jugendalters”,<br />
MÜNCHMEIER 1998, 13