Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
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1 Die <strong>Alltagsgestaltung</strong> von <strong>Jugendliche</strong>n <strong>und</strong> deren Integration in das schulische Umfeld<br />
Schulische Medienpädagogik muss daher auf eine Förderung des Individuationsprozesses gerade beim Lernen<br />
<strong>mit</strong> Medien abzielen, denn diese haben in den hierarchischen Strukturen von Schule eine wesentliche<br />
emanzipatorische Funktion, sie muss die intrinsische Motivierung als Voraussetzung für ein individualisiertes<br />
Lernen fördern, sie muss sich weiter jugendlichen Formen der Ästhetisierung von Wirklichkeit öffnen <strong>und</strong> den<br />
sozialen Interaktionskompetenzen der <strong>Jugendliche</strong>n vertrauen. Und schließlich muss sie muss die Ver<strong>mit</strong>tlung<br />
von Basis- <strong>und</strong> Mikrokompetenzen den einzelnen zu individuellen wie reflexiven Lernen befähigen. Im<br />
Eingehen auf die Bedürfnisse wie die Kompetenzen der <strong>Jugendliche</strong>n kann Schule da<strong>mit</strong> ein wesentlichen<br />
Raum der Entwicklung jugendlicher Selbstbestimmung bleiben <strong>und</strong> zu einer kritischen Selbstbildung beitragen.<br />
Die Beschreibung der alltagspragmatischen Kulturtechniken von <strong>Jugendliche</strong>n basiert auf folgenden<br />
theoretischen Überlegungen: die fiktional orientierte, kollektive Ästhetisierung von Alltagswirklichkeit durch<br />
die <strong>Jugendliche</strong>n zeigt Ana logien zu Formen des kollektiven Erzählens (Collective Story Telling) <strong>mit</strong>tels<br />
analoger <strong>und</strong> digitaler Medien, wie sie u.a. von Janet H. MURRAY 45 beschrieben werden. Die perpetuierende<br />
Strukturierung der da<strong>mit</strong> verb<strong>und</strong>enen kognitiven, affektiven <strong>und</strong> pragmatischen Interaktionen als Flow,<br />
verweist auf Ergebnisse der Motivationspsychologie von Mihalyi CSIKSZENTMIHALYI 46 . Beide<br />
Forschungsansätze berücksichtigen in besonderer Weise die kompetente Gestaltung <strong>und</strong> Organisation sozialer<br />
Interaktion <strong>mit</strong> spezifischen Elementen <strong>und</strong> Mitteln wie etwa denen des Rollenspiels.<br />
Resultat dieser Trias alltagspragmatischer Kulturtechniken sind weitgehend selbstbestimmte<br />
Gestaltungsprozesse von Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt im Sinne einer Bedeutungs- <strong>und</strong> Identitätskonstitution, <strong>mit</strong> der<br />
sich die <strong>Jugendliche</strong>n sich <strong>und</strong> anderen ihre Welt erschließen. Die Beschreibung dieser Prozesse folgt den<br />
semiotischen Ansätzen der Cultural Studies wie denen der Bedeutungs- <strong>und</strong> Subjektkonstitutionsforschung, der<br />
Sozialisationsforschung <strong>und</strong> Soziologie (Kap. 2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus – Literaturbericht <strong>und</strong><br />
wissenschaftlicher Bezugsrahmen).<br />
Die Erschließung dieser Phänomene erfolgte <strong>mit</strong> Methoden der qualitativen Sozialforschung: teilnehmende<br />
Beobachtung, qualitatives Interview <strong>und</strong> qualitative Material- bzw. Textauswertung. Im Laufe der Zeit entstand<br />
dabei ein dem sozialen Phänomen adäquates Sample an erhobenen <strong>und</strong> gesicherten Verhaltensweisen der<br />
beobachteten <strong>Jugendliche</strong>n (Kap. 3 Darstellung der Methode: teilnehmende Beobachtung, qualitatives Interview<br />
<strong>und</strong> qualitative Materialanalyse).<br />
Die <strong>Jugendliche</strong>n eignen sich für diese Gestaltungsprozesse einerseits Manifestationen <strong>und</strong> Verdichtungen<br />
bisheriger Bedeutungskonstitution an. Sie integrieren diese Materialen in die Präsentationen, die sich selbst <strong>und</strong><br />
anderen anbieten. Dabei erfahren diese Materialien eine Neuinterpretation <strong>und</strong> Re-Individualisierung durch<br />
direkte Modifikation oder durch innovative Referentialität in immer anderen Zusammenstellungen (Samples;<br />
Arrangements). Ein wesentliches Archiv derartiger Materialien bildet bei den beobachteten <strong>Jugendliche</strong>n ein<br />
Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereignisangebot, das sich thematisch wie pragmatisch um den Kern der Fantasy Role<br />
Playing Games (FRPG) herausgebildet hat (Kap. 4 Fantasy-Rollenspiele - ein Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereignis-<br />
Arrangements als Angebot).<br />
Die Präsentation von Identität in Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereignisarrangements tendiert andererseits als Phänomen<br />
gesellschaftlicher Interaktion zur Re-Objektivierung. Die individuelle Interaktion <strong>mit</strong> Materialien, Objekten,<br />
Texten wird über soziale Entitäten zunehmender Komplexität schließlich zu massenhaften sozialen Prozessen,<br />
individuelles Handeln geriert zu komplexen fixierten Routinen, die sich als Skripts einer Alltagsästhetisierung 47<br />
beschreiben lassen. Da<strong>mit</strong> entsteht in Alltag <strong>und</strong> Lebenswelt der <strong>Jugendliche</strong>n ein signifikantes Segment FRPG<br />
als jugendliche Subkultur, die sich in verschiedenen Szenen etabliert.<br />
Das ästhetische Handeln der <strong>Jugendliche</strong>n basiert auf handlungsorientierenden Themen, die sich in einer<br />
F<strong>und</strong>amentalen Semantik der Innenorientierung artikulieren. Ihre konkrete Ausprägung findet diese Semantik in<br />
dem Wunsch nach Rekonstitution von Gesamtheit in einer sich mehr <strong>und</strong> mehr fragmentarisierenden<br />
Wirklichkeit, nach pragmatischer Affirmation von Selbstbestimmung- <strong>und</strong> Autonomieerfahrungen, nach<br />
Erleben von Reintegration <strong>und</strong> Solidarität für den sich dissoziiert erfahrenden <strong>Jugendliche</strong>n.<br />
45 FINE 2002 (1983), 1985; MURRAY 1997; AARSETH 1997<br />
46 CSIKSZENTMIHALY 1985, 1991, 1997; MASLOW 1984<br />
47 HENGST 1997, 157-169; BACHMAIR 1996, 163-203<br />
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