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Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA

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2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus - Literaturbericht <strong>und</strong> wissenschaftlicher Bezugsrahmen<br />

Codes variieren nicht nur sozial <strong>und</strong> kulturell, sie sind auch historischem Wandel unterworfen. FOUCAULT<br />

fasst diese Varianzen in seinem Modell des Diskurses <strong>und</strong> der diskursiven Praxis als übergreifende dominante<br />

Epistemologie. Die spezifischen Diskurse gesellschaftlicher Überbauphänomene sind Systeme repräsentativer<br />

Codes, <strong>mit</strong> denen bestimmte Bereiche von Wirklichkeit, die referentielle Relevanz besitzen, in einer<br />

ontologischen Domäne, geschaffen <strong>und</strong> gestaltet werden. In bestimmten historischen <strong>und</strong> sozialen Kontexten<br />

erlangt eine der diskursiven Formationen gesellschaftliche Deutungshoheit, die in der Regel auf<br />

Machtverhältnissen unter sozialen Deutungsgemeinschaften beruht. Die Nichtverwendung des dominanten<br />

Codes kennzeichnet den Fremden <strong>und</strong> den Außenseiter, die infolge der Distanz andererseits den dominanten<br />

Code sehr genau erkennen. Jugendkulturen wie auch die Fantasy-Rollenspiel-Szene können dem dominanten<br />

Code folgen oder ihn ablehnen, entziehen können sie sich ihm in einer mediatisierten Gesellschaft kaum. Das<br />

Decoding muss also Formen finden, in der vorgegebenen heteronomen Dominanz die Milieu-, Szenen- oder<br />

Gruppenspezifik wie auch die individuelle Identität artikulieren <strong>und</strong> gestalten zu können.<br />

Identität entsteht in der Selbstwahrnehmung als Konstanz. Da diese Selbstwahrnehmung in der Gesellschaft<br />

durch eine Reihe von Codes determiniert wird, ist Identität letztlich eine soziale Konstruktion:<br />

28<br />

"Roles, conventions, attitudes, language – to varying degrees these are internalized in order to be repeated,<br />

and through the constancies of repetition a consistent locus gradually emerges: the self. Although never<br />

fully determined by these internalizations, the self would be entirely <strong>und</strong>etermined without them." 62<br />

Dabei wissen die Individuen zunächst nicht um die gesellschaftliche Determinierung dessen, was sie als<br />

Identität wahrnehmen, weil die entsprechenden Codes implizit wirken <strong>und</strong> ihre Dominanz als Mythos <strong>mit</strong> ihrer<br />

weiten Verbreitung, als Tradition, als Gesetzmäßigkeit etc. legitimieren bzw. camouflieren.<br />

"Certain codes may [...] be so widely distributed in a specific language community or culture, and be<br />

learned at so early an age, that they appear not to be constructed – the effect of an articulation between sign<br />

and referent – but to be 'naturally' given." 63<br />

Der Erwerb dieser Codes impliziert auch den von Werten, Urteilen, Sehweisen, ohne dass dabei normalerweise<br />

ihre Funktion bei der gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit den Individuen deutlich wird. Erst die<br />

Konfrontation etwa <strong>mit</strong> Texten, die nicht den dominanten Codes folgen, verweist einerseits zurück auf die<br />

Bedingungen von Selbstwahrnehmung, andererseits erfordert es zu seinem Verständnis die Ausbildung<br />

entsprechender Kompetenzen. 64<br />

Codes sind – wie die eigene Erfahrung die Individuen lehrt – keineswegs statisch, sondern dynamische <strong>und</strong><br />

evolutionäre Systeme. Dabei erlangen Systeme impliziter Deutung (Hermeneutik) in einem Prozess der<br />

Etablierung von Konventionen den Status von Codes.<br />

Die Bedeutung von Codes liegt in der Entlastung von Autor bzw. Produzent <strong>und</strong> Rezipient durch die Vorgabe<br />

einer Muster-Interpretation ("preferred reading" 65 ), gerade weil Texte zu einer erheblichen Deutungsvarianz<br />

neigen. Eine besondere Rolle spielen dabei soziale Codes, welche die Deutungsvarianz <strong>und</strong> Individualität von<br />

Deutung drastisch verringern. Aber auch textuelle Codes tragen zu einer Vordeutung bei, etwa durch die Zu-<br />

<strong>und</strong> Einordnung eines Textes zu einem Genre anhand spezifischer Kriterien.<br />

Kriterien sind dabei u.a. die Unterscheidung nach fiktional bzw. non-fiktional, prosaisch <strong>und</strong> poetisch,<br />

literarisch <strong>und</strong> trivial etc., allerdings kann die Diversifikation von Texten schwerlich von derartigen<br />

Taxonomien abgebildet werden.<br />

Andererseits ist offensichtlich, dass soziale Gruppen Texte über die Zuordnung zu Genre interpretieren, die als<br />

Konsens anhand ihrer Relevanz festgelegt wurden, etwa die Zuordnung von Filmen zu Genre in TV-Magazinen<br />

oder die Systematik in Videotheken, dass also ein Genre-Code existiert jenseits aller Versuche, diesen anhand<br />

62 NICHOLS 1981, 30<br />

63 HALL 1980, 132<br />

64 Hierin liegt ein entscheidender Ansatz für die pädagogische Reflexion von Jugendkulturen, s. KAP 6 Der Beitrag von Schule zu einer gelingenden<br />

Gestaltung von Lebenswelt; FRIZSCHE 2004, 22<br />

65 HALL 1980, 134

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