Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
Jugendliche Alltagsgestaltung und Identitätsbildung mit ... - KOBRA
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
2 Perspektive <strong>und</strong> Fokus - Literaturbericht <strong>und</strong> wissenschaftlicher Bezugsrahmen<br />
Bei dieser Rahmung kommt den Genre ein besondere Bedeutung zu. Sie stellen genrespezifisch formale<br />
Rahmen bzw. Formate zur Verfügung, welche Produktion wie Verstehen einzelner Texte im Sinne einer<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen Orientierung erleichtern, sie aber auch weitgehend dominieren. Die Zuordnung eines Textes zu<br />
einem Genre <strong>mit</strong> Hilfe von textuellen <strong>und</strong> sozialen Codes verschafft dem Produzenten wie Rezipienten einen<br />
gr<strong>und</strong>sätzlichen kontextuellen Deutungsrahmen. In der semiotischen Perspektive stellen da<strong>mit</strong> Genre<br />
Zeichensysteme bzw. Codes dar, welche das Verhältnis von Texten zu Kontexten organisieren. <strong>Jugendliche</strong><br />
nutzen aufgr<strong>und</strong> ihrer umfassenden Medienerfahrung die Formate gerade der Genre <strong>mit</strong> einer hoher Affinität zu<br />
Elektronik <strong>und</strong> Digitalisierung recht kompetent für ihr Aneignungs- <strong>und</strong> Entäußerungshandeln.<br />
Von ebenso großer Bedeutung für intertextuelle Interdependenzen sind aber auch gerade Prozesse, bei denen die<br />
Genre-Grenzen überschritten werden bzw. Genre in sich verstetigenden Crossover neu definiert werden, wie<br />
etwa das Edutainment, das Docudrama, die Faction, das Infomercial, das Advertorial <strong>und</strong> die Reality Soap in<br />
den audiovisuellen Medien. Hierzu zählen aber neben diesen Phänomenen eines kommerziellen Mainstream<br />
auch die individuellen Experimente etwa der <strong>Jugendliche</strong>n <strong>mit</strong> ihren Genre-Mix in den Medien-/ Text- <strong>und</strong><br />
Ereignisarrangements der Peer Groups, der Szenen <strong>und</strong> Milieus.<br />
Die Interdependenzen unter Texten werden allerdings fast nie konkret ausgewiesen, können aber in<br />
unterschiedlicher Intensität in Text <strong>und</strong> Kontext angedeutet werden, z.B. als Remake, als Zitat, als Extended<br />
Version etc. Derartige Andeutungen sind eine partiell sich selbst wahrnehmende Form von Intertextualität <strong>mit</strong><br />
distinktiver wie motivationaler Wirkung, da sie einen besonders geschulten Rezipienten verlangt, der <strong>mit</strong> dem<br />
Wiedererkennensprozess <strong>und</strong> –erleben belohnt wird. 107<br />
36<br />
"Instant identification of the appropriate interpretative code serves to identify the interpreter […] as a<br />
member of a exclusive club, with each act of interpretation serving to renew one's membership." 108<br />
Die mehr oder minder konkrete Andeutung wird da<strong>mit</strong> zu Technik der Verfremdung, welche einerseits<br />
Intertextualität thematisiert <strong>und</strong> zugleich die domin ierende fiktionale Tradition, die darauf abzielt, den<br />
Rezipienten in seinem Glauben an die Realität des Narrativ-Fiktionalen zu bestärken, problematisiert. Die Suche<br />
nach den Zitaten ist aufgr<strong>und</strong> der Medienerfahrung vieler <strong>Jugendliche</strong>r ein beliebter Wettbewerb unter den<br />
Experten, die in der Community auch noch die abgelegensten Analogien finden <strong>und</strong> diskutieren. Weniger<br />
bewusst <strong>und</strong> sensibel für die Intertextualität der verwendeten Elemente erfolgt die Verwendung des Zitats im<br />
eigenen Gestaltungshandeln. Eine in dieser Richtung kritische Reflexion kann als identitätsbedrohend<br />
empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> abgelehnt werden, da sie die Selbststilisierung jugendlicher Gestaltung im Sinne einer<br />
auktorialen Produktion als Fiktion zu entlarven scheint.<br />
Weitere Formen der jugendkulturellen Crossover sind Verknüpfungen auf der thematisch-inhaltlichen Ebene,<br />
z.B. die <strong>mit</strong>einander korrespondierenden Bereiche des HipHop (Rapping, Breakdance, Graffiti <strong>und</strong> DJing) 109<br />
oder Skateboarding als eine zentrales Thema der Street-Sport-Szene in Film, Dokumentation, Nachrichten, PC-<br />
Spiel etc. 110<br />
Gr<strong>und</strong>sätzlich problematisiert das Konzept der Intertextualität traditionelle Überlegungen zu Textgrenzen <strong>und</strong><br />
eine Differenzierung von Texten nach Text <strong>und</strong> Kontext, nach textinterner <strong>und</strong> – externer Deutung.<br />
Intratextualität<br />
Das Modell der Intertextualität muss auch auf den einzelnen Text selbst angewendet werden. Als Intratextualität<br />
bezeichnet man die Interdependenzen der einzelnen Textelemente zueinander, die darüber hinaus aber weiterhin<br />
auch in intertextuellen Relationen stehen. Gerade die Medien-, Text- <strong>und</strong> Ereignis-Arrangements der<br />
<strong>Jugendliche</strong>n stellen da<strong>mit</strong> komplexe Systeme gegenseitiger Kontextualisierung dar.<br />
Am Beispiel der Interdependenz von Bildelementen zu Textelementen kann man das Phänomen der<br />
Intratextualität beschreiben. Nach BARTHES können linguistische Elemente die bevorzugte Lesart <strong>und</strong><br />
107 CSIKSZENTMIHALYI 1997, 116-157<br />
108 CHANDLER 2001, 6<br />
109 BÄRNTHALER 1998; MÜLLER 2004<br />
110 SCHWIER 1997