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Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...

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V. KURZFASSUNG<br />

Die meisten Leute dürften beim Begriff "<strong>Genitalverstümmelung</strong>" an die traditionelle, v.a. in<br />

Afrika verbreitete, "weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong>" (Female Genital Mutilation; abgekürzt:<br />

FGM) denken. Letztere beruht mitunter auf einem diskriminierenden Rollenverständnis: Frauen<br />

sollen sich ohne bzw. mit eingeschränktem sexuellen Verlangen voll <strong>und</strong> ganz ihrer Bestimmung<br />

als Frau <strong>und</strong> Mutter widmen. Nur unter dieser Voraussetzung werden sie in die (soziale?)<br />

Gemeinschaft integriert 1 . Der allgemeinen Assoziation folgend befasst sich diese Arbeit zunächst<br />

mit <strong>der</strong> Frage, ob bzw. wie weit die urteilsfähige Frau, die über den Eingriff zureichend<br />

aufgeklärt ist, in die brutale, nicht selten lebensgefährliche Praxis <strong>der</strong> "traditionellen" FGM einwilligen<br />

kann. Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> Migrationsströme (in die Schweiz) <strong>und</strong> weil in gewissen Kulturen<br />

<strong>Genitalverstümmelung</strong>en erst im Erwachsenenalter vorgenommen werden, ist die aufgeworfene<br />

Fragestellung durchaus von praktischer Relevanz.<br />

Die WHO definiert FGM als jede teilweise o<strong>der</strong> ganze Entfernung <strong>der</strong> äusseren weiblichen Genitalien<br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong>en sonstige Verletzung aus nicht-medizinischen Gründen. Die Definition <strong>der</strong><br />

WHO bedeutet ein eigentliches "moralisches Dilemma": Auf Gr<strong>und</strong> ihrer Breite fallen nämlich<br />

auch die gängigen Labioplastiken, also Operationen am weiblichen Genitale, die aus ästhetischen<br />

o<strong>der</strong> lustför<strong>der</strong>nden Motiven vorgenommen werden, sowie (bestimmte) Piercings <strong>und</strong><br />

Tattoos im Genitalbereich darunter. Dieser Aspekt wird bei den Fragen <strong>der</strong> Strafbarkeit <strong>der</strong> <strong>Genitalverstümmelung</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung mitberücksichtigt.<br />

Im Rahmen ihrer Definition zur FGM unterscheidet die WHO die Typen I bis IV. Diese weichen<br />

im Einzelfall hinsichtlich ihrer Eingriffsintensität <strong>und</strong> je nach Eingriffsbedingungen sehr<br />

stark voneinan<strong>der</strong> ab. Entsprechend ist es nach geltendem Recht nicht möglich, FGM unter einen<br />

einheitlichen Straftatbestand zu subsumieren, son<strong>der</strong>n diese erfüllt je nachdem den Tatbestand<br />

<strong>der</strong> einfachen o<strong>der</strong> schweren Körperverletzung nach Art. 123 bzw. 122 StGB. Für die<br />

Subsumtion sind nebst den ges<strong>und</strong>heitlichen Folgen, die gr<strong>und</strong>sätzlich mit jedem jeweiligen<br />

Typus verb<strong>und</strong>en sind, auch die Bedingungen, unter welchen FGM vorgenommen wird, entscheidend.<br />

Was den "unprofessionellen" Eingriff betrifft, <strong>der</strong> im nicht medikalisierten Rahmen<br />

stattfindet, ist nach den Ergebnissen dieser Arbeit, zumindest bei den Typen I bis III, stets <strong>der</strong><br />

Tatbestand einer (mindestens versuchten) schweren Körperverletzung erfüllt: Allenfalls ist bereits<br />

die Klitoris i.S.v. Art. 122 al. 2 StGB verstümmelt o<strong>der</strong> unbrauchbar gemacht. Ist dies nicht<br />

<strong>der</strong> Fall, dürfte i.d.R. die Generalklausel von Art. 122 al. 3 StGB einschlägig sein. Zu berücksichtigen<br />

sind bei letzterer namentlich die Schmerzen des Eingriffs <strong>und</strong> die damit einhergehende<br />

Traumatisierung <strong>der</strong> Frau, schwere bis hin zu lebensgefährliche Komplikationen (o<strong>der</strong> zumindest<br />

die Gefahr hierfür) <strong>und</strong> nicht zuletzt die Tatsache, dass das Genitale <strong>der</strong> Frau verstümmelt<br />

ist <strong>und</strong> ihre sexuelle Empfindungsfähigkeit eingeschränkt sein dürfte.<br />

Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> uneinheitlichen rechtlichen Qualifikation von FGM nach geltendem Recht ist<br />

auch bez. <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> rechtswirksamen <strong>Einwil</strong>ligung keine allgemeingültige Antwort möglich.<br />

Ist im Einzelfall eine schwere Körperverletzung zu bejahen, kann die Frau nur dann darin einwilligen,<br />

wenn ihre Verletzung einem sittlichen bzw. ethisch anerkannten Zweck dient <strong>und</strong> zum<br />

Eingriff in einem angemessenen Verhältnis steht. Dies ist bei <strong>der</strong> "traditionellen" FGM nicht <strong>der</strong><br />

Fall: Das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Frau vermag ebenso wenig wie ihre damit verb<strong>und</strong>ene<br />

soziale Integration die ges<strong>und</strong>heitlichen Nachteile eines solch absolut sinnlosen Eingriffs aufzuwiegen.<br />

Erfüllt eine FGM dagegen "nur" den Tatbestand einer einfachen Körperverletzung, ist<br />

eine <strong>Einwil</strong>ligung unabhängig vom mit dem Eingriff verfolgten Zweck <strong>–</strong> also auch aus traditio-<br />

1 P. SCHNÜLL, S. 40.<br />

xii

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