Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Seite 20<br />
Schamlippen unmittelbar an die Klitoris angrenzen. Wird die Klitoris tatsächlich verletzt, ist<br />
Art. 122 al. 2 StGB (zumindest in Form von Eventualvorsatz) zu prüfen. Unabhängig davon<br />
dürfte i.d.R. die Generalklausel nach Art. 122 al. 3 StGB erfüllt sein <strong>und</strong> zwar auch dann, wenn<br />
die kleinen Schamlippen nur teilweise abgeschnitten werden. Zu bedenken ist wie<strong>der</strong>um, dass<br />
<strong>der</strong> Eingriff gewöhnlich ohne (wirksame) Narkose von statten geht, sodass er zum Trauma wird.<br />
Weiter zu berücksichtigen sind das unhaltbare Vorgehen verb<strong>und</strong>en mit den ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Komplikationen <strong>und</strong> schliesslich das verstümmelte Genitale. Im Falle einer Lebensgefahr bleibt<br />
schliesslich Art. 122 al. 1 StGB zu prüfen.<br />
4.4.3. <strong>Einwil</strong>ligung?<br />
Da es sich bei <strong>der</strong> Schamlippen-Entfernung o<strong>der</strong> -Reduktion, welche operativ einwandfrei<br />
durchgeführt wird, um eine einfache Körperverletzung handelt, kann jede urteilsfähige Frau <strong>–</strong><br />
aus welchen Motiven auch immer <strong>–</strong> rechtswirksam in den Eingriff einwilligen 133 .<br />
An<strong>der</strong>es hat demgegenüber für die Entfernung <strong>der</strong> Schamlippen im unprofessionellen Umfeld,<br />
ohne Narkose, zu gelten. Da von einer schweren Körperverletzung auszugehen ist, hat eine Güterabwägung<br />
zu erfolgen. "Positive" Faktoren sind "einzig" im Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Frau<br />
<strong>und</strong> ihrer sozialen Integration 134 zu erblicken. Von einem sexuellen Lustgewinn (<strong>der</strong> wohlgemerkt<br />
nicht erzielt, son<strong>der</strong>n gerade verhin<strong>der</strong>t werden soll), kann keine Rede sein. Somit bleiben<br />
<strong>der</strong> Frau am Schluss des Eingriffs <strong>–</strong> sofern sie diesen überhaupt überlebt <strong>–</strong> ein verstümmeltes<br />
Genitale, mit hoher Wahrscheinlichkeit eine gestörte sexuelle Empfindung sowie Langzeitfolgen<br />
zufolge des unhaltbaren Vorgehens 135 <strong>und</strong> eine traumatisierende Erinnerung. Die Güterabwägung<br />
fällt somit klarerweise gegen die Möglichkeit einer <strong>Einwil</strong>ligung aus.<br />
4.4.4. Rechtslage nach Art. 124 E-StGB<br />
Sowohl <strong>der</strong> professionelle Eingriff (Tatbestandsvariante: "in an<strong>der</strong>er Weise schädigt" 136 ) als<br />
auch <strong>der</strong> unprofessionelle Eingriff werden vom vorgeschlagenen Art. 124 E-StGB erfasst.<br />
Zwar würden beide Konstellationen einer schweren Körperverletzung entsprechen. Auf Gr<strong>und</strong><br />
<strong>der</strong> positiv ausfallenden Güterabwägung wäre aber zumindest die <strong>Einwil</strong>ligung in professionelle<br />
Operationen aus ästhetischen <strong>und</strong> lustför<strong>der</strong>nden Motiven rechtswirksam 137 . Dasselbe muss<br />
m.E. auch für traditionelle FGM-Motive gelten. Das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Frau (sofern<br />
dieses denn ausgemacht werden kann) <strong>und</strong> die nicht zu rechtfertigende Doppelmoral gebieten<br />
m.E. dieses Resultat. Auch wenn sich die Afrikanerin <strong>der</strong> FGM aus an<strong>der</strong>en Intentionen unterzieht,<br />
lässt sich das leicht positiv gefärbte Argument <strong>der</strong> allfällig luststeigernden Wirkung des<br />
Eingriffs nicht unter den Teppich kehren. Möglicherweise entspricht ihr Genitale nach dem Eingriff<br />
auch eher dem gängigen Schönheitsideal (womit ich freilich nicht gesagt haben will, dass<br />
133<br />
Vgl. dazu oben 2.2.1. A. b.<br />
134<br />
Diesem Argument kann immerhin entgegen gehalten werden, dass es desto mehr an Kraft verliert, je besser es<br />
gelingt, die traditionelle FGM zurückzudrängen. Vgl. H. PUTZKE, Festschrift S. 703, für die Zirkumzision.<br />
135<br />
Vgl. dazu vorne 4.3.1. B.<br />
136<br />
Gem. Bericht <strong>der</strong> RK-N 2010, S. 19, liegt hier eine "Verstümmelung" vor. Zu den hierzu geäusserten Bedenken<br />
vgl. vorne 4.3.4.<br />
137<br />
Im Ergebnis gleich <strong>der</strong> Bericht <strong>der</strong> RK-N 2010, S. 20.