Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 14<br />
digung des Körpers o<strong>der</strong> <strong>der</strong> körperlichen o<strong>der</strong> geistigen Ges<strong>und</strong>heit eines Menschen verursacht<br />
(al. 3; sog. "Generalklausel"). Alle diese Tathandlungen werden mit Freiheitsstrafe bis zu zehn<br />
Jahren o<strong>der</strong> Geldstrafe nicht unter 180 Tagessätzen bedroht.<br />
TRECHSEL/SCHLAURI haben überzeugend dargelegt, dass die komplette Entfernung <strong>der</strong> Klitoris<br />
als Verstümmelung eines wichtigen Organs i.S.v. Art. 122 al. 2 StGB <strong>und</strong> damit als schwere<br />
Körperverletzung zu werten ist. Darauf sei verwiesen 103 . Dies hat unabhängig davon zu gelten,<br />
ob <strong>der</strong> Eingriff im medikalisierten o<strong>der</strong> nicht medikalisierten Rahmen stattfindet. M.E. hat aber<br />
auch jede 104 teilweise Entfernung <strong>der</strong> Klitoris als (zumindest eventualvorsätzlich versuchte)<br />
schwere Körperverletzung i.S.v. Art. 122 al. 2 StGB zu gelten. Auch hier dürfte eine dauernde<br />
Funktionsbeeinträchtigung vorliegen, die m.E. nicht mehr nur geringfügig wiegt 105 . Wer interveniert,<br />
rufe sich das anatomische Äquivalent zur teilweisen Klitorisentfernung in Erinnerung:<br />
Die teilweise Amputation des Penis. Auch wenn z.B. bei einer Amputation <strong>der</strong> Peniseichel Geschlechtsverkehr<br />
<strong>und</strong> ein damit verb<strong>und</strong>ener Orgasmus u.U. noch möglich sind 106 , dürfte hier<br />
doch nicht mehr nur von einer geringfügigen Beeinträchtigung gesprochen werden 107 . Entsprechendes<br />
hat für die Klitoris zu gelten. Jedes an<strong>der</strong>e Ergebnis wäre denn auch schlicht nicht praktikabel:<br />
Wo wären die <strong>Grenzen</strong> zwischen einfacher <strong>und</strong> schwerer Körperverletzung zu ziehen?<br />
Fiele das Wegschneiden von Dreiviertel <strong>der</strong> Klitoris unter die schwere Körperverletzung, <strong>der</strong><br />
Hälfte dagegen unter die einfache? Ausserdem hätte die Frau gestützt auf Art. 251 Abs. 4 StPO<br />
m.E. unzumutbare Untersuche über sich ergehen zu lassen: Man müsste bestimmen, ob ihr sexuelles<br />
Empfinden verglichen mit dem Zustand vor FGM erheblich gestört ist. Dabei ist zu bedenken,<br />
dass manche Frau vor dem Eingriff keine sexuellen Erfahrungen gemacht haben dürfte.<br />
Sie könnte also mangels Vergleichsmöglichkeiten kaum taugliche Angaben liefern. Wer trotz<br />
dieser Ausführungen den vollendeten Tatbestand einer schweren Körperverletzung nach al. 2<br />
noch immer verneint, müsste m.E. doch immerhin von einem eventualvorsätzlichen Versuch<br />
von al. 2 ausgehen. Zumindest die Gefahr, dass <strong>der</strong> Frau durch den teilweisen Verlust <strong>der</strong> Klitoris<br />
eine erhebliche sexuelle Funktionsstörung droht, kann vor dem Eingriff nicht negiert werden<br />
bzw. wiegt so schwer, dass eben von einer Inkaufnahme auszugehen ist 108 .<br />
Wird die Klitoris im unprofessionellen, unhygienischen Umfeld entfernt bzw. verstümmelt,<br />
dürfte nebst Art. 122 al. 2 StGB i.d.R. auch die Generalklausel von al. 3 StGB einschlägig sein.<br />
Dies unabhängig davon, ob die Klitoris ganz o<strong>der</strong> nur teilweise entfernt wird 109 . Bei al. 3 wer-<br />
103<br />
TRECHSEL/SCHLAURI, S. 11 f.<br />
104<br />
Selbstverständlich ist hier nicht <strong>der</strong> bagatellarische Eingriff (man stelle sich etwa die Entfernung von 1 mm Haut<br />
vor) gemeint. Dieser dürfte aber in <strong>der</strong> Praxis auch nicht anzutreffen sein, weshalb an dieser Stelle nicht weiter darauf<br />
eingegangen wird.<br />
105<br />
ST. TRECHSEL, StGB PK, Art. 122, N 6.<br />
106<br />
Vgl. DKG Krebsgesellschaft.<br />
107<br />
Zumal die Sachlage ungleich schwerer wiegt als <strong>der</strong> Fall von BGE 129 IV 1.<br />
108<br />
Fehlt <strong>der</strong> Beschnei<strong>der</strong>in im Einzelfall das Wissen um die Bedeutung <strong>der</strong> Klitoris, liegt allenfalls ein Sachverhaltsirrtum<br />
nach Art. 13 StGB vor, so dass <strong>der</strong> Beschnei<strong>der</strong>in u.U. nur eine einfache Körperverletzung angelastet<br />
werden kann. Vgl. dazu TRECHSEL/SCHLAURI, S. 11 f.<br />
109<br />
Vgl. i.d.S. auch das Urteil ST.2008.60-SK3 vom 16. November 2009 des Kantonsgerichts St.Gallen. Dem Entscheid<br />
lag <strong>der</strong> Fall eines Mannes zugr<strong>und</strong>e, <strong>der</strong> seiner Frau aus rein ästhetischen Motiven zu Hause auf dem Küchentisch<br />
ohne Narkose die kleinen Schamlippen <strong>und</strong> einen Teil <strong>der</strong> Klitoris entfernt hatte. Das Kantonsgericht<br />
erkannte (wie bereits das erstinstanzliche Gericht) sowohl in Bezug auf die Klitoris "als eigenständiges Sexualorgan"<br />
als auch die kleinen Schamlippen eine schwere Körperverletzung nach Art. 122 al. 2 <strong>und</strong> al. 3 StGB.