Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 24<br />
mit die medikalisierte Infibulation mit Blick auf das wohlverstandene Interesse <strong>der</strong> Frau nicht<br />
ansatzweise als eine sinnvolle o<strong>der</strong> doch vertretbare Entscheidung anerkannt werden kann, ist<br />
<strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung die rechtfertigende Wirkung zu versagen. Will man die <strong>Einwil</strong>ligungsklausel<br />
dennoch einführen, müsste in <strong>der</strong> Botschaft unbedingt erwähnt werden, erstere ersetze nicht die<br />
bei schweren Körperverletzungen übliche Güterabwägung. Auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> beschriebenen Vorteile<br />
<strong>der</strong> Klausel <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Hoffnung, <strong>der</strong> Justiz blieben dadurch (m.E.) sinnlose <strong>und</strong> <strong>der</strong> Sache<br />
nicht dienende Diskussionen erspart, spreche ich mich für eine <strong>Einwil</strong>ligungsklausel aus.<br />
4.6. An<strong>der</strong>e Formen (Typ IV)<br />
4.6.1. Begriff<br />
Unter <strong>Genitalverstümmelung</strong>en des Typs IV fallen alle an<strong>der</strong>en Eingriffe, welche die weiblichen<br />
Genitalien verletzen, ohne einem medizinischen Zweck zu dienen, z.B. Einstechen, Durchbohren,<br />
Einschneiden, Ausschaben <strong>und</strong> Ausbrennen o<strong>der</strong> Verätzen 149 . Weil sich somit unter dem<br />
Typ IV beliebige Formen <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitliche Folgen vorstellen lassen, ist <strong>der</strong>en Auflistung im<br />
vorliegenden Rahmen nicht möglich. Für Formen des Typs IV ausserhalb des traditionellen<br />
FGM-Bereichs ist insbeson<strong>der</strong>e an Klitoris-Piercings <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e Genital-Piercings von minimaler<br />
Grösse bzw. minimalen Durchmessers 150 zu denken ("Durchstechen", "Durchbohren", "Einschneiden").<br />
Aber auch Tattoos ("Einstechen", Färben) fallen unter die geplante Norm. Zwar<br />
dürften Tattoos fast ausschliesslich auf dem Schamhügel <strong>und</strong> nicht auf den Schamlippen o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong> Klitoris (-vorhaut) angebracht werden. Da jedoch <strong>der</strong> Schamhügel ebenfalls zum äusseren<br />
weiblichen Genitale gehört, fallen auch solche Tattoos unter die WHO-Begriffsdefinition.<br />
4.6.2. Rechtliche Qualifikation nach gelten<strong>der</strong> Rechtslage<br />
Hier muss die allgemeine Feststellung genügen, dass auf Gr<strong>und</strong> <strong>der</strong> erwähnten grossen Bandbreite<br />
<strong>der</strong> Eingriffe im Einzelfall zu entscheiden ist, ob eine einfache o<strong>der</strong> schwere Körperverletzung<br />
vorliegt. Zumindest bei den traditionellen Formen von FGM dürfte dabei <strong>der</strong> Tatbestand<br />
<strong>der</strong> einfachen Körperverletzung nach Art. 123 Ziff. 1 StGB stets erfüllt sein. Indes kann nicht<br />
davon ausgegangen werden, in jedem Fall liege eine schwere Körperverletzung vor 151 . Es dürfte<br />
aber unbestrittenermassen solche Konstellationen geben. Insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Variante des<br />
Ausbrennens o<strong>der</strong> Verätzens <strong>der</strong> Vagina ist m.E. ohne Weiteres vorstellbar, dass dadurch z.B.<br />
auch die Klitoris i.S.v. Art. 122 al. 2 StGB dauerhaft verstümmelt wird. Dagegen fallen sowohl<br />
die unter 4.6.1. genannten Piercings als auch Tätowierungen im Genitalbereich lediglich unter<br />
den Tatbestand <strong>der</strong> einfachen Körperverletzung nach Art. 123 Ziff. 1 StGB.<br />
149<br />
WHO, Classification.<br />
150<br />
Bei kleinen, sehr feinen Piercings, sofern diese nicht in die Klitoris gestochen werden, dürfte m.E. kaum mehr<br />
von einer FGM gem. WHO die Rede sein.<br />
151<br />
Vgl. NIGGLI/BERKEMEIER, S. 7.