Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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in seinen Gr<strong>und</strong>funktionen dauernd <strong>und</strong> nicht nur geringfügig gestört sein 189 . Dies ist bei einer<br />
erfolgreich verlaufenen Zirkumzision, auf die sich <strong>der</strong> Vorsatz beziehen dürfte, nicht <strong>der</strong> Fall 190 .<br />
Bleibt schliesslich die Generalklausel <strong>der</strong> "an<strong>der</strong>en schweren Schädigung des Körpers o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
körperlichen o<strong>der</strong> geistigen Ges<strong>und</strong>heit" nach Art. 122 al. 3 StGB zu prüfen. Eine Körperverletzung,<br />
welche diesen <strong>Voraussetzungen</strong> genügt, muss von ihrer Intensität her mit den übrigen<br />
Tatbestandsmerkmalen von Art. 122 StGB vergleichbar sein 191 . Um das Ergebnis vorweg zu<br />
nehmen, dürften bei <strong>der</strong> Zirkumzision einzig die erlittenen Schmerzen ausschlaggebend sein <strong>und</strong><br />
zwar für den Fall, dass <strong>der</strong> Eingriff narkosefrei erfolgt. Verglichen mit den übrigen Tatbestandsmerkmalen<br />
<strong>und</strong> unter Berücksichtigung von BGE 129 IV 1, <strong>der</strong> den Fall betrifft, da dem<br />
Verletzten gewaltsam <strong>der</strong> Piercing-Ring aus dem Penis gerissen wurde 192 , dürfte indes m.E. eine<br />
schwere Körperverletzung allein gestützt auf das Kriterium <strong>der</strong> erlittenen Schmerzen eher zu<br />
verneinen sein. Fragen kann man sich höchstens noch, ob die erlittenen Schmerzen verb<strong>und</strong>en<br />
mit einem allfälligen Trauma, das seine Wurzeln in besagtem Schock-Erlebnis hat, den <strong>Voraussetzungen</strong><br />
<strong>der</strong> Generalklausel zu genügen vermag. Allerdings dürfte im Einzelfall <strong>der</strong> Kausalzusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> Zirkumzision <strong>und</strong> dem Trauma schwierig nachzuweisen sein, v.a.,<br />
wenn <strong>der</strong> Eingriff im Säuglingsalter erfolgte. Sodann dürfte m.E. auch hier <strong>der</strong> Vergleich mit<br />
den an<strong>der</strong>en Tatbestandsvarianten ausschlaggebend sein bzw. zu einem negativen Ergebnis führen.<br />
Zum gleichen Resultat führt die Konsultation <strong>der</strong> Judikatur zur Generalklausel 193 .<br />
Im Sinn eines Quervergleichs zur FGM, bei welcher die Generalklausel bei unprofessionellen<br />
Eingriffen <strong>der</strong> Typen I bis III jeweils bejaht wurde, ist Folgendes festzuhalten: Zunächst handelt<br />
es sich bei <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Klitoris (-vorhaut) o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schamlippen im Vergleich zur Zirkumzision<br />
um einen ungleich komplizierteren <strong>und</strong> folgenschwereren Eingriff. Sodann sind die<br />
traditionellen Beschnei<strong>der</strong> für Zirkumzisionen gewöhnlich weit versierter als die traditionellen<br />
(afrikanischen) Beschnei<strong>der</strong>Innen für FGM, welchen wie erwähnt i.d.R. bereits das anatomische<br />
Wissen fehlt. Aus beiden Punkten ergibt sich, dass FGM in Bezug auf die ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
(Neben-) Folgen des Eingriffs weit schwerer wiegt als die Zirkumzision.<br />
Dennoch ist m.E. in jedem Fall, da eine Zirkumzision ohne Betäubung vorgenommen wurde, die<br />
Generalklausel <strong>der</strong> schweren Körperverletzung zumindest "geistig" zu prüfen. Es kann m.E.<br />
nicht ausgeschlossen werden, dass im Einzelfall <strong>der</strong> objektive Tatbestand einer schweren Körperverletzung<br />
erfüllt ist. Eine an<strong>der</strong>e Frage ist natürlich, inwieweit <strong>der</strong> beschneidenden Person<br />
<strong>der</strong> Vorsatz nachgewiesen werden kann. Ihre Verteidigung dürfte gestützt auf die "reiche Erfahrung"<br />
<strong>der</strong> beschneidenden Person geltend machen, diese habe "nie <strong>und</strong> nimmer" mit den eingetretenen<br />
Konsequenzen (die u.U. auch in einem körperlichen Schmerz-Schock liegen können)<br />
gerechnet. Als Praktikerin orte ich auch hier ein schwieriges Beweisthema.<br />
189 BGE 129 IV 1, S. 3.<br />
190 Vgl. dazu auch BGE 129 IV 1: Das B<strong>und</strong>esgericht wies die Beschwerde eines Sadomaso-K<strong>und</strong>en (bzw. eines<br />
"Sex-Sklaven") ab, <strong>der</strong> eine schwere Körperverletzung geltend gemacht hatte, weil sein Harnstrahl nach einer Penis-Verletzung<br />
für immer zweigeteilt bleiben würde.<br />
191 BSK Strafrecht II-ROTH/BERKEMEIER, Art. 122, N 19 f.<br />
192 Bei diesem Fall wurde die Generalklausel bzw. das Kriterium <strong>der</strong> Schmerzen soweit ersichtlich nicht einmal<br />
thematisiert. Ebenso wenig machte das BGer i.S. eines obiter dictum Erwägungen dazu.<br />
193 Vgl. dazu BSK Strafrecht II-ROTH/BERKEMEIER, Art. 122, N 20 f. <strong>und</strong> N 41.