Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 39<br />
Das Schweizer Parlament beschäftigt sich <strong>der</strong>zeit mit <strong>der</strong> Schaffung eines spezifischen Straftatbestands<br />
für die Verstümmelung weiblicher Genitalien (Art. 124 E-StGB). Indem bestraft würde,<br />
"wer die Genitalien einer weiblichen Person verstümmelt, unbrauchbar macht o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>er<br />
Weise schädigt", geht auch dieser (<strong>der</strong>zeit bekannte) Gesetzeswortlaut weit: Alle Typen von<br />
FGM gem. WHO fielen darunter, also auch den Genitalbereich betreffende (Schönheits-) Operationen,<br />
Tattoos <strong>und</strong> (gewisse) Piercings. Der weite Anwendungsbereich von Art. 124 E-StGB<br />
mag auf den ersten Blick überraschen. Er ist aber unvermeidbar, soll die Norm auch alle <strong>Genitalverstümmelung</strong>en<br />
des Typs IV bestrafen. Dies ist m.E. zu begrüssen: So umfasst Typ IV z.T.<br />
verabscheuungswürdige Praktiken, welche aber we<strong>der</strong> ein Unbrauchbarmachen noch eine Verstümmelung<br />
bedeuten. Dies zumindest dann nicht, wenn sich <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Verstümmelung an<br />
jenem von Art. 122 al. 2 StGB orientiert. Letzteres ist zu empfehlen. Will man dagegen bei den<br />
genannten Formen des Typs IV am Ausdruck "Verstümmelung" festhalten, wäre auch denkbar,<br />
dass die Rechtsprechung die Anfor<strong>der</strong>ungen an eine Verstümmelung nach Art. 122 al. 2 StGB<br />
senkt. Dies hätte einen (deutlichen) Anstieg <strong>der</strong> schweren Körperverletzungen zur Folge. Würde<br />
man demgegenüber in Bezug auf den Terminus "Verstümmelung" verschiedene Anfor<strong>der</strong>ungsstufen<br />
kreieren, könnte eine Person, die an einer an<strong>der</strong>en Körperstelle als den weiblichen Genitalien<br />
verstümmelt wurde, m.E. zu Recht eine Ungleichbehandlung geltend machen, würde ihre<br />
Verletzung (<strong>der</strong> heutigen Rechtsprechung folgend) lediglich als einfache Körperverletzung gewertet<br />
(vgl. z.B. den Fall in BGE 129 IV 1).<br />
Art. 124 E-StGB stellt alle Typen von FGM vom Strafmass her einer schweren Körperverletzung<br />
gleich. Erlaubt sei an dieser Stelle die Frage, ob in Anbetracht <strong>der</strong> Tatsache, dass auch<br />
"leichtere" Formen des Typs IV (zu denken ist etwa an ein kleines Tattoo, das als Zeichen <strong>der</strong><br />
Stammeszugehörigkeit "stempelmässig" auf dem Schamhügel angebracht wird) unter die neue<br />
Norm fallen würden, eine Mindeststrafe von 180 Tagessätzen Geldstrafe 237 angemessen ist. Ohne<br />
diese Frage weiter abgehandelt zu haben, könnte ich mir vorstellen, dass <strong>der</strong> Verzicht auf eine<br />
Mindeststrafe im Einzelfall angemessener wäre.<br />
Insgesamt ist m.E. die Einführung eines eigenen Straftatbestands für FGM zu begrüssen. Einerseits<br />
dürfte Art. 124 E-StGB in präventiver Hinsicht positiv wirken. An<strong>der</strong>erseits erübrigen sich<br />
damit schwierige Abgrenzungsfragen (z.B. ob jede teilweise Entfernung <strong>der</strong> Klitoris als schwere<br />
Körperverletzung gilt). Aus demselben Gr<strong>und</strong> spreche ich mich für eine <strong>Einwil</strong>ligungsklausel<br />
nach dem Muster von § 90 Abs. 3 Ö-StGB aus 238 . Diese verwehrt <strong>Einwil</strong>ligungen in <strong>Genitalverstümmelung</strong>en,<br />
welche geeignet sind, das sexuelle Empfinden nachhaltig zu beeinträchtigen, ex<br />
lege die Rechtswirksamkeit. Die Formulierung <strong>der</strong> "nachhaltigen Beeinträchtigung" liesse die<br />
(anscheinend) breit anerkannten Genitalmodifikationen unangetastet, da diesbezüglich (zumindest<br />
nach heutigem Wissensstand) keine Gefahr einer nachhaltigen Empfindungsstörung besteht.<br />
Entsprechend müsste m.E. aber auch die <strong>Einwil</strong>ligung einer Afrikanerin in FGM akzeptiert<br />
werden, sofern <strong>der</strong> Eingriff als solcher einer verbreiteten Form <strong>der</strong> Labioplastik gleich-<br />
237 Wobei zu bedenken ist, dass <strong>der</strong> Intention des Gesetzgebers folgend bald keine bedingten Geldstrafen mehr ausgesprochen<br />
werden können; die Mindeststrafe im Fall eines "Bedingten" also sechs Monate Freiheitsstrafe wäre.<br />
238 Das Argument des B<strong>und</strong>esrats, wonach eine solche Klausel im Vergleich zu den an<strong>der</strong>en Tatbeständen <strong>der</strong> Körperverletzung<br />
einzigartig wäre, überzeugt bereits deshalb nicht, weil im Verhältnis zu letzteren auch <strong>der</strong> Tatbestand<br />
<strong>der</strong> <strong>Genitalverstümmelung</strong> Spezialitätscharakter hat.