Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 7<br />
Freiheit <strong>der</strong>/ des Einzelnen mit zu berücksichtigen 51 . Häufig verwendet wird ferner die Formulierung<br />
von STRATENWERTH, welcher <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung nur rechtfertigende Wirkung zuerkennt,<br />
wenn sie "im Blick auf das wohlverstandene Interesse des Betroffenen als eine sinnvolle o<strong>der</strong><br />
doch vertretbare Entscheidung anzuerkennen ist" 52 . Wie bei allen Güterabwägungen sind die<br />
Übergänge auch bei <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung in die schwere Körperverletzung fliessend.<br />
ROTH/BERKEMEIER erwähnen das Beispiel einer Tätowierung im Gesicht, die <strong>–</strong> zumal entstellend<br />
<strong>–</strong> als schwere Körperverletzung gewertet werden müsste, jedoch allgemein als zulässig erachtet<br />
wird 53 . Entsprechend lehnt WEISSENBERGER das Kriterium <strong>der</strong> "guten Sitten" im Hinblick<br />
auf die Rechtssicherheit ab <strong>und</strong> for<strong>der</strong>t, die <strong>Einwil</strong>ligung ausschliesslich jenen <strong>Grenzen</strong> zu unterwerfen,<br />
die durch die allgemeinen <strong>Voraussetzungen</strong> <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung gesetzt würden. Die<br />
Wirksamkeit einer für die verletzte Person "nachteiligen" <strong>Einwil</strong>ligung scheitere in den meisten<br />
Fällen bereits an Willensmängeln o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Überschreitung an<strong>der</strong>er allgemeiner Schranken 54 .<br />
WEISSENBERGERS Argumentation leuchtet prima facie ein. Sie besticht nebst <strong>der</strong> Akzentuierung<br />
des Selbstbestimmungsrechts des Individuums v.a. durch das Kriterium <strong>der</strong> Rechtssicherheit.<br />
Aus Sicht <strong>der</strong> Praktikerin ist indes umgehend zu kontern, dass <strong>–</strong> gerade bezogen auf das Beispiel<br />
FGM <strong>–</strong> <strong>der</strong> Nachweis von Willensmängeln oftmals kaum zu erbringen sein dürfte 55 . Frauen, die<br />
ihrem Mann o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Familienmitglie<strong>der</strong>n hörig sind, entpuppen sich als geschickte Erfin<strong>der</strong>innen<br />
in allerlei Ausreden <strong>und</strong> tun (fast) alles, um den Strafverfolgungsbehörden den Zugriff<br />
auf die drohende o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Zwang ausübende Person zu verhin<strong>der</strong>n. Somit bleibt es letztlich<br />
bei <strong>der</strong> von <strong>der</strong> h.L. getragenen Güterabwägung, bei welcher dem Gericht im Einzelfall ein weiter<br />
Spielraum bleibt. Einigkeit dürfte darin bestehen, dass die <strong>Einwil</strong>ligung dort, wo sie die<br />
Rechtswidrigkeit einer schweren Körperverletzung nicht auszuschliessen vermag, zumindest<br />
strafmil<strong>der</strong>nd zu berücksichtigen ist 56 .<br />
B. Modalitäten <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung<br />
Die <strong>Einwil</strong>ligung muss zeitlich vor <strong>der</strong> Tat erteilt werden <strong>und</strong> dabei nach aussen in Erscheinung<br />
treten, was auch konkludent geschehen kann. Stets reicht <strong>der</strong> Unrechtsausschluss nur soweit wie<br />
die <strong>Einwil</strong>ligung 57 , wobei letztere je<strong>der</strong>zeit frei wi<strong>der</strong>ruflich ist 58 .<br />
C. <strong>Einwil</strong>ligungsfähigkeit<br />
Die für die vorliegende Arbeit interessierende <strong>Einwil</strong>ligung als Rechtfertigungsgr<strong>und</strong> 59 dient <strong>der</strong><br />
freien Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit, wofür <strong>der</strong> blosse natürliche Wille nicht reicht. Damit ist<br />
aber nicht gesagt, dass die einwilligende Person handlungsfähig i.S.v. Art. 13 ZGB sein müsste.<br />
Vielmehr genügt gr<strong>und</strong>sätzlich die natürliche autonome Urteilsfähigkeit. Entsprechend kommt<br />
es nicht auf fixe Altersgrenzen an, son<strong>der</strong>n Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche entscheiden im Rahmen ih-<br />
51 P. NOLL, S. 85.<br />
52 G. STRATENWERTH, § 10, N 17.<br />
53 BSK Strafrecht II-ROTH/BERKEMEIER, Vor Art. 122, N 20.<br />
54 PH. WEISSENBERGER, S. 139 f.<br />
55 Vgl. auch Vernehmlassungsbericht, S. 11.<br />
56 So bereits P. NOLL, S. 82.<br />
57 BGE 100 IV 155, S. 160.<br />
58 BSK Strafrecht I-K. SEELMANN, Vor Art. 14, N 14 f.<br />
59 Vgl. vorne 2.1.