Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 40<br />
kommt. So o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s entbindet eine allfällige <strong>Einwil</strong>ligungsklausel nicht von <strong>der</strong> fallweisen<br />
Güterabwägung. Diesen Hinweis müsste die Botschaft enthalten.<br />
Befindet sich <strong>der</strong> Schweizer Gesetzgeber in Bezug auf die traditionelle FGM auf gutem Wege,<br />
scheinen er <strong>–</strong> aber auch die Strafverfolgungsbehörden! <strong>–</strong> bei <strong>der</strong> Zirkumzision an Knaben weiterhin<br />
mit aller Kraft beide Augen zuzudrücken. Dabei weisen FGM <strong>und</strong> Zirkumzisionen durchaus<br />
Parallelen auf (wobei erstere i.d.R. mit zweifellos weit gravieren<strong>der</strong>en Konsequenzen verb<strong>und</strong>en<br />
ist). Aber auch die Zirkumzision stellt eine einfache Körperverletzung nach Art. 123<br />
StGB dar. Handelt es sich beim Opfer um einen (in Bezug auf die <strong>Einwil</strong>ligung) urteilsunfähigen<br />
Knaben 239 o<strong>der</strong> Mann, ist sie ferner von Amtes wegen zu verfolgen: Das Kriterium <strong>der</strong> Obhuts-<br />
o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en gesetzlichen o<strong>der</strong> vertraglichen Fürsorgepflicht ist in jedem Fall erfüllt. Sodann<br />
liegt beim urteilsunfähigen Volljährigen stets <strong>und</strong> beim Min<strong>der</strong>jährigen je nach konkreten<br />
Umständen Wehrlosigkeit vor (Art. 123 Ziff. 2 al. 2 StGB). Diese Kriterien haben sich sowohl<br />
die gesetzlichen Vertreter als auch die Beschnei<strong>der</strong> bzw. ÄrztInnen anrechnen zu lassen.<br />
Im Zentrum des Interesses steht die Frage, ob gesetzliche Vertreter rechtswirksam in die Zirkumzision<br />
eines Knaben einwilligen können, wenn für diese <strong>–</strong> was meistens <strong>der</strong> Fall ist <strong>–</strong> keine<br />
kurativ-medizinische Indikation besteht. Dabei hat sich die Vertretungsbefugnis am objektiv zu<br />
bestimmenden Wohl des Knaben zu orientieren. In diesem Zusammenhang stellt die Religion<br />
we<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> elterlichen Religionsfreiheit noch im Namen des Knaben ein<br />
taugliches Kriterium zur Rechtfertigung <strong>der</strong> Zirkumzision dar. Auch rein vorbeugende o<strong>der</strong> hygienische<br />
<strong>und</strong> schon gar nicht ästhetische Motive vermögen den Nachteil des irreversiblen Verlusts<br />
<strong>der</strong> Vorhaut des Knaben, welche sehr wohl eine wichtige körperliche Funktion hat, aufzuwiegen.<br />
Die genannten Gründe liegen damit objektiv betrachtet nicht im Wohl des Knaben. Entsprechend<br />
reicht die Vertretungsbefugnis <strong>der</strong> gesetzlichen Vertreter nicht so weit, dass sie<br />
rechtswirksam in eine Zirkumzision bei einem Min<strong>der</strong>jährigen einwilligen könnten. Veranlassen<br />
sie den Eingriff trotzdem o<strong>der</strong> führen sie ihn gar selber durch, handeln sie rechtswidrig. Dasselbe<br />
gilt für alle weiteren ausführenden bzw. beteiligten Personen. Immerhin ist im Einzelfall zu<br />
prüfen, ob die beschuldigten Personen für sich einen (un)vermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit<br />
nach Art. 21 StGB in Anspruch nehmen können.<br />
Zusammengefasst erscheint es ausgesprochen bedauerlich, dass <strong>der</strong> Gesetzgeber mit <strong>der</strong> Zirkumzision<br />
einer <strong>–</strong> in Bezug auf Knaben <strong>–</strong> nicht zu rechtfertigenden Körperverletzung Vorschub<br />
leistet, in dem er sie "als gr<strong>und</strong>sätzlich nicht problematisch" taxiert. Statt althergebrachte Tabus<br />
zu zementieren, könnte er sich als revolutionär erweisen <strong>und</strong> anstelle eines Tatbestands "Verstümmelung<br />
weiblicher Genitalien" eine Norm mit dem Marginalie "<strong>Genitalverstümmelung</strong>"<br />
erlassen. Art. 124 Abs. 1 E-StGB könnte dann etwa lauten: "Wer einer Person die Genitalien<br />
verstümmelt, unbrauchbar macht o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>er Weise schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu<br />
zehn Jahren o<strong>der</strong> Geldstrafe (nicht unter 180 Tagessätzen) bestraft". Zusätzlich könnte ein Absatz<br />
angefügt werden, <strong>der</strong> die stellvertretende <strong>Einwil</strong>ligung in nicht kurativ-medizinisch indizierte<br />
Zirkumzisionen bei urteilsunfähigen Knaben (<strong>und</strong> je nachdem Volljährigen) als unwirksam<br />
statuiert. Auch wenn dieser Vorschlag in <strong>der</strong> sich langsam drehenden schweizerischen Gesetzgebungsmaschinerie<br />
(zumindest vorerst) unberücksichtigt bleiben dürfte, ist doch zu hoffen,<br />
dass die beschriebene Problematik nicht länger tabuisiert wird.<br />
239 Dies hat mindestens bis zum vollendeten 16. Altersjahr zu gelten.