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Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...

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Seite 35<br />

Zu verwerfen ist zunächst das Argument, die Zirkumzision bewahre den Knaben vor Ausgrenzung<br />

bzw. Stigmatisierung Nichtbeschnittener, indem sie seine religiöse Identifikation bekräftige.<br />

Würde man dieser Argumentation folgen, liessen sich unter dem Deckmantel <strong>der</strong> Religion<br />

allerlei Gräueltaten, auch FGM, rechtfertigen 218 . Dies kann <strong>und</strong> darf nicht sein! Mich überzeugt<br />

in diesem Zusammenhang HERZBERGS These 219 , wonach elterliche Entscheidungen, welche die<br />

Religionszugehörigkeit des Kinds als solche betreffen, als "kindeswohlneutral" zu betrachten<br />

sind. Der Entscheid, ob das Kind einer Religion angehört <strong>und</strong> gegebenenfalls welcher, wirkt<br />

sich also we<strong>der</strong> positiv noch negativ auf das objektiv 220 zu bestimmende Kindeswohl aus. Denn<br />

für diesen Entscheid gibt es keinen allgemein anerkannten Massstab.<br />

Auch die Religionsfreiheit <strong>der</strong> Eltern vermag eine Körperverletzung mit bleibenden Folgen<br />

nicht zu rechtfertigen. Dies ergibt sich bereits aus <strong>der</strong> sozialen Komponente <strong>der</strong> Freiheitsrechte,<br />

wonach die eigenen Freiheitsrechte durch jene <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en begrenzt werden 221 . In diesem Zusammenhang<br />

ist zunächst das Recht auf körperliche <strong>und</strong> geistige Unversehrtheit (Art. 10 Abs. 2<br />

BV) zu beachten, das für Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche gem. Art. 11 Abs. 1 BV 222 im Beson<strong>der</strong>en gilt.<br />

Sodann ist m.E. aber auch die Religionsfreiheit des Kinds bzw. später einmal selbständigen Individuums<br />

zu berücksichtigen. Nach Art. 15 Abs. 4 BV darf niemand gezwungen werden, einer<br />

Religionsgemeinschaft beizutreten o<strong>der</strong> anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen o<strong>der</strong><br />

religiösem Unterricht zu folgen. Zwar verfügen nach Art. 303 Abs. 1 ZGB die Eltern über<br />

die religiöse Erziehung ihrer Kin<strong>der</strong>. M.E. verlangt aber die Religionsfreiheit des Knaben bereits<br />

zu diesem Zeitpunkt immerhin, dass die Eltern an ihm keine irreversiblen (nicht bagatellarischen)<br />

körperlichen Eingriffe vornehmen (lassen). Es ist nämlich ohne Weiteres vorstellbar,<br />

dass <strong>der</strong> Knabe mit Erreichen <strong>der</strong> religiösen Mündigkeit aus <strong>der</strong> betr. Religionsgemeinschaft<br />

austreten möchte. Diesen Schritt muss er m.E. in unversehrtem <strong>und</strong> somit "unverstümmeltem"<br />

körperlichen Zustand antreten können. Nach einer Zirkumzision kann er dies aber gerade nicht<br />

mehr. Eine irgend geartete Notlage, wonach es die Religionsfreiheit <strong>der</strong> Eltern dringend gebieten<br />

würde, in die Freiheitsrechte ihres Sohnes einzugreifen, ist nicht ansatzweise ersichtlich.<br />

Mittlerweile dürften auch etliche Vertreter <strong>der</strong> fraglichen Religionen erkannt haben, dass das<br />

"Religions-Argument" auf wackligen Beinen steht. Entsprechend bringen sie nebst diesem auch<br />

vorbeugende <strong>und</strong> hygienische Aspekte <strong>der</strong> Zirkumzision vor 223 . So bleibt die Frage zu prüfen,<br />

ob diese Gründe im Hinblick auf das Kindswohl eine Zirkumzision zu rechtfertigen vermögen.<br />

Mit Blick auf die Krankheiten 224 , gegen welche die Zirkumzision vorbeugen soll, stimme ich<br />

mit PUTZKE überein. Nach ihm überwiegt <strong>der</strong> Nutzen die Nachteile nur dann, wenn die Zirkumzision<br />

das Risiko einer späteren Erkrankung nicht nur unerheblich verringert. Gemäss PUTZKE<br />

ist diese Voraussetzung bereits dann nicht mehr erfüllbar, wenn das Risiko für eine Erkrankung<br />

218<br />

Vgl. H. PUTZKE, Festschrift, S. 701 f.<br />

219<br />

R. D. HERZBERG, Rechtliche Probleme, S. 335.<br />

220<br />

H. PUTZKE, Festschrift, S. 687.<br />

221<br />

HÄFELIN/HALLER/KELLER, N 211.<br />

222<br />

"Kin<strong>der</strong> <strong>und</strong> Jugendliche haben Anspruch auf beson<strong>der</strong>en Schutz ihrer Unversehrtheit <strong>und</strong> auf För<strong>der</strong>ung ihrer<br />

Entwicklung."<br />

223<br />

Vgl. z.B. den Aufsatz von B. FATEH-MOGHADAM o<strong>der</strong> E. WEILL, Artikel aus <strong>der</strong> NZZ.<br />

224<br />

Peniskrebs, Syphilis, Gonorrhö, Harnwegsinfektionen, Phimose o<strong>der</strong> Balanoposthitis. Für die HIV-Infektion vgl.<br />

die separaten Ausführungen weiter unten.

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