Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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1. Einführung<br />
1.1. <strong>Genitalverstümmelung</strong> contra Beschneidung: Terminologie <strong>und</strong> Definition<br />
Abweichend von <strong>der</strong> allgemeinen Assoziation, welche "<strong>Genitalverstümmelung</strong>" auf die Frau<br />
bezieht, befasst sich die vorliegende Arbeit auch mit <strong>der</strong> "männlichen <strong>Genitalverstümmelung</strong>",<br />
besser bekannt als "männliche Beschneidung" 1 . Da offensichtlich bereits die Terminologie Fragen<br />
aufwirft, lohnt es sich, damit einzusteigen, diese seriös abzuklären. Allein die Festlegung<br />
eines Begriffs für die weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong> offenbart <strong>der</strong>en Sensibilität. Bis 1990<br />
wurde <strong>der</strong> Begriff "weibliche Beschneidung" (Female Circumcision, abgekürzt: FC) verwendet.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e afrikanische Aktivistinnen <strong>und</strong> weitere Frauenrechtlerinnen hatten sich jedoch gegen<br />
den Ausdruck "Beschneidung" gewehrt. Sie sahen darin eine unzulässige Verharmlosung,<br />
weil <strong>der</strong> Begriff eben v.a. im Zusammenhang mit <strong>der</strong> männlichen Beschneidung geläufig ist. Bei<br />
<strong>der</strong>en verbreitetesten Form wird mit einem R<strong>und</strong>umschnitt die Penisvorhaut (Praeputium) ganz<br />
o<strong>der</strong> teilweise entfernt (sog. Zirkumzision) 2 . Zwar ist es (endlich!) an <strong>der</strong> Zeit, auch diese Praxis,<br />
soweit sie Urteilsunfähige betrifft, kritisch zu hinterfragen. Es ist aber allgemein anerkannt,<br />
dass die weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong> mit ungleich gravieren<strong>der</strong>en Konsequenzen verb<strong>und</strong>en<br />
ist als die männliche Beschneidung 3 . Anlässlich einer Konferenz <strong>der</strong> WHO im Jahr 1990<br />
verabschiedete man sich deshalb vom Begriff <strong>der</strong> "weiblichen Genitalbeschneidung" <strong>und</strong> einigte<br />
sich stattdessen auf "weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong>" (Female Genital Mutilation, abgekürzt:<br />
FGM) 4 . Seit einigen Jahren regt sich indes auch gegen den neuen Begriff Wi<strong>der</strong>stand. Betroffene<br />
Frauen empfinden es als entwürdigend <strong>und</strong> beleidigend, als "verstümmelt" bezeichnet zu<br />
werden. In dieser Debatte tauchte deshalb <strong>der</strong> englische Begriff "Female Genital Cutting" (FGC)<br />
auf. Dieser bringt freilich das Problem mit sich, dass er sich nur schwer ins Deutsche übertragen<br />
lässt 5 . Für die vorliegende Arbeit habe ich mich für den Begriff "weibliche <strong>Genitalverstümmelung</strong>"<br />
bzw. FGM entschieden. Dieser ist zum einen noch heute weit verbreitet 6 <strong>und</strong> bringt zum<br />
an<strong>der</strong>n schonungslos zum Ausdruck, was dramatischer Fakt ist.<br />
Gemäss Begriffsdefinition von WHO, UNICEF <strong>und</strong> UNFPA aus dem Jahr 1997 umfasst FGM<br />
die teilweise o<strong>der</strong> ganze Entfernung <strong>der</strong> äusseren weiblichen Genitalien 7 <strong>und</strong> sonstige Verlet-<br />
1<br />
R. D. HERZBERG, Rechtliche Probleme, S. 333 <strong>und</strong> T. HAMMOND sprechen freilich auch hier von einer eigentlichen<br />
"<strong>Genitalverstümmelung</strong>".<br />
2<br />
Unter "männlicher Beschneidung" versteht man ferner u.a. auch das blosse Einschneiden <strong>der</strong> Vorhaut (Inzision),<br />
die Durchtrennung des Bändchens zwischen Vorhaut <strong>und</strong> Penis, das Zunähen <strong>der</strong> Vorhaut zur Einschränkung ihrer<br />
Beweglichkeit <strong>und</strong> das Einschneiden <strong>der</strong> Harnröhre an <strong>der</strong> Unterseite des Penis; vgl. H. PUTZKE, Festschrift, S. 672<br />
<strong>und</strong> T. HAMMOND, S. 269.<br />
3<br />
Dem ist, was die schweren Formen von weiblicher <strong>Genitalverstümmelung</strong> anbelangt, zweifelsfrei beizupflichten:<br />
Sobald die Klitoris ganz o<strong>der</strong> teilweise entfernt wird, wäre das anatomische Äquivalent dazu die teilweise o<strong>der</strong><br />
komplette Amputation des Penis. Immerhin ist zu präzisieren, dass beim Typ Ia <strong>der</strong> weiblichen <strong>Genitalverstümmelung</strong><br />
(vgl. dazu hinten 4.3.) auch "nur" die Klitorisvorhaut entfernt wird. Es handelt sich dabei aber um eine ausserordentlich<br />
schwierige Operation, weshalb chirurgisches Geschick <strong>und</strong> die richtigen Instrumente unabdingbar sind;<br />
vgl. NIGGLI/BERKEMEIER, S. 5 <strong>und</strong> M. ROSENKE, S. 19. Schliesslich ist zu betonen, dass auch die männliche Zirkumzision<br />
<strong>–</strong> sofern auf eine Narkose verzichtet wird <strong>–</strong> mit gravierenden Schmerzen verb<strong>und</strong>en ist.<br />
4<br />
TRECHSEL/SCHLAURI, S. 4, A; RICHTER/SCHNÜLL, S. 16 f.<br />
5<br />
Übersetzungsvorschläge lauten etwa auf "Genitalverschneidung" o<strong>der</strong> "Genitalverschnitt"; TRECHSEL/SCHLAURI,<br />
S. 4, A; RICHTER/SCHNÜLL, S. 16 f.<br />
6<br />
Vgl. den Entscheid des Inter-African Committee (IAC) aus dem Jahr 2005, wie<strong>der</strong>gegeben in: Macht <strong>der</strong> Sprache.<br />
7<br />
Die Gesamtheit <strong>der</strong> äusseren weiblichen Geschlechtsorgane wird als "Vulva" bezeichnet. Sie besteht u.a. aus dem<br />
Schamhügel, den grossen Schamlippen (labia maiora pudendi), den kleinen Schamlippen (labia minora pudendi),<br />
<strong>der</strong> Klitoris <strong>und</strong> dem Scheidenvorhof; vgl. für eine detaillierte anatomische Darstellung S. PREISS, S. 83.