Genitalverstümmelung – Voraussetzungen und Grenzen der Einwil ...
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Seite 11<br />
4. Möglichkeit <strong>der</strong> <strong>Einwil</strong>ligung <strong>der</strong> urteilsfähigen Frau in die<br />
verschiedenen Typen <strong>der</strong> <strong>Genitalverstümmelung</strong> gemäss<br />
WHO<br />
4.1. Begriff <strong>der</strong> Urteilsfähigkeit<br />
Unter Verweis auf 2.2.1. C. ist die Urteilsfähigkeit, welche erfor<strong>der</strong>lich ist, um in bleibende<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Sexualorgane einzuwilligen, vor dem vollendeten 16. Altersjahr in jedem<br />
Fall zu verneinen 84 . Dies hat m.E. für alle vier Typen von FGM gem. WHO zu gelten <strong>und</strong> zwar<br />
gleichermassen für traditionelle FGM wie für Labioplastiken. Dagegen möchte ich mich für Tattoos<br />
<strong>und</strong> Piercings nicht auf eine fixe Altersgrenze festlegen, zumal diese die Sexualorgane<br />
nicht bleibend verän<strong>der</strong>n. Indes können sich sowohl die traditionelle FGM wie Labioplastiken<br />
dauerhaft auf die sexuelle Empfindungsfähigkeit auswirken 85 . Geht man davon aus, dass unter<br />
16-Jährige noch keine (breite) sexuelle Erfahrung haben, sind sie ausser Stande, die Konsequenzen<br />
abzuschätzen. Damit ist die Grenze nach unten gesetzt. Nach oben ergibt sie sich entsprechend<br />
dem Willen des Gesetzgebers aus <strong>der</strong> Volljährigkeit. Im Bereich von 16 bis 18 Jahren ist<br />
die Urteilsfähigkeit im Einzelfall (entsprechend <strong>der</strong> b<strong>und</strong>esgerichtlichen Rechtsprechung) nach<br />
<strong>der</strong> individuellen Reife <strong>und</strong> den intellektuellen Fähigkeiten <strong>der</strong> jungen Frau zu erkennen.<br />
4.2. Fehlende medizinische Indikation<br />
Wie oben dargetan sind die Motive <strong>der</strong> traditionellen FGM grösstenteils pseudowissenschaftlicher<br />
Natur. Eine <strong>der</strong> Hauptintentionen dahinter ist die Kontrolle <strong>der</strong> weiblichen Sexualität 86 . Einen<br />
objektiv betrachtet positiv zu wertenden medizinischen Zweck bringt dagegen keine <strong>der</strong> im<br />
Folgenden vorzustellenden vier Arten traditioneller FGM mit sich. Im Gegenteil sind die medizinischen<br />
Konsequenzen die stärksten Argumente für ihre Abschaffung 87 . Auch für die gängigen<br />
Labio-plastiken <strong>und</strong> umso mehr die übrigen Genitalmodifikationen besteht (gewöhnlich) keine<br />
medizinische Indikation. Die juristische Lehre ist sich einig, dass (pseudo-) ärztliche <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e<br />
körperliche Eingriffe, die in die Körpersubstanz eingreifen, soweit sie nicht unmittelbar <strong>der</strong> Heilung<br />
dienen (z.B. kosmetische Operationen), als Körperverletzungen zu werten sind. Sie sind<br />
deshalb nur dann straflos, wenn die richtig <strong>und</strong> vollständig aufgeklärte "Patientin" in sie einwilligt<br />
88 . Bezogen auf die vorliegende Thematik kann somit vorweggenommen werden, dass es<br />
sich bei sämtlichen Arten <strong>der</strong> FGM gem. WHO um schwere o<strong>der</strong> einfache Körperverletzungen<br />
nach Art. 122 o<strong>der</strong> 123 StGB handelt. Ob die urteilsfähige Frau in die vier Arten einwilligen<br />
<strong>und</strong> den Eingriff somit legitimieren kann, sei nun im Einzelnen geprüft.<br />
84<br />
Vgl. dazu auch PH. WEISSENBERGER, S. 79. Nach ihm sind v.a. bei ärztlich nicht indizierten Eingriffen strenge<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen an die Einsichtsfähigkeit zu stellen.<br />
85<br />
Vgl. dazu hinten 4.3.1. B. <strong>und</strong> 4.4.1.<br />
86<br />
Vgl. M. ROSENKE, S. 41 f. <strong>und</strong> T. HAMMOND, S. 272 <strong>–</strong> 274.<br />
87<br />
HOHLFELD/THIERFELDER/JÄGER, S. 958.<br />
88<br />
BSK Strafrecht II-ROTH/BERKEMEIER, Vor Art. 122, N 24.