als PDF-Dokument herunterladen - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
als PDF-Dokument herunterladen - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
als PDF-Dokument herunterladen - Filmstiftung Nordrhein-Westfalen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Anfang Juni startete<br />
Andres Veiels Schauspieler-<br />
Doku „Die Spielwütigen“.<br />
Für den Newsletter schreibt<br />
der Regisseur über seine<br />
Faszination für Schauspieler.<br />
Stets habe ich eine gewisse Faszination<br />
für die Grenze von Fiktion<br />
und <strong>Dokument</strong> verspürt. Als ich<br />
über das Konzept einer Langzeitbeobachtung<br />
nachdachte, war für<br />
mich deshalb früh klar, Schauspieler in<br />
den Mittelpunkt zu stellen. Sie zu porträtieren<br />
bietet mir zwei Möglichkeiten:<br />
zum einen, die Biografie der jeweiligen<br />
Person darzustellen. Zum anderen aber<br />
vermag ein Schauspieler über die Rolle<br />
Dinge zu tun, die er sich sonst vielleicht<br />
nicht trauen würde. Auf der Bühne ist alles<br />
erlaubt, was im Leben verboten ist.<br />
Und so gelingt es mir, in Räume vorzudringen,<br />
die bei anderen Personen versperrt<br />
sind.<br />
Auf einer weiteren Ebene beschäftigt<br />
sich mein Film auch mit dem Prozess<br />
des Erwachsenwerdens. Ein guter Schauspieler<br />
muss sich in allen Tiefen erfahren<br />
haben, um mit diesen Schichten die Rolle<br />
zu füllen und zu bereichern. Das setzt<br />
eine Fähigkeit zur (Selbst)-Reflexion und<br />
Eigenverantwortung voraus. Gleichzeitig<br />
aber muss er sich andererseits immer<br />
auch ein Stück Kind bewahren. Kind sein<br />
heißt: staunen, sich überraschen lassen,<br />
verwundbar bleiben. Das Älterwerden<br />
führt in eine Welt von schmerzhaften Erfahrungen,<br />
die oftm<strong>als</strong> zwingen, sich zu<br />
schützen und so an bestimmten Stellen<br />
Mauern zu ziehen. Für einen Schauspieler<br />
ist genau das gefährlich: sich nicht offen<br />
zu halten und nicht mehr mit Neugierde<br />
auf sich und das Leben zu schauen.<br />
Um geeignete Protagonisten für<br />
meinen <strong>Dokument</strong>arfilm zu finden, wendete<br />
ich mich an die Hochschule für<br />
Schauspielkunst „Ernst-Busch“ in Berlin.<br />
Unter den 200 Bewerbern, die den ersten<br />
Test für die Aufnahme in den Jahrgang<br />
1997 bestanden hatten, suchte ich<br />
zunächst nach klarem Talent. Ich wollte<br />
nicht Gefahr laufen, dass jemand nach<br />
zwei Jahren aufhört, weil deutlich wird,<br />
ihm fehlt das Besondere und er hat letzt-<br />
Neue Helden<br />
VON ANDRES VEIEL<br />
lich nichts zu sagen. Es war nicht schwierig,<br />
auf Anhieb 20 Talentierte zu finden.<br />
Schwierig war es hingegen, Bewerber zu<br />
entdecken, die von der Idee, Schauspieler<br />
zu werden, besessen waren. Sie<br />
sollten etwas in sich tragen, das heraus<br />
musste, den Wunsch etwa, über die<br />
Bühne ein anderer zu werden, sich selbst<br />
und seinem eigenen Korsett zu entkommen.<br />
Leute mit eigenem Profil, kompromisslos<br />
und im eigentlichen Sinne<br />
spiel-wütig, die suchte ich - und habe<br />
sie am Ende auch gefunden.<br />
Das ganze Projekt steht aus heutiger<br />
Sicht <strong>als</strong> klarer Gegenpol zu den Casting-<br />
Shows. Während dort vermittelt wird,<br />
man müsse nur gut aussehen und zum<br />
rechten Zeitpunkt am rechten Ort sein<br />
und schon sei der Weg nach oben geebnet,<br />
machen „Die Spielwütigen“ deutlich,<br />
wie groß die Hindernisse sind und<br />
wie lang dieser Weg ist, auf dem zunächst<br />
sehr viel Staub gefressen werden<br />
muss. Aus der Not der meisten werdenden<br />
Schauspieler, sich ausdrücken zu<br />
wollen, wird eine Notwendigkeit mit ungemeinem<br />
Willen, sich aus einem bestimmten<br />
Umfeld zu befreien. In der<br />
Schule wird die Chance auf einen neuen<br />
Anfang gesehen, die Möglichkeit, sich<br />
vollkommen neu zu entdecken. Als Konsequenz<br />
schaut kaum jemand realistisch<br />
darauf, wie der Markt tatsächlich aussieht.<br />
Die Bewerbungen erfolgen aus einem<br />
weitgehend ungebrochenen Idealismus<br />
heraus. Die Realitäten, die dieser<br />
Markt mit sich bringt mit seinem Warencharakter,<br />
der viel über das Äußere<br />
definiert, wo erst einmal ganz andere<br />
Dinge <strong>als</strong> Qualität eine Rolle spielen –<br />
all das bricht erst am Ende der Ausbildung<br />
massiv ins Bewusstsein ein. Wer es<br />
auf die „Ernst Busch“ geschafft hat, ist<br />
in einer privilegierten Situation. 80 bis 90<br />
Prozent der Studenten schaffen den<br />
Sprung in ein Engagement. Dennoch<br />
nimmt auch dort die Zahl derjenigen, die<br />
Andres Veiel,<br />
Foto: timebandits<br />
nicht vermittelt werden können, zu. Es<br />
hat mich überrascht, wie wenig pragmatisch<br />
analysiert und wahrgenommen<br />
wird, dass sich 20.000 von etwa 22.000<br />
Schauspielern in Deutschland mit Mühe<br />
und Not durchwursteln und nur der Rest<br />
zu den Glücklichen zählt, die vom Beruf<br />
auch leben können. „Und trotzdem!“,<br />
lautet die wiederum sehr schöne Reaktion,<br />
bei der die Spielwut dann so groß<br />
ist, dass die Möglichkeit schlicht verdrängt<br />
wird, eventuell zu den 20.000 zu<br />
gehören.<br />
Wir haben mit den Aufnahmen begonnen,<br />
<strong>als</strong> sich der Boom der Privaten<br />
Sender auf dem Höhepunkt befand, <strong>als</strong><br />
sehr viele Leute spontan Rollen beim<br />
Fernsehen bekommen haben und so<br />
auch sehr viel Geld verdienten. Ende<br />
2001 dann kam der große Einbruch. Ich<br />
kenne einige Schauspieler, die davor gut<br />
durchgekommen sind und sich plötzlich<br />
nur noch mit Mühe über Wasser halten<br />
können. Andere haben sich gar neue Berufe<br />
suchen müssen. Dieses Elend der<br />
Frustration und Enttäuschung ist ein gewissermaßen<br />
unsichtbares, weil Schauspieler<br />
nun einmal diese Fähigkeiten be-<br />
sitzen, sich in andere Situationen sehr<br />
schnell einzufügen. Ich bin immer wieder<br />
erstaunt, wenn ich Bewerbungen<br />
bekomme und sehe, womit die Leute<br />
über die Jahre ihr Geld verdient haben.<br />
Deshalb springt einen dieses Elend nicht<br />
so an. Aber wenn man die Messlatte mal<br />
anders anlegt und nach dem ursprünglichen<br />
Wunsch fragt, da zeigt sich dann<br />
ein heftiges und tiefes Leiden an dieser<br />
Differenz zwischen dem, was sie wollten,<br />
und dem, was sie tun.<br />
Doch die Leute kämpfen, und sie<br />
werden weiter kämpfen. Auch wenn die<br />
wirtschaftliche Lage dafür sorgen würde,<br />
dass sich das Angebot auf dem heutigen<br />
Level einpendelt, würde das nicht<br />
bedeuten, dass es in fünf Jahren weniger<br />
Schauspieler gibt. Das Reservoir an<br />
Menschen, die sich dieser Aussicht verschrieben<br />
haben, eines Tages mit der einen<br />
großen Rolle präsent zu sein, wird<br />
nicht geringer werden.<br />
Wer auch immer es am Ende wirklich<br />
zum Filmstar schafft, den erwartet<br />
dann allerdings unter Umständen ein Rezeptionsproblem,<br />
das ich für ein sehr<br />
großes halte: dieses merkwürdige Verhältnis,<br />
das in Deutschland zu Stars besteht,<br />
diese gebrochene Beziehung zu<br />
Helden, die uns aus der Erfahrung von vor<br />
1945 weitergegeben wurde. Als wenn<br />
ein deutscher Selbsthass durchbricht: Helden<br />
haben für das F<strong>als</strong>che eingestanden,<br />
eine Identifikation verbietet sich. Trotzdem<br />
ist eine Sehnsucht nach ihnen vorhanden,<br />
und so werden einzelne Schauspieler<br />
hoch geschrieben, um sie dann wieder<br />
genussvoll zu vernichten.<br />
Ich denke, dass wir da noch sehr viel<br />
Nachholbedarf haben, Stars langfristig<br />
aufzubauen, oben zu halten und ihnen<br />
dann auch mal einen schlechten Film zu<br />
verzeihen. Wir brauchen für eine Filmkultur<br />
gute Leute, wir brauchen gute<br />
Schauspieler, und wir müssen sie auch<br />
lieben!<br />
Schwerpunkt Schauspieler – newsletter@filmstiftung.de 27